Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten. Sven Elvestad
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Читать онлайн книгу Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten - Sven Elvestad страница 35
»Ich habe nun erfahren, daß er dort ausschließlich Interesse für die Lokomotive Nummer 72 gezeigt hat, die neue, große Schnellzugsmaschine. Als Eisenbahningenieur hatte er unbehindert Zugang, die Maschinen zu besichtigen. Niemand beachtete übrigens, was er oben auf dieser großen Lokomotive tat. Aber dann begab er sich zu dem diensttuenden Maschineningenieur und sagte, daß er mit dieser Lokomotive Nummer 72 nie fahren würde. Der Beamte fragte ihn erstaunt, was denn damit los sei? ›Sehen Sie doch selbst‹, antwortete Barra und wies auf den Zylinder. Und wirklich – bei näherer Untersuchung fand der Ingenieur einen großen Fehler daran, der zu einer furchtbaren Katastrophe hätte führen können. Alle Nachforschungen, wie dieser Fehler entstanden sein kann, führten zu keinem Resultat. Das Ganze war völlig mystisch. Unterdessen war Barra verschwunden.«
»Natürlich war er es, der – –,« begann der Telegrapheningenieur.
»Aber warum?« unterbrach der Detektiv. »Das verstehe ich eben nicht. Soll ein Attentat gegen die Lokomotive selbst gerichtet werden oder nicht – und warum dann noch auf einen Fehler aufmerksam machen? Will er ihn selbst reparieren wie im Elektrizitätswerk? Nummer 72 fährt immer die Nachtschnellzüge. Aber soviel weiß ich, an der Spitze des Kontinentalzuges Donnerstag abend wird eine andere Lokomotive stehen! Da wird sich der gute Mann verrechnet haben!«
»Ich finde nur,« rief der Doktor, »daß die Sache doch schon spruchreif ist. Darum begreife ich nicht, warum in aller Welt Sie ihn nicht arretieren.«
»Wenn wir jetzt zur Arretierung schritten,« erwiderte lächelnd der Polizist, »dann hätten wir das ganze Spiel verloren. Wir haben nicht die geringsten Beweise für die Verbrechen, deren wir ihn für fähig halten. Hier handelt es sich nicht nur darum, diese zu verhindern, sondern auch tatsächlich eine ganze Bande gefährlicher und desperater Schurken zu fassen. Leute, die zur Zerstörung der Gesellschaft kein Mittel scheuen, um ihr Ziel zu erreichen.«
»Sie meinen, daß wir sie alle fassen werden?«
»Nun eben – und zwar dadurch, daß wir dem rotbärtigen Ingenieur freie Hand lassen, bis er uns am Donnerstag, das heißt in zwei Tagen, als reife Frucht in den Schoß fällt.«
»Aber – nehmen Sie an, daß etwas Unvorhergesehenes geschieht und Sie die Katastrophe nicht mehr verhindern können!«
»Ich riskiere es. Ich habe in meinem Polizeidienst schon waghalsigere Spiele gespielt als dieses. Die Spannung ist auch meine Triebfeder, um schließlich zu siegen. Diese Wartezeit hat nur eine wirkliche Gefahr.«
»Und worin besteht sie?«
»Daß Ingenieur Barra den Schwindel mit meiner Krankheit durchschaut und deshalb vielleicht umsattelt.«
»Das ist doch ausgeschlossen.«
»Barra ist offenbar sehr mißtrauisch. Wir müssen noch irgend etwas tun, um ihn in seinem Glauben an meine gegenwärtige Hilflosigkeit zu bestärken.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich meine, daß Sie, Doktor, mit einer Botschaft von mir zu Herrn Barra gehen sollen.«
Der Doktor zuckte zusammen.
»Warten Sie nur: Sie ersuchen ihn, zu einer Unterredung, in die Sie eingewilligt haben, zu mir zu kommen.«
»Dann entdeckt er natürlich sofort den Betrug,« wendete der Doktor ein.
»Ueberlassen Sie diese Komödie nur ruhig mir,« erwiderte Asbjörn Krag. »Also adieu, bis Sie mit dem Ungeheuer anrücken. Holst begleitet mich.«
Der Arzt begab sich in das Hotel des Rotbärtigen. Krag ließ einen Wagen holen und fuhr mit dem jungen Telegrapheningenieur nach Haus, um den Besuch vorzubereiten.
VII.
In der Höhle des Löwen
Die Hausfrau öffnete die Tür nicht, sondern riß sie auf, sowie sie nur Asbjörn Krags Stimme draußen hörte. Und als sie ihn sah, strahlte ihr Gesicht förmlich vor Freude, und sie rief aus tiefstem Herzen: »Gott sei Dank, da sind Sie ja wohlbehalten!«
Der Detektiv sah sie mit gerunzelten Brauen an.
»Nanu,« rief er. »Jetzt haben Sie sicher trotz aller Ermahnungen wieder eine Dummheit angestellt.«
»Ich?« fragte die Hausfrau erstaunt. »Ich habe doch überhaupt nicht das mindeste getan.«
»Warum sind Sie denn so froh, mich wohlbehalten zu sehen?«
»Ich dachte, ich glaubte,« begann die Hausfrau zu stammeln.
»Ich bin sicher,« brach Krag barsch ab, »daß jemand dagewesen ist und nach mir gefragt hat.«
»Nein, es ist gar niemand dagewesen, niemand hat gefragt,« beteuerte die Wirtin.
Krag setzte sich und dachte einen Augenblick nach. Der junge Telegrapheningenieur stutzte, als er das Gesicht des Detektivs betrachtete. Noch nie hatte er ihn so brutal gesehen.
»Aber Sie haben doch meine Botschaft bekommen?« fragte Krag, an die Frau gewendet.
»Das schon,« erwiderte sie, »und darum bin ich eben so froh, Sie zu sehen. Ich weiß ja von früher her, daß es immer Ernst ist, wenn Sie Ihre Revolver holen lassen.«
»Ja so, meine Revolver. Wie sah denn der Bote aus?«
»Der Bote,« erwiderte die Frau im höchsten Grade erstaunt. »Das war doch natürlich dieser Wachmann.«
»So, dieser Wachmann? Wirklich? Sie sind eine Gans, Sie können gehen.«
Die unglückliche Frau zog sich eiligst durch die Tür zurück.
Krag sprang ärgerlich auf.
»Jetzt hat sie mir durch diese Dummheit das Ganze verdorben,« sagte er.
»Sie haben Ihre Revolver also nicht holen lassen?« fragte der Telegrapheningenieur.
»Nein, keineswegs.«
»Aber wer war dann der Wachmann?«
»Natürlich einer von Barras Helfershelfern, wenn er es nicht selber war. Barra hat auf jeden Fall mit größter Leichtigkeit herausgebracht, daß ich nicht krank bin. Jetzt handelt es sich nur darum, ob er nicht zuviel von dem ahnt, was ich inzwischen entdeckt habe.«
Im selben Augenblick läutete die Wohnungsglocke.
»Das ist der Doktor,« sagte Holst, »aber der Rotbärtige ist mit.«
»Natürlich,« erwiderte Asbjörn Krag. »Eigentlich hätte ich jetzt simulieren sollen, aber das hat also keinen Zweck.«
Man hörte zwei verschiedene Männerstimmen aus dem Vorzimmer.
Holst und der Detektiv nickten einander verständnisvoll zu.
Man