Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten. Sven Elvestad
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Читать онлайн книгу Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten - Sven Elvestad страница 67
»Nein, es muß etwas anderes sein. Erinnerst du dich noch an den furchtbaren Abend, als Johannes das Messer gegen die Großmutter zog? Auch da war es mir ganz so zumute. Den ganzen Tag ging ich herum und wartete auf ein Unglück. Jetzt auch. Die Brust schnürt sich mir vor Angst zusammen, und ich möchte mich so gerne verstecken und nur warten, warten. Und dabei ist es mir so furchtbar, daß ich niemandem helfen kann. Ich weiß ja nicht, was es ist. Wenn ich nur einen der Alten ansehe, ist es mir, als ob eine kalte Hand mir nach dem Herzen greifen würde.«
»Sie sehen heute auch wirklich ganz unheimlich aus«, sagte Sigvard. »Johannes fürchtet sich vor Kaisa. Ich habe es heute abend bemerkt, als er die Lampe anzündete und sie danebenstand und zusah. Das Glas klirrte ihm in der Hand. ›Geh weg! Geh weg!‹ rief er. Und wie seltsam sie heute abend im Hause herumwandert. Sie ist überall. Aus allen Schatten kommt sie hervor, ohne daß man ihre Schritte hört. Wo ist sie denn jetzt? Hörst du sie?«
Sie lauschten, aber kein Laut war zu vernehmen. Sie sahen zur Zimmerdecke auf.
»Vorhin war sie dort oben,« sagte Sigvard, »ich möchte wissen, ob der Fremde heimgekommen ist?«
»Nein, noch nicht.«
»Bleibt er lange hier, der Mann?«
»Ich fragte ihn heute. Aber er schüttelte nur den Kopf. ›Ja, du kannst viel fragen, mein Kind‹, sagte er.«
In diesem Augenblick wurde die Haustür vorsichtig geöffnet, und Signe kam herein. Als sie die beiden bemerkte, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
Sie mußte heftig gelaufen sein, denn sie atmete schwer und rasch. Ihr Kopftuch war ihr auf den Nacken geglitten, so daß sie mit bloßem Kopf dastand. Das beinahe weiße Haar war vom Wind aufgewühlt, ihr Gesicht war noch jung, aber die Jugend darin war gleichsam von den Falten der Trauer und des Kummers ausgelöscht.
In diesem verheerten Gesicht erschien nun ein Lächeln, ein seltsames, wahnwitziges Lächeln. Es wirkte so feindselig und unmenschlich, daß Ann-Mari unwillkürlich nach Sigvards Hand griff und ängstlich seinen Namen flüsterte.
*
Signe schien von jener schrecklichen Hast gejagt, die Geisteskranken eigen ist, wenn ihre Vorstellungen sie ganz beschäftigen. Sie ging rasch auf die beiden jungen Menschen zu, unruhig vor innerer Bewegung und doch mit einem Widerschein von Freude im Gesicht.
Sie konnte es nicht erwarten, sich mitzuteilen, und ihre Stimme hatte einen vertraulichen Klang.
Sie zog Ann-Mari zum Tisch hin, so daß der Lampenschein auf das Gesicht des jungen Mädchens fiel. Sie befühlte ihr Haar und ihre Schultern liebkosend und winselte förmlich vor Freude. Sigvard ging auch hin und schnellte sich mit einem Sprung auf den Tisch. Ann-Mari schien tief betrübt. Signe merkte es und wollte sie trösten, wie eine Mutter ein verschrecktes Kind tröstet, und ihr etwas von dem Überfluß ihres Glücks geben.
»Sei ganz ruhig, Ann-Mari«, sagte sie. »Du brauchst dich vor nichts zu fürchten. Sieh mich an! Fürchte ich mich? Nein, ich bin glücklich, denn jetzt weiß ich bestimmt, daß die Zeit gekommen ist, und da mußt du auch glücklich sein. Ich habe das Licht draußen auf den Schären gesehen. Es begann heute in aller Früh. Ich sah es weit, weit draußen. Dann kam es immer näher. Und am Abend war es klarer denn je. Es steht gerade über dem Hause, oben zwischen den Sternen.«
»Ach Mutter«, sagte Ann-Mari.
