Familie Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»War das ein Neugeborenes?« fragte sie verhalten.
»Ganz frisch«, erwiderte er lächelnd, »aber sehr kräftig, wie auch die Stimme verrät.«
Mary Ann brachte ihren Wunsch vor, und Dr. Leitner lächelte wieder. »Natürlich dürfen Sie einen Blick auf die Kleinen werfen, aber wir wollen doch zuerst mal sehen, was Ihr Baby macht.«
Sie konnte es auch am Monitor des Ultraschallgerätes sehen und war ganz aufgeregt.
»Auch schon ganz schön kräftig«, stellte Dr. Leitner fest. »Möchten Sie eine Fotografie?«
Sie nickte, sprechen konnte sie momentan nicht, so heftig schlug ihr Herz.
»Und wie es scheint, geht es Ihnen zumindest physisch recht gut.«
»Ich kann nicht klagen, nur müde bin ich oft.«
»Das bringt der derzeitige Zustand manchmal mit sich, aber wahrscheinlich sind Sie auch viel unterwegs.«
»Zwischen Klinik und Büro. Ich hoffe, daß Simon bald soweit ist, daß ich ihn auf die Insel der Hoffnung bringen kann.«
»Und Sie wieder Zeit gewinnen?«
»Ich will wenigstens solange warten, bis die kritische Zeit überwunden ist.«
»Ich sehe zur Zeit keine Komplikationen mehr.«
»Darüber bin ich sehr froh, und ich wünschte, das wäre auch von Simon zu sagen.«
Dr. Leitner ging mit ihr zur Babystation. Dort standen elf Bettchen, und in jedem lag so ein kleines Wesen. Vier schrien aus Leibeskräften.
»Sie scheinen zu merken, daß sie bald nach Hause kommen und würden gern noch hierbleiben«, meinte Dr. Leitner lächelnd. »Die meisten bleiben nicht länger als drei Tage, dann haben es die jungen Mütter eilig heimzukommen. Es ist nicht mehr so wie früher, daß sie in Watte gepackt werden. Es hat ziemlich lange gedauert, bis man dahinterkam, wieviel diese kleinen Geschöpfe aushalten können, vorausgesetzt sie sind ohne einen Schaden geboren.«
»Aber es kommt auch immer noch zu solchen Komplikationen, daß es Todesfälle gibt.«
»Da kommt dann aber einiges zusammen, was nicht vorauszusehen war. Aber Sie sollten daran gar nicht denken.«
»Das will ich auch nicht, ich freue mich auf mein Kind.«
Er sah ihr nachdenklich nach, als sie nun ging, und fragte sich, ob Simon Karsten diese Frau überhaupt verdiente.
*
Mary Ann fuhr zu Dr. Norden. Sie wollte ihm doch sagen, das bei ihr alles in Ordnung sei. Wenigstens mit einem verständnisvollen Menschen wollte sie über ihr Baby sprechen.
Bei Wendy saß eine junge Frau mit tränenüberströmtem Gesicht. Die schwarze Kleidung unterstrich die tiefe Blässe, und unwillkürlich empfand Mary Ann ein tiefes Mitgefühl.
»Kann ich irgendwie behilflich sein?« fragte sie spontan.
Traurige Augen sahen Mary Ann erstaunt an.
»Das ist Frau Wilkens, Frau Gassmann. Sie hat auch Erfahrungen mit ausländischen Behörden gemacht. Herr Gassmann ist der Reporter, der in Palästina von Terroristen erschossen wurde«, sagte Wendy.
»Meine aufrichtige Anteilnahme«, sagte Mary Ann mit belegter Stimme. »Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann… Welche Schwierigkeiten gibt es?«
»Sie haben Jürgen angeblich nicht gefunden. Es ist da ein ziemliches Durcheinander«, erklärte Carola stockend.
»Und man hält sich sehr bedeckt«, warf Wendy ein. »Vielleicht können Sie Frau Gassmann sagen, wohin sie sich wenden muß.«
»Doch zuerst an die diplomatische Vertretung.«
»Das ist schon in die Wege geleitet, aber es geht alles den Amtsweg. Ich habe Angst, daß sie ihn da unten begraben. Keiner scheint zuständig zu sein.«
»Diese Bürokratie«, ärgerte sich Mary Ann, »aber ich habe es ja auch mitgemacht, als mein zukünftiger Mann in Rußland mit dem Flugzeug verunglückte. Sie sollten sich aber nicht so aufregen, Sie erwarten doch ein Baby«, stellte Mary Ann besorgt fest. »Wenn es Ihnen recht ist, bringe ich Sie nach Hause, dann können wir uns unterhalten.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich bin mit dem Taxi gekommen, weil meine Mutter den Wagen heute gebraucht hat.«
»Vielen Dank, Frau Wilkens«, sagte Wendy, »es ist sehr nett von Ihnen.«
Mary Ann merkte, wie Carola ein Stöhnen unterdrückte, als sie ihr in den Wagen half. »Im wievielten Monat sind Sie?« fragte sie.
»Jetzt im siebenten, aber es geht mir nicht mehr so gut.«
»Zuviel Kummer und Aufregung. Ich verstehe das. Soll ich Sie nicht lieber zur Leitner-Klinik bringen?«
»Eigentlich wollte ich zu Hause entbinden. Es ist ja noch Zeit.«
»Ich weiß nicht, Vorsicht ist besser.«
Mary Ann kam eine Erinnerung, daß sie so etwas auch in dieser Nacht geträumt hatte. Sie diskutierte nicht lange mit Carola und brachte sie zur Leitner-Klinik und bekam ein Lob von Dr. Leitner.
»Das war gut so«, sagte er, »es könnte zu einer Frühgeburt kommen.«
»Ich kann mich darauf verlassen, daß Sie Frau Gassmann bestens versorgen?«
»Aber sicher können Sie das.«
»Ich rufe später an und erkundige mich.« Sie nahm Carolas Hand. »Sie sind in guten Händen, Frau Gassmann. Haben Sie keine Angst, und mit dem Konsulat werde ich auch telefonieren.«
»Danke, tausend Dank«, flüsterte Carola.
Mary Ann hatte das beruhigende Gefühl, ein gutes Werk getan zu haben, und außerdem wurde es ihr bewußt, daß diese junge Frau viel Schlimmeres durchmachen mußte als sie, denn sie hatte keine Hoffnung, ihren Mann wiederzusehen.
Sie rief im Büro an, daß sie jetzt in der Klinik zu erreichen sei, wenn etwas Dringendes sei.
Als sie Simons Zimmer betrat, fand sie sein Bett leer. Sie hatte ein mulmiges Gefühl und wollte sich erkundigen, wo er sei. Aber da wurde er gerade in einem Rollstuhl sitzend aus dem Aufzug geschoben. Er hatte eine dunkle Brille vor den Augen.
Mary Ann schien es, als würde er verwundert aussehen. Und dann rief er, freudig bewegt: »Mary Ann, da bist du ja.«
Er wollte sich aus dem Rollstuhl erheben, die Schwester wollte ihn daran hindern, aber dann war auch Schwester Kathi zur Stelle und sagte: »Probieren wir es doch noch mal.« Und während Mary Ann noch herzklopfend nach Fassung rang, stand Simon plötzlich auf seinen Beinen und machte ein paar Schritte vorwärts. Da war