Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Dieses Kleid sieht einfach zauberhaft an Ihnen aus!« Die Verkäuferin des Brautmodengeschäfts musterte ihre Kundin wohlwollend. »Wenn wir hier am Rücken noch einen Abnäher machen und es um ein paar Zentimeter kürzen, sitzt es wie angegossen.«
Marla stand vor dem Spiegel und musterte sich. Sie war nicht halb so überzeugt wie ihre Beraterin.
»Ich weiß nicht. Sieht das nicht aus wie Omas Tischdecke?« In ihrer Stimme schwang Unsicherheit, während ihre Hände über die Spitzeneinsätze streichelten.
»Also, ich finde, du siehst toll aus!« Ohne dass Marla es bemerkt hatte, war ein Mann wie aus dem Nichts hinter ihr aufgetaucht. Es war niemand anderer als ihr Verlobter Pascal, der die Hände um ihre Hüften legte und sie über ihre Schulter hinweg im Spiegel anlachte. »Selbst aus Omas Tischdecke machst du ein Kunstwerk.«
Die Verkäuferin warf ihm einen beleidigten Blick zu, und Marla drehte sich zu ihm um. Ihre Augen funkelten vor unterdrücktem Lachen. Doch ihre Stimme war streng, als sie fragte: »Was machst du denn hier? Weißt du nicht, dass es Unglück bringt, wenn der Bräutigam die Braut vor der Hochzeit sieht?«
Pascal senkte den Kopf und schützte Verlegenheit vor.
»Es tut mir leid.« Verlegenheit vorschützend zupfte er an einer von Marlas Burgundersträhnen. »Ich war in der Bäckerei und wollte mich erkundigen, wie es unserem kleinen Helden geht. Da hat Tatjana mir erzählt, dass du Hochzeitskleid aussuchen und ganz traurig bist, weil du allein gehen musst. Diesen Gedanken habe ich nicht ertragen.«
»Oh, Mann!«, schimpfte Marla nicht ganz ernst. »Normalerweise ist Tatjana verschwiegen wie ein Grab.« Sie musterte ihren zukünftigen Mann, als ihr ein Gedanke kam. »Oder hast du sie etwa erpresst?«
»Na ja, vielleicht hab ich sie ein bisschen genervt mit meinen Fragen«, grinste er. »Sie war nervös heute und offenbar froh, mich wieder los zu sein.«
Diese Nachricht verwunderte Marla.
»Seltsam.« Sie trat einen Schritt zurück. Ihr Blick ging durch Pascal hindurch, während sie nachdachte. »Bevor ich heute zu Danny gegangen bin, war sie völlig entspannt. Hoffentlich ist nichts passiert.«
»Keine Ahnung.« Der Galerist zuckte mit den Schultern und beugte sich zu seiner zukünftigen Frau. »Aber ich fürchte, hier passiert gleich was, wenn du nicht schnell ein anderes Kleid anprobierst«, machte er Marla auf die ungeduldige Verkäuferin aufmerksam.
»Na und? Ich bin hier die Kundin«, schnaubte sie. »Ich ziehe nur für dich noch andere Kleider an.«
»Nichts anderes wollte ich hören, Prinzessin.« Pascal schickte ihr eine Kusshand, und Marla verschwand hinter dem Vorhang in der Umkleide, wo noch eine ansehnliche Auswahl auf sie wartete. Während sie noch mit dem Reißverschluss kämpfte, klingelte ihr Handy.
»Ausgerechnet jetzt!« Marla suchte in ihrer Jeansjacke nach dem Mobiltelefon und warf einen Blick darauf. »Hmmm, die Nummer kenne ich nicht.« Sie widerstand dem ersten Impuls und drückte das Gespräch nicht weg. »Hallo!«, meldete sie sich zurückhaltend, wie immer, wenn sie den Anrufer nicht kannte.
»Marla, bist du das? Hier spricht Daniel Norden«, meldete sich eine bekannte Stimme.
Erleichtert atmete die Bäckerin auf. Aber nur kurz. Sofort dachte sie wieder an Pascals Bericht und daran, wie nervös Tatjana gewesen war.