»Darauf habe ich soviele Jahre gewartet«, fuhr Signe eifrig und überredend fort. »Jetzt ist es endlich gekommen. Es ist gekommen zu uns beiden, und vielleicht zu allen. Wenn ich dort draußen stehe, fühle ich es über mir wie Strahlenglanz, es wärmt nicht, aber es macht mich glückselig. Ich sehe alles jetzt anders. Wenn ich in der Dunkelheit an den Häusern vorbeigehe, fürchte ich mich nicht mehr vor den Menschen. Die wissen nicht, was uns widerfahren ist, aber ich weiß es. Ann-Mari, wie viele Jahre habe ich darauf gewartet. Noch eine kleine Weile, dann ist alles vorbei.«
Ihre Augen strahlten vor Seligkeit.
»Ach Mutter, was ist es?« fragte Ann-Mari verzweifelt.
Signe antwortete nachsichtig:
»Weißt du es nicht, Ann-Mari? Es ist die Erlösung.«
»Signe, du solltest versuchen ein bißchen zu schlafen«, sagte Sigvard freundlich. »Du mußt sicherlich sehr müde sein.«
»Schlafen«, schrie die Wahnsinnige erschauernd auf. »Nein, ich kann nicht mehr schlafen.«
»Soll jemand kommen?« fragte Ann-Mari.
»Ja, jemand wird kommen.«
Signe begann zu lauschen, dort oben ging eine Tür, sehr vorsichtig, und man hörte schleppende Schritte, die sich irgendwo in dem großen Hause verloren. Das war Kaisa.
Während Signe so starrend und lauschend stand, hatte sich Signes Aufmerksamkeit der großen Doppeltür zugewandt, die zum Fluß hinausführte. Sie war so mächtig wie ein Scheunentor. Wenn beide Flügel zurückgeschlagen waren, konnte man im Fall einer Sturmflut die Boote bis in die Wirtsstube hineinziehen. Nun war die Tür jedoch geschlossen und füllte den größten Teil der Wand aus – in ihrer spitzbogigen Form und mit den schräggestellten Balken konnte sie im Dunkel einer Tanne gleichen.
Signe sah die Tür wie verzaubert an.
Heftig umklammerte sie Ann-Maris Arm. Plötzlich wies sie hinauf und sagte:
»Da ist ein Kreuz! Seht! Da ist ein Kreuz!«
»Das ist ja nur die große Brückentür«, sagte Ann-Mari ängstlich.
Das Dunkel, die Stille und Signes furchtbare Unruhe hatten das Mädchen und den Knaben ganz ängstlich gemacht. Sie starrten auch die Tür an, die sie doch so gut kannten, aber es war, als hätte sie jetzt ein anderes Aussehen, eine kirchliche Höhe und Weihe. Die Wahnsinnige wiederholte nur: »Das ist das Kreuz«, und strich beruhigend über Ann-Maris Haar.
Von oben hörte man Stimmen. Zwei Menschen, die miteinander sprachen.
»Das ist Kaisa und Johannes«, sagte Sigvard förmlich befreit, den Laut anderer Menschenstimmen zu hören. Man konnte nicht verstehen, was dort oben gesprochen wurde, dazu war das Haus aus zu schweren Planken erbaut. Aber schon die Laute, die zu ihnen herabdrangen, ließen den Ton der Stimmen erraten: die Kaisas zorniger Hohn, die des Mannes brummiger Widerspruch.
Bevor noch Kaisas Schritte auf der Treppe ertönten, wußte Signe, daß die Alte kommen würde. Sie knüpfte das Tuch um den Kopf und ging auf die Tür zu. Sigvard versuchte sie zurückzuhalten, aber es war vergeblich.
Signes Blick drückte eine wahnwitzige Schlauheit aus, sie war von ihren Vorstellungen völlig besessen und ließ sich durch menschlichen Eingriff nicht stören. Wieder wanderte sie hinaus in den Sternenschein.
»Hast du sie verstanden?« fragte Ann-Mari nachdenklich. »Das Kreuz? Was meinte sie damit?«
»Am Jahrestag ist sie ja immer so«, gab Sigvard zur Antwort. »Sonst können Monate vergehen, ohne daß sie ein Wort redet.«
»Diesmal verstehe ich sie gar nicht.«
Sigvard legte den Riemen der Ziehharmonika über die Schulter. Während er seinen Rock zuknöpfte, ruhte sein Blick die ganze Zeit