Menschen, die die Welt bewegen. Nicola Vollkommer
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Professor C.S. Lewis war kein Fremder in den Lokalen der Universitätsstadt Oxford. Am häufigsten besuchte er „The Eagle And The Child“, alias „The Bird And The Baby“, wie seine akademische Kundschaft das Lokal scherzhaft nannte. Das war der Pub, in dem der legendäre Literatenclub „The Inklings“ sich jahrelang unter der Federführung von Lewis und seinem Freund J.R.R. Tolkien zweimal wöchentlich traf. Das Pub, in dem erste Entwürfe für spätere Weltbestseller wie „Herr der Ringe“ und „Der König von Narnia“ ausgetauscht, zerpflückt, diskutiert und schließlich zu Papier gebracht wurden. Das Lokal aber, in dem sich Lewis jetzt befand, im Erdgeschoss des Eastgate Hotels gegenüber seinem Oxford-College, war ein anderes: sein Refugium an Tagen, an denen er allein sein wollte, um nachzudenken.
Gestohlene Bühnenehre
Und gerade heute war ihm nicht nach erhitztem Schlagabtausch in geselliger Runde mit befreundeten Kreativgeistern zumute. Er holte einen Brief aus der einen, eine Lesebrille aus der anderen Jackentasche, rückte näher an das Fenster, setzte die Brille auf seine Nase und las zum wiederholten Mal die trockene Meldung, die von jetzt auf gleich seine kostbarsten Träume zu Scherben zerschlagen hatte. „Die Wahl des Vorstands fiel im letzten Wahlgang auf C. Day Lewis. Wir gratulieren dem Professor zu seiner Wahl für den Lehrstuhl der Poesie an der Oxford-Universität.“ Nicht C.S. Lewis, sondern C. Day Lewis. Dass der Ausgewählte den gleichen Nachnamen wie sein Konkurrent um den Posten hatte, war wie eine Ironie des Schicksals, die in ihrer Grausamkeit schier unerträglich war.
Eigentlich war C.S. Lewis für den Posten wie gemacht. So ein Lehrstuhl hatte es in sich – als begehrte Trophäe, die ultimative Krönung einer langjährigen und erfolgreichen akademischen Karriere. Im Jahr 1951 waren dichterische Ausnahmetalente gefragt, war das Amt in den Jahren davor doch von eher farblosen Durchschnittsdozenten besetzt gewesen. Ein Fach wie Dichtkunst verlangte geradezu nach den Vorzügen eines C.S. Lewis, der es als Rhetoriker, Lyriker und witziger Dozent der Sonderklasse zu Weltruhm gebracht hatte. Selbst das Titelbild des amerikanischen Time-Magazins hatte seine Verdienste honoriert. Keiner in Kennerkreisen wäre auf die Idee gekommen, dass die Wahl auf einen anderen Kandidaten hätte fallen können.
Vertieft in seinen betrübten Überlegungen zog Lewis wieder an seiner Pfeife. Dass ihm sein Ruhm in der säkularen Welt von den Mächtigen der Elitehochschule übel genommen wurde, das hatte er schon lange geahnt. Seine wissenschaftlichen Werke zum Thema „Englische Literatur des Mittelalters“ hatten ihm Anerkennung gebracht, das stand nicht zur Debatte. Stein des Anstoßes war ausgerechnet seine Fantasiefigur „Screwtape“ gewesen, die Erfindung, die ihn weltweit zu einem Haushaltsnamen gemacht hatte. „Billige Science Fiction, und das will er als Literatur verkaufen“, war die Reaktion seiner empörten Kollegen gewesen. Und dann waren da seine Radiosendungen über die Grundthesen des Christentums, die seinen tiefen Tonfall, zusammen mit dem von Winston Churchill, zur beliebtesten Stimme Großbritanniens gemacht hatten. Dass einer aus ihren Reihen von analphabetischen Bergwerkarbeitern in den innenstädtischen Pubs nun verehrt wurde, das war für die gebildeten Köpfe der Elite Englands ein Skandal zu viel.
Intellektueller Kampfplatz
Und überhaupt die Sache mit dem Glauben. Persönliche Überzeugungen zu haben, das stand selbst einem modernen Professor zu. Aber Vorlesungssäle mit neugierigen Studenten zu füllen und atheistische Gegner vor den Augen aller in Grund und Boden zu reden, das konnten Lewis’ Kollegen ihm nicht verzeihen. Kaum ein Agnostiker oder Christengegner traute sich inzwischen in den rhetorischen Zweikampf mit dem gekonnten Meister der apologetischen Schlachten.
