Gesammelte Werke. Джек Лондон
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„Jetzt, da er hilflos ist, soll er es auch bleiben", sagte ich. „Von heute an wohnen wir in der Kajüte, und Wolf Larsen wird mit dem Zwischendeck vorliebnehmen."
Ich faßte ihn unter der Schulter und schleppte ihn nach der Laufbrücke.
Auf meine Anweisung holte Maud einen Strick. Ich zog ihn ihm unter den Armen hindurch, brachte ihn über die Schwelle und ließ ihn über die Stufen auf den Boden hinab. Ich konnte ihn nicht in die Koje heben, aber mit Mauds Hilfe hob ich zuerst Kopf und Schultern über den Rand, schob dann den Körper nach und hatte ihn nun in einer Unterkoje.
Aber das genügte mir noch nicht. Ich erinnerte mich, daß er in seiner Kajüte Handeisen hatte, die er zuweilen bei seinen Matrosen benutzt hatte. Und als wir ihn dann verließen, lag er an Händen und Füßen gefesselt da. Zum erstenmal seit vielen Tagen atmete ich auf. Als ich an Deck kam, fühlte ich mich so erleichtert, als wäre eine schwere Last von meinen Schultern genommen.
Dreizehntes Kapitel
Wir zogen sofort an Bord der Ghost, nahmen unsere alte Kajüte in Besitz und kochten in der Kombüse. Die Gefangennahme Wolf Larsens war zu einem äußerst günstigen Zeitpunkt erfolgt, denn der Nachsommer war vorbei, und es hatte regnerisches und stürmisches Wetter eingesetzt.
Wir fühlten uns sehr behaglich auf dem Schoner, dem der Scherenkran und der an ihm hängende Fockmast ein gewisses geschäftiges Aussehen verliehen, das baldige Abreise zu verkünden schien.
Wir hatten Wolf Larsen in Eisen, aber wie unnötig war es jetzt! Wie dem ersten, so war auch dem zweiten Anfall eine ernste Lähmung gefolgt. Maud machte diese Entdeckung, als sie am Nachmittag versuchte, ihm etwas zu essen zu geben. Er schien noch bewußtlos zu sein, und als wir ihn ansprachen, antwortete er nicht. Er lag diesmal auf der linken Seite und litt offenbar starke Schmerzen. In ewiger Unruhe warf er den Kopf hin und her. Dabei hob er das Ohr von dem Kissen, gegen das es gepreßt gewesen war, und sofort hörte er, was sie sagte, und antwortete. Maud wandte sich zu mir. Ich preßte ihm wieder das Kissen gegen das linke Ohr und fragte ihn, ob er mich höre, aber er regte sich nicht. Dann nahm ich das Kissen fort, wiederholte die Frage, und sofort erwiderte er, daß er mich verstehe.
„Wissen Sie, daß Sie auf dem rechten Ohr taub sind?" fragte ich.
„Ja", antwortete er mit leiser, aber fester Stimme, „und schlimmer als das: Meine ganze rechte Seite ist wie gelähmt. Ich kann weder Arm noch Bein bewegen."
„Verstellen Sie sich nun wieder?" fragte ich ärgerlich. Er schüttelte den Kopf, und sein trotziger Mund verzog sich zu einem seltsamen, verzerrten Lächeln, wirklich verzerrt, denn nur die Muskeln der linken Gesichtshälfte bewegten sich, während die rechte Seite starr blieb.
„Das war das letzte Spiel des Wolfes", sagte er. „Ich bin gelähmt. Ich werde nie wieder gehen. Oh, nur die andere Seite", fügte er hinzu, als erriete er den mißtrauischen Blick, den ich auf sein linkes Bein warf, dessen Knie sich soeben unter der Bettdecke gekrümmt hatte. „Es ist auch wirklich Pech", fuhr er fort. „Ich würde mich gefreut haben, wenn ich Ihnen wenigstens den Garaus gemacht hätte. Dazu, dachte ich, würden meine Kräfte noch reichen."
„Aber warum denn?" fragte ich entsetzt.
Wieder verzog sich sein trotziger Mund zu dem verzerrten Lächeln, und er sagte: „Ach, nur um lebendig zu sein, zu leben und zu handeln, um das größere Stück Gärstoff zu sein, um Sie zu fressen. Aber auf diese Weise zu sterben..." Er zuckte die Achseln oder versuchte es vielmehr, denn nur die linke Schulter bewegte sich. Sein Achselzucken war ebenso verzerrt wie sein Lächeln.
