Menschen, die die Welt bewegen. Nicola Vollkommer
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„Der Feind möchte den Menschen in eine Geistesverfassung bringen, in der er die schönste Kathedrale der Welt entwerfen könnte … und sich tatsächlich darüber freut, ohne dass er doch mehr oder weniger oder in anderer Weise glücklich wäre, wenn ein anderer sie gebaut hätte … sein ganzes Mühen geht dahin, den Menschen von sich selbst zu befreien.“ 2
Von sich selbst befreit sein. Dieses Thema begleitete ihn seit dem Tag seiner Bekehrung. Groß werden dadurch, dass man nicht nach Größe strebt. Er hatte das Rampenlicht nie gesucht, nahm es lediglich in Kauf, wenn es darum ging, als Verfechter des christlichen Glaubens Flagge zu zeigen. Prominent, wie er in der Welt der akademischen Elite war, hatte er sich bisher felsenfest geweigert, sich dem antichristlich geprägten intellektuellen Zeitgeist anzubiedern. Als Christ überzeugen, das wollte er. Aber nicht durch Argumente, gefeilte Rhetorik, Predigten und Schriften – sondern als pragmatischer, bescheidener Alltagschrist, der bemüht ist, gerade die Menschen, die einem am nächsten stehen, gelebte christliche Tugenden auf authentische Weise spüren zu lassen. Als „einen bekehrten Heiden, der unter abgefallenen Frommen lebt“, hatte er sich in seiner Autobiografie „Überrascht von Freude“ humorvoll bezeichnet. In diesem Licht betrachtet, war der freundschaftliche Austausch mit dem Pförtner vielleicht wichtiger als die Frage, wer die Wahl zum wichtigsten Lehrstuhl Oxfords gewonnen hatte. Gott sieht die Dinge eben anders. An diesem Abend, mitten im einsamen Ringen um Fassung am Tiefpunkt seiner Karriere, kam diese Lebenslehre auf den Prüfstein. Er legte Screwtape zurück auf das Bücherregal, versank wieder in seinem Sessel und dachte nach.
Den Schmerz verwandeln
Es war immer spät, wenn Lewis nach einem langen Arbeitstag in seinem abgelegenen Landhaus „The Kilns“, außerhalb von Oxford, ankam. So auch an jenem Abend nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses. Sein Bruder Warren wartete besorgt an der Haustür und blickte auf seine Uhr. „Ich muss schnell auf die Post“, erklärte Lewis. „Briefe und den Scheck für Mrs Kelly einwerfen, sie braucht das Geld bis Ende der Woche. Ich habe versprochen, ihr immer wieder etwas zukommen zu lassen. Reich mir bitte den Regenschirm.“
Befreundete Schriftsteller machten sich oft darüber lustig, dass Lewis sich die Hilferufe Not leidender Anhänger mit der gleichen Dringlichkeit zu Herzen nahm wie verehrende Rezensionen in den Kolumnen der großen Zeitungen. Von den riesigen Umsätzen, die er nach und nach von seinen Büchern bekam, behielt er nur wenig für sich selbst.
Die beiden Junggesellen teilten miteinander das alte Anwesen und auch sonst alles in ihrem Leben. „Jack“, wie der Professor von seinen Freunden genannt wurde, und „Warnie“ hätten unterschiedlicher nicht sein können. Jack sorgte liebevoll und geduldig für seinen älteren Bruder während der langen Wochen, in denen Warnie immer wieder von seiner Alkoholsucht heimgesucht wurde. Warnie seinerseits feuerte Jack an, der immer wieder mitten in den Fehden und Zänkereien der akademischen Welt zwischen die Fronten geriet.
„Irgendwas ist mit dir, Jack“, begrüßte ihn sein Bruder, als er vom Briefkasten zurückkam.
Jack zog den Brief wieder aus seiner Tasche. Die Brüder unterhielten sich bis tief in die Nacht.
Irgendwann in dieser Zeit setzte Lewis sich an seinen Schreibtisch und zog ein Blatt Briefpapier in die Schreibmaschine ein. „Wie recht du doch hast, liebe Frau Lockley“, schrieb er, „das Wichtigste im Leben ist, aufzuhören, sich mit dem eigenen Glück zu beschäftigen. Das Beste am wahren Glück ist, dass es einen davon befreit, an das Glück überhaupt zu denken.“3 Gerade in den Tiefen des Lebens das Vertrauen auf Gott setzen, in bescheidenem Gehorsam die richtigen Dinge tun, anstatt versäumtem Ansehen und verpasstem Glück nachzutrauern – wie oft hatte er andere schon angewiesen, wie es geht. Aber weh tat es allemal. Aufgewühlte Gefühle gleich in Worte umzusetzen, Emotionen in die richtigen Bahnen zu lenken, der Verzweiflung ja nicht nachzugeben – das war gar nicht so einfach.
