Leni Behrendt Staffel 2 – Liebesroman. Leni Behrendt
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Bis dann das Unglück geschah und aus dem schneidigen kerngesunden Mann einen siechen machte, als er das durchgehende Pferd eines Soldaten aufhielt. Dem Mann geschah nichts, doch sein Retter wurde arg zugerichtet. Fast ein halbes Jahr dauerte es, bis man ihn aus dem Krankenhaus entlassen konnte, und es verging kein Tag, wo seine damals zehnjährige Tochter ihn nicht besuchte. Seine Frau erschien in der ersten Zeit öfter, doch dann wurden die Besuche seltener und blieben zuletzt ganz aus.
»Das arme Kind kann die Krankenhausluft nicht vertragen«, erklärte die Schwiegermutter dem Kranken. »Es wird ihr immer übel, oft muß sie sich sogar erbrechen, und das hält ihr zarter Körper nicht aus. Außerdem kehrst du ja bald nach Haus zurück.«
Wohl tat er das, aber nicht völlig geheilt, wie man angenommen hatte. Ein Hüftleiden blieb zurück, so daß er sich nur mühsam am Stock vorwärtsbewegen konnte.
Und nun war es wiederum der Anblick des Krüppels, den die ach so zarte und sensible Frau nicht ertrug. Doch das verbitterte den Mann nicht. Er hatte ja die Tochter, die nicht nur äußerlich sein Ebenbild war, sondern auch seinen vornehmen Charakter und seinen Frohsinn geerbt hatte. Schule, sowie die Schularbeiten, die sie erledigte, wenn der Vater seinen Mittagsschlaf hielt, das mußte ja sein, aber sonst war sie nicht von der Seite des Paps zu kriegen.
Am liebsten hockte sie auf einem Stühlchen zu seinen Füßen, lauschte seinen Erzählungen und stellte Fragen, die der Mann alle beantwortete und damit eine gute Saat in das Herz seines Kindes senkte. Als es einmal ungehalten fragte, warum die Mutter ständig unterwegs sei, antwortete er in seiner gütigen Art:
»Schau mal, mein Kind, deine Mama gehört zu denen, die ohne Tamtam nicht leben können. Die immer Menschen um sich haben müssen, je mehr, desto besser. Sie tut damit nichts Böses.«
»Ja, wenn du damit zufrieden bist, dann will ich es auch sein«, meinte die Kleine altklug. »Aber laß nur, dafür hast du mich immer um dich.«
»Viel zuviel, mein Kleines«, strich er zärtlich über das Köpfchen, auf dem es sich in bernsteinheller Pracht wellte und lockte. »Du müßtest viel mehr unter deinesgleichen sein.«
»Das bin ich schon in der Schule genug. Bei dir fühle ich mich am allerwohlsten.«
So wurde die Zusammengehörigkeit zwischen Vater und Tochter immer inniger, und es war ein grausamer Schlag für die damals Vierzehnjährige, als sie ihren so sehr geliebten Paps im Lehnstuhl fand, tot.
Einfach tot, das sollte sie nun begreifen. Wie ein wundes Tier verkroch sie sich, wollte nichts hören und niemand sehen, lehnte jede Nahrung ab.
Aber wenn man ein so kerngesunder junger Mensch ist, dann kann man nicht in Lethargie versinken. Der erste heiße Schmerz linderte sich, die Verzweiflung ließ nach. Und wenn dann noch ein Mensch zur Stelle ist, der wohltuend auf ein wundes Gemüt wirkt, der Trost und Hilfe spendet.
Und dieser Mensch war der Oberst von Liebisch. Ein gemütlicher Dicker, der so verschmitzt lachen und mit den Augen zwinkern konnte.
Armgard kannte ihn von jeher als Freund ihres Vaters, der sich auch nach dessen Unfall jeden Sonnabend einfand, um mit ihm Schach zu spielen. Armgard mochte ihn sehr gern, den guten Onkel Viktor, und sah ihm auch jetzt erfreut entgegen, als er ins Zimmer trat.
