Thekla, oder die Flucht nach der Türkei. August Schrader
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– Was ist Ihnen, Herr Korporal? fragte der Apotheker. – Sie sind ja plötzlich wie umgewandelt!
– Das bin ich, antwortete ernst der junge Mann.
– Und der Grund?
– Ihre liebenswürdige Tochter erinnert mich an eine Person, die meinem Herzen über alles geht.
– Haben Sie vielleicht eine Geliebte in der Heimath zurückgelassen?
– Sie haben Recht!
– Nun, tröstete Herr Czabo, so beruhigen Sie sich, der Krieg ist zu Ende, Sie werden sie gewiß bald wiedersehen!
Nach einer halben Stunde berichtete Netti, daß das Gartenhaus in Ordnung sei. Herr Czabo führte seinen Gast selbst dorthin. Ein freundliches Stübchen empfing den müden Krieger, ausgestattet mit allen Bequemlichkeiten. Der Abend begann zu dämmern, als der Apotheker den Korporal verließ.
Obgleich ermüdet von dem Marsche, litt es den jungen Mann dennoch nicht in dem Zimmer. Nachdenkend verließ er das Häuschen und begann durch die Wege des Gartens zu gehen, die der Herbst bereits mit gelbem Laube bedeckt hatte. Plötzlich hörte der Spaziergänger das Rauschen eines Flusses. Er durchschritt eine kleine Baumgruppe und eine ziemlich breite Wasserfläche blinkte ihm durch die Abenddämmerung entgegen. Das Ufer war flach ohne Gesträuch und mit Rasen bewachsen. Sinnend blieb der junge Mann stehen und gab sein glühendes Gesicht dem Luftzuge preis, der schneidend über die Wasserfläche kam. Nach und nach senkte sich ein dichter Nebel auf den Fluß und das Gesträuch des jenseitigen Ufers zeigte sich in phantastischen Gestalten, bis es endlich völlig verschwand.
Schon stand der Soldat im Begriffe, in sein Zimmer zurückzukehren, als sich Ruderschläge und das Rauschen eines Kahnes, der von dem entgegengesetzten Ufer zu kommen schien, anfangs leise und dann immer stärker vernehmen ließen.
Janos zog sich in die Baumgruppe zurück, die ungefähr zehn Schritte hinter ihm lag. Noch waren nicht fünf Minuten verflossen, als ein Kahn sich der Stelle des Ufers näherte, die er so eben verlassen hatte.
Ein Mann stieg aus. Vorsichtig befestigte er das Fahrzeug und nachdem er sich noch einmal überzeugt, daß der Strom es nicht losreißen konnte, schlug er den Weg nach der Baumgruppe ein. Erschreckt blieb der Mann stehen, als er die weiße Uniform erblickte.
– Wohin? fragte der Soldat.
– Zu Herrn Czabo, mit dem ich Geschäfte habe, war die Antwort.
Der Mann wollte seinen Weg fortsetzen.
– Halt! rief Janos.
– Was wollen Sie? fragte fest der Mann.
– Ich bin ein kaiserlicher Soldat.
– Das sehe ich. Es lebe der Kaiser!
– Doch wer sind Sie, der Sie in der Dunkelheit auf diesem ungewöhnlichen Wege zu meinem Wirthe wollen.
– Ich bin der Fischer Lajos, dessen Nichte bei Herrn Czabo als Köchin dient. Dies ist mein gewöhnlicher Weg, wenn ich sie nach vollbrachtem Tagewerk besuchen will – der Besitzer hat ihn mir gestattet.
– Lajos, sagen Sie? rief erstaunt der junge Mann. Wenn ich nicht irre, standen Sie vor zwei Jahren im Dienste der Gräfin Thekla Andrasy?
Dem Fischer schien vor Schrecken die Sprache vergangen zu sein.
– Und wenn es wäre? fragte er nach einer Pause.
– Dann würde ich Dir, mein alter Lajos als einem Freunde die Hand reichen. Kennst Du meine Stimme nicht mehr?