Er zog ein zweites Blatt in die Maschine. Eine Hausfrau hatte gefragt, wie sie mit ihren Depressionen umgehen soll. „Da bist du gerade der Richtige“, sagte er grimmig zu sich selbst, als er sie ermahnte, sich nicht zu sehr mit ihren Gefühlsschwankungen zu beschäftigen. Für demütige, liebende, tapfere Gefühle dankbar sein. Und wenn sie von selbstsüchtigen, feigen, eitlen Gefühlen heimgesucht wurde, sollte sie Gott einfach um Hilfe bitten. Wichtig seien Absichten und Beschlüsse, das Streben, den Herrn zu suchen.
„Gott flüstert in unseren Freuden, er spricht in unserem Gewissen; in unseren Schmerzen aber ruft er laut. Sie sind sein Megafon, eine taube Welt aufzuwecken.“ Der Kernsatz von Lewis’ Klassiker „Über den Schmerz“ war seit Langem zu einem Lieblingszitat vieler Theologen geworden, die sich mit dem Thema Leid befassten. Theoretisch war Lewis alles klar. Enttäuschungen im Leben machen einen Menschen entweder verbittert oder fruchtbar. Der ernsthafte Christ hat die Option, Leid als Chance der Neuorientierung zu erleben, Gottes Prioritäten neu zu beherzigen, die Ewigkeit in die Kalkulation einzubeziehen; sich trösten zu lassen, um danach, gemäß der Aufforderung des Apostels Paulus, andere dadurch aufzurichten, dass wir „ihnen den gleichen Trost spenden, wie Gott ihn uns geschenkt hat“ (2. Korinther 1,4); zu lernen, dass Gottes Auszeichnungen andere sind als die, die von Institutionen dieser Welt verliehen werden. So sind selbst die schlimmsten Rückschläge nicht mehr Hindernisse, sondern werden zu Sprungbrettern in eine tiefere und vertrauensvollere Beziehung zu Gott hinein.
Lewis’ Stammtisch im Eastgate Hotel, sein Schreibtisch im College, der Esstisch in „The Kilns“ – alle drei Kulissen wurden Zeugen der regelrechten Schreibwut, die Lewis in den darauffolgenden Wochen überkam. Eine Schreibwut, die ihn immer dann besonders einholte, wenn seine Seele mit irgendwelchen Lebenswidrigkeiten am Ringen war. War es eine Flucht vor der unbequemen Realität des Lebens oder die Lenkung aufgewühlter Energien in neue Bahnen?
Geschichten für den Glauben
Screwtape war auf jeden Fall nur der Vorbote gewesen. Narnia ließ grüßen. Die Schranktür, die in eine andere Welt führte, sollte nach und nach Millionen von Kindern, auch Generationen später, in ihren Bann ziehen. Das neue Land wurde mit bezaubernden Figuren bevölkert, deren Namen wie Tumnus der Faun, Reepicheep die Maus und Trauerpfüzler der Moorwackler Fantasien in Kinderzimmern überall in Großbritannien und den USA beflügelten. Die Bücher wurden in andere Sprachen übersetzt. Eine Geschichte folgte auf die andere. Angestauter Schmerz wurde in fesselnden Erzählungen verarbeitet, hart erprobten Lebensprinzipien wurden Gesichter, Emotionen und Biografien verliehen.
Junge Leser zittern mit, während die Pevensiekinder am Küchentisch des Biberehepaars zum ersten Mal von der Existenz des Löwen Aslan erfahren, dem rechtmäßigen Herrscher Narnias, der „nicht zahm“ ist, aber „gut, sehr gut“. Die starre Schneedecke, Symbol der Tyrannei einer bösen Hexe, die das Land Narnia jahrhundertelang in ihrem frostigen Griff festgehalten hat, fängt zu schmelzen an, sobald der wiedergekehrte König seinen Fuß auf den eiskalten Boden setzt. Blumen blühen, Bäume tanzen, Tiere hüpfen und rennen auf den Löwen zu – Farbe, Musik und Lachen springen überall dort ins Leben, wo Aslan seine Spuren hinterlässt. Glaube als Feststimmung, Nachfolge des Königs als Freudentanz. Lewis’ Vision vom Reich Gottes hat wenig mit trockenen Ritualien oder zähneknirschender Pflichterfüllung zu tun. Sondern mit der Person eines Königs, dessen Name nur erwähnt werden muss, um Wonne und Euphorie bei allen auszulösen, die seine Nähe herbeisehnen.
Das Erscheinen Aslans hat immer tief greifende Folgen für seine Nachfolger. Ihnen werden riskante Entscheidungen, Selbstlosigkeit