Im Thale des Todes. Karl May
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»O, o, mein Auge!« rief die Arme. »Milly nicht sehen können. Milly nun blind werden. Missus nicht gut sein mit arm Milly!«
»Was? Nicht gut? Das wagst Du zu sagen, verdammte Kröte? Hier hast Du noch Etwas!«
Sie schlug ihr den an den Ecken mit Silberblech beschlagenen Stickrahmen in das Gesicht, daß die Arme vor Schmerz zum zweiten Male aufkreischte.
Da öffnete sich hinten eine auf den Söller gehende Thür. Ein junger Neger trat heraus. Als er Milly weinen sah, kam er schnell näher.
»Was sein mit gut Milly?« fragte er.
»Missus mir Teller in Augen werfen und Stickrahmen in Gesicht schlagen.«
»Milly herzeigen!«
Er zog ihr die Hände vom Gesicht und betrachtete die Verletzung. Dann wendete er sich an Miranda:
»Missus nicht schlagen sollen. Milly vielleicht blind werden an einem Auge. Wenn Milly zerbrochen den Teller, dann ihn bezahlen, aber nicht wieder sie schlagen und werfen!«
Das war freilich zu viel für den Character der weißen Dame. Sie griff nach der Glocke, welche auf dem kleinen Tischchen lag und schellte heftig mehrere Male, dabei nach Sennor Robin rufend.
Unten ließen sich mehrere dienstbare Geister sehen, welche sich aber beim Anblicke der zornigen Herrin sofort wieder zurückzogen. Oben aber kam der Gerufene aus seinem Zimmer heraus auf den Söller.
»Was giebt es, liebe Miranda?« fragte er.
»Ich bitte Dich, mich gegen diese Bestien zu beschützen.«
»Was haben sie gethan?«
»Das Frauenzimmer hat mir eine ganze Masse Geschirr zerbrochen, jetzt nun zum so und so vielsten Male. Geht das so fort, so können wir aus dem Pantoffel trinken und vom Stiefelknechte speisen. Und als ich sie bestrafte, kam der schwarze Mensch herbei, stellte mich zur Rede und wagte es sogar, mir zu drohen.«
»Was? Drohen?«
»Nein, Zeus hat nicht drohen, hat nur bitten,« erklärte der Schwarze.
»Lügner!« rief die Herrin. »Hast Du nicht gedroht, Dich zu rächen, wenn ich Deine Liebste nochmals bestrafe?«
»Nein, nicht rächen gesagt.«
Wer dem Schwarzen in das ehrliche Gesicht blickte, der konnte wohl sehen, daß er die Wahrheit sagte. Robin aber gab sich gar nicht die Mühe, ihn zu betrachten.
»Ah, drohen!« rief er. »Das fehlte noch. Da, Du schwarzes Viehzeug, will ich Dir zeigen, wie man eine solche Drohung aufnimmt!«
Er schlug ihn mit der Faust zweimal in das Gesicht, daß der Neger zu Boden stürzte und ihm das Blut aus Mund und Nase drang. Die Negerin warf sich auf ihn, Zeus aber schob sie weg, stand auf und ging fort, ohne ein Wort zu sagen. Aber als er sich mit der Geliebten in der Dienerstube befand, sagte er:
»Jetzt alle sein! Jetzt nicht mehr leiden diese Behandlung. Jetzt mich rächen. Sein Herr noch bei Missus draußen.«
»Ja,« antwortete Milly.
»Jetzt ich gehen und nehmen Geld, viel Geld.«
»Um Gott und Jessus! Nicht stehlen, Zeus!«
»Nein, nicht stehlen, sondern nur wiedergeben armen Mann, dem es gehört. Missus nicht wird gehen in ihr Zimmer. Zeus nicht sein werden erwischt.«
Ein jedes Zimmer war mit dem Söller durch eine Thür verbunden; die ganze Zimmerreihe hing aber auch unter sich zusammen. Daher gelang es Zeus, nach der Stube zu gelangen, welche Miranda bewohnte, ohne daß er von der Herrschaft, welche sich noch auf dem Söller befand, gesehen worden wäre.
Dort gab es einen kleinen Damenschreibtisch, in welchem das Geld lag, welches er haben wollte. Er kannte das Fach genau, in welchem er es gesehen hatte. Aber als er hinzutrat, fand er zu seiner Enttäuschung, daß der Schlüssel abgezogen war.
»Zeus muß warten, bis Schlüssel wieder da!« flüsterte er sich selbst zu.
Er wollte zurückschleichen. Da drang durch die offene, nach dem Söller führende Thür ein Wort herein, welches ihn stutzen machte:
»Er muß sterben!«
»Wer? Soll Zeus etwa sterben?« dachte der Neger. »Muß horchen!«
Er schlich sich katzenleise näher, bis hinter die Thür. Robin und Miranda befanden sich kaum drei Fuß weit von ihm entfernt. Er hörte jedes Wort.
Robin hatte das Vorige gesprochen. Miranda meinte in nachdenklichem Tone:
»Eigentlich ist es schade um ihn. Er ist ein sehr hübscher und wohlgebildeter Mann.«
»Hübsch und wohlgebildet! Das ist Dir an einem Manne wohl die Hauptsache?«
»Ja, ich gestehe es offen. Was nützt es mir, wenn ein Herr ein Wunder von Berühmtheit und Klugheit ist, wenn ich mich nicht mit Appetit und Genuß von ihm küssen lassen kann!«
»Das ist sehr aufrichtig.«
»Ich bin stets offenherzig.«
»Also auch Reichthum fällt bei Dir nicht in's Gewicht?«
»Doch, obgleich ich gestehe, daß mir ein armer aber hübscher Liebhaber weit angenehmer ist als ein reicher aber häßlicher.«
»Wie steht es da mit mir?«
»Hm! Du bist weder reich, noch jung, noch hübsch.«
»Dennoch darf ich Dich umarmen!«
»Nur Deinetwegen. Weil es Dir Genuß bereitet. Körperlich habe ich gar keine Zuneigung zu Dir; ja, offen gestanden, ich muß mir Mühe geben, Deine Liebkosungen ohne Unmuth zu ertragen. Uns verbindet aber ein anderes, ein geistiges Band; das ist fester als der sinnliche Genuß.«
»Welches Band wäre das?«
»Die Gleichheit unserer Seelen. Wir sind zwei ausgeprägte, diabolische Naturen. Nicht?«
»Hm!«
»Oder giebst Du nicht zu, daß Du ein Teufel bist?«
»Bist Du einer?«
»Ja, und ein ganzer! Ich kann mich an der Qual und an dem Unglücke eines Andern förmlich weiden.«
»Hm! Auch ich weine nicht, wenn Andere um Hilfe rufen. Dennoch ist mir nicht die Freude am Unglücke Anderer die Hauptsache, sondern der Gewinn, welcher dabei für mich abfällt.«
»Natürlich, mir auch. Wie viel wird heut Abend für mich abfallen?«
»Das ist jetzt schwer zu beantworten. Wie viel meinst Du, daß er in seiner Brieftasche hat?«
»Neunzig-