– Mein Gott, stammelte der Fischer, bei dem Namen der Gräfin steigt eine Erinnerung in mir empor – doch nein, ich kann es nicht glauben, – es ist nicht möglich! Ein Graf Esthi – –
– Steckt in der Uniform eines österreichischen Korporals, es ist die volle Wahrheit. Du weißt, ich diente als Oberst im Görgey'schen Corps –?
– Görgey! Görgey! knirschte der Fischer und hob beide Fäuste zum Himmel empor, als ob sie ein Krampf durchzuckte.
– Wir wurden verrathen und mußten die Waffen strecken, dann degradirte man uns zu gemeinen Soldaten und wir wurden den österreichischen Regimentern einverleibt. Seit drei Tagen hat man mich zum Korporal avancirt, weil mein Eifer im Dienst, den Du Dir bei der Bestimmung unseres Regimentes leicht erklären kannst, eine Belohnung erhalten sollte. Doch wir verplaudern die Zeit und denken nicht an das Wichtigste – – folge mir in das Gartenhaus, man könnte uns hier belauschen.
Nach einigen Minuten befanden sich die beiden Männer in dem Zimmer. Der Korporal zündete ein Licht an, das auf dem Tische stand.
– Ja, bei Gott, rief Lajos, als er das Gesicht des Soldaten sehen konnte – Sie sind es, Herr Graf! Ach, ich muß weinen, daß wir uns unter so traurigen Umständen wiedersehen!
Der Greis trocknete sich die nassen Augen. Der junge Mann schloß ihn gerührt an seine Brust.
– Lajos, ich weiß bereits alles – ich habe sie erkannt. O meine Thekla – sie dient als Köchin bei dem Apotheker! Eine Gräfin Andrasy ist Magd! Furchtbares Schicksal!
– Und doch blieb ihr weiter nichts übrig, sagte der Fischer. Unter welcher Maske sollte sie sich anders hier aufhalten? So lange die Russen die Grenze besetzt hielten, war an eine Ueberschreitung derselben nicht zu denken. Was sollten wir nun beginnen? Ich benutzte meine Bekanntschaft, die ich seit einem Jahre mir erworben und brachte meine frühere Herrin zu dem Apotheker.
– Wie aber ist Thekla zu Dir gekommen?
– Mein Sohn, der sie auf der Flucht begleitete, brachte sie vor drei Tagen in mein Häuschen, das dort unten am Ufer der Save steht. Ich konnte sie nicht bei mir behalten, weil die Grenzpatrouillen täglich bei meiner Wohnung vorbeipassiren. Zum Glück fand ich diesen Dienst für sie. Doch, Herr Graf, die Gefahr hat den höchsten Gipfel erreicht, wenn die junge Gräfin diesen Abend Semlin nicht verläßt, ist sie verloren.
– Lajos, was ist's?!
– Wie ich von einer Magistratsperson gehört, in deren Haus ich heute Mittag Fische brachte, soll diese Nacht in der ganzen Stadt Haussuchung gehalten werden, weil man wissen will, daß sich mehrere Führer der Revolution, und unter ihnen unsere arme Gräfin, hier befinden sollen. Um Mitternacht soll das Regiment unter die Waffen treten. Sehen Sie, aus diesem Grunde muß ich in die Apotheke.
– Und hast Du einen Rettungsplan ersonnen? rief eifrig der junge Graf. O, so sage ihn mir, daß ich Dich unterstützen kann! Ich begleite meine Thekla, meine geliebte Braut, und wenn es sein muß, in den Tod!
– Hören Sie mich an, flüsterte der Fischer. Dort liegt mein Boot. Es ist zwar nur ein Fahrzeug für die Save, das darf uns aber nicht abhalten, uns ihm anzuvertrauen, um eine halbe Stunde unter der Stadt in die Donau auszulaufen und das gegenseitige Ufer zu gewinnen. Erreichen wir es glücklich, so sind wir gerettet, denn wir befinden uns dort auf türkischem Boden, wo den Flüchtlingen eine gastfreie Aufnahme zu Theil wird.
– Du hast