Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten. Sven Elvestad

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Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten - Sven Elvestad

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      »Das war schön von dir, daß du aufgestanden bist«, sagte der Lotsenälteste. »Das werde ich dir nie vergessen, prost! Ich mochte nicht länger allein daheim bleiben. Ich mußte mit jemandem reden. Du weißt, ich bin sonst so gerne in meinem kleinen Heim. Ich kann es mir so recht gemütlich machen mit meiner Pfeife – und mit einem ganz winzig kleinen Gläschen.«

      Er maß die Größe des Glases zwischen zwei Fingern, und dieses Maß schien unwahrscheinlich klein für den schwer angeheiterten Mann.

      »Mir fehlt es nie an Gesellschaft,« fuhr er fort, »meistens habe ich an mir selbst genug. Ich habe an soviel zurückzudenken, an all meine Erlebnisse in der Jugendzeit. Ich habe ein schönes Stück Welt gesehen.«

      »Das hast du«, sagte der Segelmacher, der die Natur hatte, es mit allen zu halten. Er merkte, daß der Lotsenälteste aus einem bestimmten Grunde gekommen war und sich jetzt nicht entschließen konnte anzufangen – wie es die Art der Menschen hier war.

      Der Lotsenälteste stieß mit ihm an und trank, dann blieb er eine Weile sitzen und betrachtete das leere Glas in seiner Hand. Endlich sagte er:

      »Aber das Allermerkwürdigste habe ich doch heute abend in meiner Stube erlebt.«

      »Etwas Unangenehmes?« fragte der Segelmacher mit so schneidend falschem Mitgefühl, daß es sich anhörte, als wollte er eigentlich sagen: es wird sich doch nicht so verflucht glücklich fügen, daß ihm ein Malheur zugestoßen ist?

      Der Lotsenälteste hob warnend die Hand:

      »Noch habe ich nichts gesagt. Merke wohl! Noch kann niemand von mir behaupten, daß ich mein Wort gebrochen habe. Aber die Last wird mir vielleicht doch zu schwer. Ich hätte ihm nicht versprechen sollen zu schweigen. Aber anfangs habe ich nicht darüber nachgedacht. Ich war zu überwältigt von diesem merkwürdigen Ereignis, von diesem Besuch. Aber wie ich nur wieder allein war, begann es mir aufzudämmern, wie schwer es für einen Menschen ist, ein solches Geheimnis für sich zu behalten. Da war auch vieles, das ich nicht verstand. Ich sagte zu mir selbst: Darüber kannst du nachdenken, wenn du im Bett liegst. Begib dich nun zur Ruhe! Aber ich hatte eine Art Fieber im Blut. Es war mir unmöglich, zur Ruhe zu gehen. Und das Schlimmste war, daß mir das Alleinsein unbehaglich zu werden anfing. Das ist doch zum Lachen – haha! Das ist mir nicht vorgekommen, seit ich ein kleines Kind war und erschreckt wurde. Ich bin eigentlich nie darauf gekommen, womit ich erschreckt worden bin, aber heute abend erinnerte ich mich so deutlich daran. Dieselbe Angst kam wieder über mich alten Mann. Aber auch heute abend konnte ich nicht verstehen, woher das Unheimliche kam.«

       »Es wird die Unruhe von der See sein«, sagte der Segelmacher. »Manchmal kann auch über mich so etwas kommen.«

      »Nein, das ist nicht die Unruhe von der See. So etwas spüre ich immer ganz anders. Wie oft habe ich in Unwetternächten am Fenster gestanden und auf Trauerkunde vom Meer gewartet, aber das war immer ein ganz anderes Gefühl. Heute abend hatte ich auch die Vorahnung eines Unglücks, aber eines Unglücks, das näher war. Das gewissermaßen in meiner eigenen Stube daheim war. Vielleicht hat es etwas mit der Luft zu tun gehabt. Es ist eine wunderlich drückende Luft heute abend, findest du nicht, Segelmacher, die Sterne verschwinden einer nach dem andern, und der Himmel im Osten ist schon ganz schwarz. Und außerdem ist ein so wunderbarer Geruch in der Luft, jedenfalls spürte ich es so in meiner Stube, ein Geruch wie von fauligem Kielwasser. Sieh doch nach, wie das Wetter ist, Segelmacher.«

      »Ja, ja«, flüsterte der Segelmacher, ganz verwirrt von den ungewöhnlichen Worten des Lotsenältesten, und schleppte sich zwischen Segeln und Tauenden zum Fenster, um einen Spalt zu öffnen. Sein Räuspern und seine schleichenden Schritte machten den Eindruck, als wäre er auf dem Wege, sich auf seinem eigenen Dachboden zu erhängen.