»Wie lieb, daß du zu mir kommst, Onkel Viktor, der Paps…«
Er setzte sich auf den Bettrand und nahm das bitterlich schluchzende Menschenkind in seine Arme. Er sprach kein Wort, streichelte nur das zuckende Köpfchen, bis es sich von seiner Schulter hob.
»Nun ist’s aber genug, meine kleine Plinskarline«, sagte er zärtlich. »Dem Paps würde es weh tun, wenn er sein Herzenskind so verzweifelt sähe. Gönne ihm seine Ruhe, er hat zuletzt viel Schmerzen erleiden müssen.«
»Schmerzen?« fragte sie erschrocken. »Davon habe ich ja gar nichts gewußt.«
»Solltest du auch nicht, und die andern auch nicht. Wer darum wußte, das waren ich und der ihn behandelnde Arzt, der ihm Linderung verschaffte, soviel er nur konnte. Denn dein Paps hatte nicht nur die äußeren, sondern auch innere Verletzungen, die vorzügliche Ärzte wohl eindämmen, aber nicht heilen konnten.«
»Hat er das gewußt?«
»Ja.«
»O Gott, Onkel Viktor, mein armer Paps.«
»War ein tapferer Mann, mein Kind. Und da du so ganz seine Tochter bist, mußt du auch tapfer sein. Was jetzt noch so weh tut, wird die Zeit lindern, aber auch nur, wenn du mit dazu beiträgst.
Schau mal, mein Herzchen, jeder Mensch muß mal, wenn er nicht jung stirbt, seinen Vater hergeben, das ist nun mal der Lauf der Welt. Und nun wollen wir beraten, was aus dir werden soll, denn dein lieber Paps hat mich zu deinem Vormund bestimmt.«
»Oh, Onkel Viktor, einen besseren hätte er ja gar nicht bestimmen können.«
»Na, siehst du. Wie wär’s, wenn du vorerst von hier gingest, wo alles dich an deinen Paps erinnert?«
»Das möchte ich schon, aber wohin?«
»Vielleicht in ein Internat?«
»Das wird die Mama nicht wollen.«
»Doch, sie hat mir sogar den Vorschlag gemacht, weil sie mit den Nerven so herunter ist, daß sie, na ja, daß sie wahrscheinlich in ein Sanatorium muß. Da wärest du in einem Internat am besten aufgehoben.«
»Das kostet aber viel Geld.«
»Das ist da, mein Kind. Erstens mal von der hohen Versicherung, die dein fürsorglicher Paps zu deinen Gunsten abschloß, dann von der Unfallversicherung und von seinen Ersparnissen, die alle auf dein Konto gingen. Jedenfalls reicht das Geld nicht nur für einen Internatsaufenthalt, sondern auch für eine Ausbildung. Soll ich mich mal nach einem guten Internat umsehen?«
»Wenn du es für richtig hältst, Onkel Victor, denn alles, was von dir kommt, ist gut.«
*
So kam denn Armgard von Hollgan in ein erstklassiges Internat, wo sie sich rasch eingewöhnte. Sie blieb auch dort während der Ferien, weil der gute Onkel Viktor, mit dem sie im regen Briefwechsel stand, ihr riet, das Zuhause lieber noch zu meiden, es wäre das alte ohnehin nicht mehr.
Was er damit meinte, sollte sie nicht mehr erfahren, weil er bald darauf einem Herzschlag erlag. Die Mutter, die ihr das schrieb, teilte gleichzeitig mit, daß man die Vormundschaft dem Rechtsanwalt und Notar Doktor Seger übertragen hätte.
Diese Nachricht traf Armgard hart. Nun war auch Onkel Viktor tot, der so treu für sie gesorgt und ihr so liebe Briefe geschrieben hatte, die ihr hauptsächlich in der ersten Zeit ihres Hierseins Trost brachten. Bitterlich weinend fand die Oberin sie vor, nahm sie mütterlich in die Arme und sagte tröstend:
»Auch der Schmerz wird vorübergehen, mein Kind.«
Und er ging vorüber, dafür sorgten schon die Umgebung und Armgards Frohnatur. Nach Hause mochte sie jetzt in den Ferien weniger denn je und brauchte sie dennoch nicht im Internat