Lewis bestellte ein weiteres Bier, während seine Gedanken zu einem unvergesslichen Abend fünf Jahre zuvor im berüchtigten „Socratic Club“ zurückschweiften, wo sich regelmäßig aufstrebende, streitsüchtige Jungpolitiker sammelten, um prominente Persönlichkeiten gegeneinander aufzuhetzen und Blut zu lecken. Der Saal war brechend voll gewesen und die Atmosphäre aufgepumpt mit Adrenalin, als der christliche Apologet Lewis von einem Schriftsteller öffentlich herausgefordert werden sollte, der als eifriger Verfechter des modisch gewordenen Relativismus galt. Die Hauptthese seiner Bücher: Es gäbe keine absolute Wahrheit, die Existenz Gottes sei eine Lüge, jede Form von Existenz relativ, nichts als eine Sache der Wahrnehmung. Seine Rede hatte er mit dem donnernden, dramatischen Schlusssatz abgeschlossen: „Die Welt existiert nicht, England existiert nicht, Oxford existiert nicht, und ich bin guter Zuversicht, dass auch ich nicht wirklich existiere!“
„Danke für das Bier.“
Lewis hob das Glas an seinen Mund und schmunzelte, als er an den tosenden Applaus der Studenten nach der Rede dachte und an die spöttische Frage der Vereinspräsidentin: „Mr. Lewis, haben Sie darauf eine Antwort?“.
Man hätte die Stille im Saal mit einem Messer schneiden können.
Lewis hatte sich langsam von seinem Sitz erhoben, der Moderatorin in die Augen geschaut und trocken gesagt: „Frau Präsidentin, wie soll ich einem Herrn Antwort geben, der nicht wirklich existiert?“, und sich wieder hingesetzt. Ende seiner Verteidigung. Schallendes Lachen bei den Studenten, grimmiges Schweigen bei einer Reihe von Dozenten, die demonstrativ und im Gänsemarsch den Raum verlassen hatten. Einer von ihnen soll so etwas wie: „Pompöser Trottel – wieder typisch“, gemurmelt haben. Die Studenten waren aber auf ihre Kosten gekommen. Ein Abend mit Lewis am Rednerpult war Unterhaltung pur. Aber dieses Mal wusste der Professor, dass er eine Grenze überschritten hatte.
Applaus im Alltag
„Ich möchte bezahlen.“
Lewis seufzte, steckte den Brief wieder in seine Jackentasche und leerte die letzten Tropfen seines Biers. Er schlenderte langsam und mit hängenden Schultern über die Straße und warf einen kurzen Blick auf die schwarzen Regenwolken, die sich am Himmel auftürmten. Die Zeitungen würden bald von dem Wahlergebnis für den Lehrstuhl berichten, seine Feinde sich vergnügt die Hände reiben, seine Freunde besorgt anrufen. Wie hatte man sich bei einer derart öffentlichen Demütigung zu verhalten? Wie enttäuscht würden die „Inklings“ sein! Sein Freund Tolkien setzte sich schon seit fünf Jahren dafür ein, dass Lewis diese Ehre zuteilwerden sollte.
„Tag, Professor! Regen ist angesagt, nehmen Sie Ihren Schirm, wenn Sie das nächste Mal rausgehen“, begrüßte ihn der Pförtner und hob kurz seinen Hut.
„Guten Tag, Williamson!“, antwortete der Professor und zerrte seine Gedanken mit einem inneren Kraftakt von seinen Grübeleien zurück in die Gegenwart: „Und wie geht es Ihrer Frau heute, mein Freund?“
„Viel besser, danke, Sir! Wir gingen gestern an die Luft, wie Sie es verordnet haben, Sir! Und sie konnte danach wieder essen, aber wie. Riesenportion Apfelauflauf, Sir, mit Vanillesoße. Danke für den Tipp. Oh – übrigens, da war für Sie ein Brief, Sir …“
„Danke, Williamson, ich habe den Brief schon heute Morgen abgeholt. Sagen Sie Ihrer Frau einen Gruß von mir und wünschen Sie ihr in meinem Auftrag weiterhin eine gute Besserung!“
„Danke Sir, sie wird sich geehrt fühlen, Sir!“
„Das mag ich so an dem Professor“, sagte Williamson zum Gärtner, der gerade in die „Porters Lodge“ hineinkam und Regentropfen von seinem Mantel abschüttelte, „immer ein nettes Wort. Als ob so’n gescheiter und berühmter Mann nix Wichtigeres im Sinne hätte, als nach meiner Frau zu fragen.“
„Allerhand.“ Der Gärtner holte einen Schlüssel aus dem kleinen Fach an der Wand. „Gestern hielt er beim Spazierengehen an, nur um mich zu fragen, ob ich den Gips an meinem Fuß schon weghatte. Die anderen vornehmen Gentlemen werfen nicht mal einen Blick in meine Richtung.“
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