Kapitalismus, was tun?. Sahra Wagenknecht
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Kapitalismus, was tun? - Sahra Wagenknecht страница 8
Ergebnis der Kungelrunden war eine Aufteilung des deutschen Energiemarktes, wie sie perfekter nicht sein konnte: An Eon fällt das faktische Gasmonopol, an RWE das nicht minder renditeträchtige der Wassersparte; das Ölgeschäft überlassen beide den in diesem Bereich ohnehin überlegenen Konzernen Shell und BP; im Strommarkt, den Eon und RWE gemeinsam zu annähernd drei Vierteln kontrollieren, müssen sie weiterhin miteinander auskommen. Die Intensität ihrer Konkurrenz lässt sich anhand ihrer Bilanz ermessen: RWE hat sein Betriebsergebnis im Stromgeschäft im ersten Halbjahr 2002 um 46 Prozent gesteigert, Eon um 62 Prozent.
Der Deal war lange festgezurrt, als eine Unbill auftrat, mit der offenbar keiner gerechnet hatte: Ein Richter am OLG Düsseldorf hatte noch nicht ganz vergessen, dass ihm im Oberseminar einst gelehrt wurde: Liberalisierung – und sinnigerweise läuft die Schieberei ja unter diesem Namen – habe etwas mit Wettbewerb zu tun. Er gab der Klage der Fusionsgegner – vor allem Energiehändler und kleine Stadtwerke – per einstweiliger Verfügung statt; Verfahrensmängel der allzu selbstsicheren Dealer machten die Begründung leicht. Seither folgt des absurden Stückes zweiter Teil. Donnerstag letzter Woche wurde zu einer neuen öffentlichen Anhörung geladen. Die gleiche Gesellschaft lauschte zum zweiten Mal den gleichen Argumenten. Im Unterschied zum Mai harrte Hartmann diesmal höflich bis zum Ende aus, und Tacke war nicht nur anwesend, sondern soll sich sogar Notizen gemacht haben.
In Wahrheit wird nur an der Ausbügelung formaler Fehler und einigen neuen Auflagen gefeilt. Es geht um viel zu viel, als dass man sich die Suppe von einem Richter versalzen ließe. Objekt der Begierde sind nämlich nicht nur die Milliarden, die sich am bundesdeutschen Markt verdienen lassen. »Wenn der angestrebte Spitzenplatz in der Europaliga der Energieversorger erobert werden soll«, erläutert das Handelsblatt die Ziellinie, »muss jetzt dynamisch gehandelt werden. … Die Felder in Russland oder Norwegen als der langfristig wichtigsten [Gas-]Lieferanten Deutschlands werden jetzt verteilt. Mit der reichlich gefüllten Eon-Kasse könnte Deutschlands größte Ferngasgesellschaft ihr internationales Engagement deutlich ausbauen.« Der Monopolprofit im Heimatraum ist Mittel, internationale Expansion und Vorherrschaft der Zweck. Eon stiege mit Ruhrgas zum größten kombinierten Gas- und Stromunternehmen Europas auf. Mit dem heimischen Wassermonopol im Rücken kann RWE den Großen im Wassergeschäft, Vivendi und Suez, Paroli bieten. Sehr bewusst ging Deutschland von Beginn an bei der Privatisierung seiner Energiemärkte einen Sonderweg: Nicht eine Regulierungsbehörde, sondern die Giganten selbst wachen hier über »wettbewerbkonformes Verhalten«.
Dennoch: Wer private Monopole am Energiemarkt kritisiert, sollte die Betonung auf privat und nicht auf Monopol legen. In Ländern, die das neoliberale Credo wörtlicher nahmen, sind die Ergebnisse um nichts erfreulicher. Die früh privatisierte britische Energiebranche etwa hat viele ausländische Wettbewerber angelockt; die Großhandelspreise für Strom sind um 30 Prozent gefallen. Rege mit im Geschäft auch dort: RWE und Eon. Letzterer sponsert Verluste seiner britischen Tochter aus der heimischen Kriegskasse: Mithalten, bis anderen die Luft ausgeht, lautet das Credo. Der größte britische Stromerzeuger, British Energy, musste dieser Tage von der Regierung Finanzhilfe in Höhe von mehreren hundert Millionen Pfund erbitten. Andernfalls drohe die Pleite des 1996 in die effizienten Hände privaten Unternehmertums übergebenen Konzerns. Der erste Steuergeld-Scheck zur Subventionierung des Privatisierungsdesasters ist auf dem Weg. Der letzte wird es nicht gewesen sein. Brisant ist das Ganze nicht nur, weil der Pleite-Konzern rund ein Viertel aller britischen Haushalte mit Strom beliefert, sondern vor allem, weil er zu dessen Erzeugung fünfzehn Atomkraftwerke betreibt, acht davon in Großbritannien.