»Daniel, stimmt was nicht? Ist was mit Tatjana?«, platzte sie heraus.
»Mit Tatti ist meines Wissens alles in Ordnung. Vielleicht ist sie noch ein bisschen verwirrt wegen des Unfalls«, erwiderte Dr. Norden. »Das ist auch der Grund, warum ich dich sprechen möchte. Es geht um deine Mutter. Sie hatte einen Unfall in der Nähe der Bäckerei und liegt jetzt in der Behnisch-Klinik.«
In diesem Augenblick erstarrten Marlas Gesichtszüge, und sie spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich. Schnell warf sie einen Blick durch den Spalt des Vorhangs vor der Umkleide. Pascal war in ein Gespräch mit der Verkäuferin vertieft und ließ seinen Charme spielen, wie sie an ihrem Lächeln erkennen konnte. Wenigstens von dieser Seite drohte keine Gefahr, und Marla konnte sich wieder auf das Gespräch konzentrieren.
»Meine Mutter? Ich habe keine Mutter mehr.« So leise ihre Stimme war, so schrill war sie. »Für mich ist sie gestorben. Sprich mich nie wieder auf sie an.« Ehe Daniel Norden etwas antworten konnte, drückte sie auf einen Knopf und beendete das Gespräch. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie den Reißverschluss des Kleides erst recht nicht mehr öffnen konnte.
»Kann ich dir helfen, Prinzessin?« Pascals Stimme ließ sie zusammenzucken, und sie sah ihn an wie ein aufgeschrecktes Kaninchen, als er seinen Kopf durch den Vorhang steckte.
»Der Reißverschluss … Ich bekomm ihn nicht auf.«
»Aber das ist doch noch lange kein Grund, panisch zu werden«, verstand der Galerist die Aufregung nicht.
Mit einem Handgriff löste er das Problem seiner Braut.
»Danke«, hauchte Marla.
Pascal legte den Kopf schief und sah sie an.
»Stimmt was nicht, Prinzessin?«
»Alles in Ordnung. Ich glaube, ich habe heute doch keine Lust mehr, Kleider zu probieren. Fynn ist müde«, gebrauchte sie eine Ausrede, die Pascal ohne Widerrede gelten ließ.
»Dann bringe ich dich nach Hause in unser Nest«, erklärte er, und Marla war dankbar dafür, dass er ihre List nicht durchschaute. »Aber ich muss dich warnen. Ich muss später wieder in die Galerie. Es kommt noch ein Interessent vorbei, der ein Bild der Künstlerin Marla Brandt kaufen will, falls dir der Name was sagt.«
Marla war dankbar für den Plauderton, den Pascal anschlug, und ging auf das Thema ein, während sie sich zum Wagen führen ließ. Das machte es ihr leichter zu vergessen, dass es diesen Anruf gegeben hatte, und sie verbannte ihn so schnell wie möglich ins Reich der Fantasie. Als Künstlerin fiel ihr das nicht schwer, und als Pascal sie bald darauf allein in der Wohnung zurücklassen musste, machte er sich keine Sorgen.
*
Nachdem Daniel Norden die Mitteilung bekommen hatte, dass Heike Moebius außer einem Schleudertrauma und den Schnittwunden keine weiteren Verletzungen erlitten hatte, machte er sich auf den Rückweg in die Praxis.
»Ach, gut, dass Sie wieder da sind, Chef«, wurde er schon ungeduldig von Wendy begrüßt.
Eine Unterschriftenmappe lag auf dem Tresen, und auch ohne Worte wusste er, was von ihm erwartet wurde.
»Schon gut, ich hab schon verstanden«, erwiderte er, machte aber keine Anstalten, die Mappe an sich zu nehmen. »Ist Danny da?«, erkundigte er sich stattdessen.
»Sie haben Glück. Er hat gerade eine Pause. Eine Patientin hat für ihren Sohn abgesagt.«
»Hat sie einen Grund genannt?«
»Nach intensiverem Nachfragen haben sich seine vermeintlichen Magenschmerzen als Mathe-Ex entpuppt, der er entgehen wollte«, versuchte Wendy, ihren offenbar schlecht gelaunten Chef aufzumuntern.
Doch