      »Es trübt sich,« meldete er heiser vom Fenster her, »wir bekommen morgen früh Unwetter, aber noch ist es still.«

      Der Segelmacher kehrte auf seinen Platz zurück. Der Lotsenälteste hatte ihn sehr neugierig gemacht. Aber seine Neugierde hatte auch einen Anstrich von Schadenfreude, teils, weil der Lotsenälteste zuviel getrunken hatte, und teils, weil er so wirr herumredete – der Lotsenälteste, der sonst einen so überlegenen Ton anschlug, er war ja die höchste Instanz an diesem Orte.

      Auch jetzt vergaß der Lotsenälteste nicht die Würde zu wahren, die seinem Alter und seiner Weisheit anstand. Schon die Haltung der beiden Männer brachte dies zum Ausdruck: der Lotsenälteste saß hochaufgerichtet, gleichsam auf einem höheren Sitz, während der Segelmacher mit krummem Rücken über den Tisch vorgebeugt dahockte.

      »Ja, bald bekommen wir ein Unwetter,« sagte der Lotsenälteste abschließend, »solch ein Unwetter, wie es in den Tropen häufig ist, aber wie es auch manchmal hier oben in unseren Breitengraden vorkommen kann.«

      Er wischte sich die schweißfeuchte Stirn mit dem Taschentuch.

      »Das legt sich wie eine furchtbare Last auf das Gemüt,« fuhr er fort, »verflucht, daß das gerade heute nacht kommen mußte.«

      In die Augen des Lotsenältesten war plötzlich ein hilfloser, verwirrter Ausdruck gekommen, der nicht vom Trinken allein herrührte.

      »Als ich drüben in meiner Stube saß,« sagte er, »mußte ich an die alten Geschichten von der See denken. Wir zwei kennen die See einigermaßen, was, Segelmacher, aber was wissen die Landkrabben von dem Leben der Meere und der Schiffe. Sie machen große Reisen, um Wüsten und Bergketten zu erforschen, sie schreiben dicke Bücher mit Berichten über fremde Völkerschaften, aber die See, die kennen sie nicht. Was wissen sie von dem Nebelleben auf der Doggerbank oder von der furchtbaren Seelenangst, die sich vor einem Tropensturm über das Meer ausbreitet? Oder von all den Signalen? Den Signalen, die auf irgendeine unergründliche Weise von Schiff zu Schiff gehen? Was wissen sie von diesen geheimnisvollen Besuchen, die die Schiffer auf dem Meere bekommen? Diesen Besuchen, von denen wir Seeleute nicht gerne sprechen, wenn wir auf festem Land sind, weil sie hier gleichsam so abenteuerlich und lügnerisch klingen, aber die draußen auf der See mit zur Ordnung der Natur gehören. Obgleich –«

      Er sah sich um.

      »Obgleich es hier drinnen auch wie auf der See ist. Dein Dachboden erinnert an ein Wrack, das verlassen ist. Solch ein sturmgepeitschtes Wrack mit herabhängenden Segelfetzen, wie es einem in einer Mondscheinnacht auf dem Meere begegnen kann, das liegt akkurat so still wie die Werkstatt hier. Alle Seeleute fürchten sich vor solchen Wracks und weichen ihnen im Bogen aus, um nur nicht das Verdeck mit den gebrochenen Masten sehen zu müssen. Hier drinnen leben unsere alten Geschichten wieder auf. Akkurat so war es auch heute abend bei mir. Das machte dieser verdammte Geruch von fauligem Meerwasser.«

      Er sah zum Segelmacher hinüber, der nur nickte. Der Segelmacher spürte immer Freudenschauer, wenn von den mystischen Ereignissen auf dem Meer die Rede war.

      »Erinnerst du dich noch«, fuhr der Lotsenälteste fort, »an den Steuermann auf der ›Elida‹, der mitten auf dem Atlantischen Ozean einen fremden Mann in der Kajüte des Kapitäns sah? Er stürzte auf das Verdeck, um den Kapitän zu holen, und als sie wieder in die Kajüte hinunterkamen, war niemand da, aber sie sahen, daß jemand einen neuen Kurs auf der Karte eingezeichnet hatte. Ja, du erinnerst dich an diese Geschichte, wie ich sehe. Der Mann kam von einem Schiff in Seenot, viele Meilen weit weg. Und noch lange nachdem er unten in der Kajüte gewesen war, hing dieser scharfe Geruch an den Kajütenwänden. Viele solche Erinnerungen kamen heute abend über mich. Höre nun –«

       Er lehnte sich über den Tisch vor und legte seine Hand vertraulich auf die des Segelmachers.

      »Ich hatte heute abend den Besuch eines Mannes,« sagte er, »der mir ein Geheimnis

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