Auf der Nachbarinsel ist das Vertrauen in die Sicherheit dieser Mailer so groß, dass die Iren im Sommer ungewohnte Post von ihrer Regierung erhielten: eine Packung Jodtabletten ging an jeden Haushalt der gänzlich atomfreien Insel. Man könne nie wissen, lautete der knappe öffentliche Kommentar. Auch in Kontinentaleuropa weiß man nicht, doch wer selbst im Glashaus sitzt, wirft besser nicht mit Steinen.
14. September 2002
Hundts Erwartungen
Der Dax fiel, wie seit Monaten, auch am Montag nach der Wahl. Nicht heftiger und nicht weniger heftig. Dass desolate US-Wirtschaft, drohende Weltwirtschaftskrise und Kriegsvorbereitung am Golf die börsentäglich agilen Renditejäger weit mehr interessieren als eine Bundestagswahl, die bei allen denkbaren Konstellationen in eine wenig unterscheidbare Politik einmündet, darauf hatten Händler lange vor dem zum Schicksalstag hochstilisierten Urnengang hingewiesen. »Die beiden Kanzlerkandidaten haben sich zuletzt ohnehin kaum unterschieden«, erklärt Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburger Forschungsinstituts HWWA. Auch sein Kollege Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft betont, der Wahlausgang bedeute »nichts Gravierendes«. Wollte das Großkapital Rosa-Grün oder Schwarz-Gelb oder Rosa-Schwarz? Die schlichte Antwort ist wohl: Es war ihm fast schnuppe.
Allerdings nur fast. Das Handelsblatt etwa hat in den letzten Monaten mehrfach pro Schröder agitiert, während Sympathiebekundungen an den schwarzen Herausforderer – spätestens seit dessen eigentümlicher Idee, die »soziale Schieflage« der Steuerreform öffentlich anzuprangern – rar geworden waren. Westerwelle wurde als das behandelt, was er ist, ein Clown. Wahlwerbung für die »Steuersenkungspartei« FDP suchte man vergeblich. Den Grund für diese Parteinahme erläutert Arbeitgeberchef Dieter Hundt in der Mittwochausgabe der Leipziger Volkszeitung: Ein Kanzler Schröder, führt er aus, komme der Wirtschaft durchaus zugute, da »anders als bei einer unionsgeführten Regierung … die Kanzler-Partei gute Kontakte zu den Gewerkschaften« habe und dies »wichtige Einigungen« erst möglich mache. Er mag Blüms Scheitern an der Rentenfront im Sinn gehabt haben und den Umstand, dass er den gleichen Privatisierungsdurchbruch jetzt im Gesundheitswesen wünscht. Auch Zwangsleiharbeit und Ich-AG sind gegen kämpfende Gewerkschaften schwerer durchsetzbar. Entscheidend, erklärt Hundt, sei, »welche Reformsignale in Richtung Arbeitsmarkt und Sozialversicherungssysteme von der neuen Regierung ausgehen«. Und hier gäbe es Grund zur Zuversicht. Das Wahlergebnis könne daher keineswegs »die Stimmung bei den Wirtschaftstreibenden trüben«.
Bar jeder eingetrübten Stimmung tut denn auch Werner Wenning, Vorstandsvorsitzender der Bayer-AG, dem Handelsblatt seine Erwartung kund, »dass die Bestätigung der rot-grünen Bundesregierung im Amt dazu führt, dass Kanzler Gerhard Schröder und seine Mannschaft mit dem gleichen Elan wie vor vier Jahren starten und die notwendigen Reformen angehen«. Der Mann weiß, wovon er redet; der von ihm geführte Konzern verdankt Schröders »Elan« immerhin die Möglichkeit, trotz beträchtlicher Gewinne keinen Cent Gewerbesteuer mehr zahlen zu müssen. Selbst BDI-Chef Rogowski geht inzwischen davon aus, »dass man das Kriegsbeil begräbt«, und präsentiert seine Forderungsliste: »Das Kartell der Tarif-Verträge muss geknackt werden, wir müssen einen Niedriglohnsektor schaffen, wir müssen Arbeit statt Arbeitslosigkeit unterstützen.«
Meinungsverschiedenheiten in der Wirtschaftslobby gibt es allenfalls in der Frage, ob zur Realisierung dieser schönen Ziele eine Große Koalition oder die Weiterführung des Rosa-Grünen-Bunds ratsamer wäre. Für letzteren spricht, dass die Grünen ihre Rolle als Nachlassverwalter der FDP bereits in der ersten Legislatur mit Bravour ausfüllten und dank hinzugewonnener Stärke die Umsetzung profitfördernder Gruselkataloge jetzt erheblich beschleunigen könnten. Nicht nur Davon Walton, Chefvolkswirt für Europa bei Goldman Sachs, lobt die Grünen für »ambitionierte Reformziele« und »größeren Reformhunger«. Würde sich insbesondere Fischer, erläutert er, »mehr auf die Innenpolitik konzentrieren