„Aber haben Sie eine Erklärung für Ihre Krankheit?" fragte ich. „Wo sitzt sie?"
„Im Gehirn", erwiderte er sofort. „Die verfluchten Kopfschmerzen sind die Ursache."
„Symptome", meinte ich.
Er nickte. „Es gibt keine Erklärung. Ich bin nie in meinem Leben krank gewesen. Irgend etwas ist mit meinem Gehirn los. Ein Geschwür, ein Tumor oder etwas Derartiges - etwas, das frißt und zerstört. Es greift mein Nervenzentrum an, frißt es Stück auf Stück, Zelle auf Zelle. Ich kann nicht mehr sehen. Gehör und Gefühl verlassen mich, und bald werde ich auch nicht mehr sprechen können. Und doch werde ich hier sein, lebendig und ohnmächtig."
„Und wie denken Sie nun über die Unsterblichkeit der Seele?" fragte ich ihn.
„Quatsch!" lautete die Antwort. „Die Sache ist einfach die, daß meine höheren physischen Zentren unberührt sind. Ich besitze noch mein Gedächtnis, ich kann denken und Schlüsse ziehen. Wenn das vorbei ist, bin ich fertig. Bin nicht mehr. Die Seele-?"
Er lachte höhnisch. Dann drehte er sein linkes Ohr wieder gegen das Kissen, zum Zeichen, daß er die Unterhaltung nicht fortzusetzen wünsche. Maud und ich machten uns an unsere Arbeit, bedrückt durch den Gedanken an das furchtbare Geschick, das ihn betroffen hatte - wie furchtbar es war, sollten wir erst später ganz erfahren. Es lag etwas von dem Schrecken der Vergeltung darin.
Unsere Gedanken waren ernst und feierlich, und wir sprachen anfangs nur flüsternd miteinander.
„Sie könnten mir gern die Handeisen abnehmen", sagte er abends, als wir neben ihm standen und über seinen Zustand sprachen. „Ganz sicher, ich bin unheilbar. Ich habe mich schon auf das Wundliegen gefaßt gemacht."
Er lächelte sein verzerrtes Lächeln. Mauds Augen waren starr vor Entsetzen, und sie mußte sich abwenden.
Innerlich war er ganz unverändert. Er war immer noch der alte, unbezwingliche, furchtbare Wolf Larsen, nur jetzt gefangen in diesem Fleisch, das einst so unbesiegbar und prachtvoll gewesen. Jetzt band es ihn mit unsichtbaren Fesseln, hüllte seine Seele in Finsternis und Schweigen und schloß ihn aus von der Welt, die für ihn der Inbegriff aufrührerischer Tatkraft gewesen war.
Wir nahmen ihm die Handeisen ab, konnten uns aber doch nicht mit seinem Zustand vertraut machen. Unser Gefühl lehnte sich dagegen auf. Was hatten wir noch von ihm zu erwarten? Wir wußten es nicht; aber vielleicht Furchtbares! Sein Geist konnte sich gegen das Fleisch erheben, konnte ausbrechen, wer wußte es? Unsere Erfahrung machte uns unsicher, und nur mit einem Gefühl von Angst gingen wir wieder an unsere Arbeit.
Mit dem Scherenkran hievte ich den Großbaum an Bord. Seine vierzehn Meter mußten genügen, um den Mast hereinzubringen. Mit einer an dem Scherenkran festgemachten Leine schwang ich den Baum hoch, so daß er im Gleichgewicht pendelte, dann ließ ich das Ende auf das Deck herab, wo ich, um ihn vor dem Rutschen zu bewahren, große Klampen befestigt hatte.
Den Einzelblock meines Scherenkrans hatte ich am Ende des Baumes festgemacht. Mit dem Spill konnte ich nun die Spitze des Baumes nach Belieben heben und senken, während das Ende seinen festen Halt behielt. Dazu konnte ich ihn mit Hilfe von Fallen seitwärts schwingen. An der Spitze befestigte ich einen Flaschenzug, und als die ganze Einrichtung fertig war, hatte ich meine helle Freude an der Kraft und Leichtigkeit, mit der sie arbeitete.
Natürlich nahm mich dieser Teil der Arbeit zwei volle Tage in Anspruch,