Karin Bucha Staffel 4 – Liebesroman. Karin Bucha
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Charlotte will jetzt allein sein. Sie öffnet die Schränke und beginnt, das Nötigste in die Koffer zu packen. Dabei rinnt es ihr heiß aus den Augen und tropft auf die Wäsche.
*
Dumpf vor sich hin brütend sitzt Bernd Imhoff vor seinem Schreibtisch. Er hat nach der Zugverbindung gesehen, in einer Stunde kann er fahren – und bereits am Abend wird er bei Maria sitzen.
Doch nichts von Wiedersehensfreude ist in ihm; alles erscheint ihm leer und trostlos. Seine Gedanken hetzen wild durcheinander, sie gehen zu Maria – und zurück zu Charlotte. Zwei Frauen um ihn, eine so wertvoll und liebenswert wie die andere, und jede hat ein Recht auf Glück.
Es klopft, und gleich darauf tritt Frau von Delian ein. Sie macht ein erstauntes Gesicht, denn niemand läßt sich am Kaffeetisch sehen; sie vermutet die Hausfrau bestimmt bei ihrem Manne.
»Ihre Gattin ist nicht hier?« fragt sie und wundert sich, als Imhoff kaum den Kopf wendet. Sie wiederholt ihre Frage. Da steht Bernd auf und tritt auf sie zu. Etwas in seinem Wesen ängstigt sie.
»Delian, es ist etwas Furchtbares geschehen.« Er zögert, holt tief Atem und spricht langsam weiter: »Das heißt, furchtbar ist es besonders für Charlotte. Ich habe soeben von Professor Holzer die Nachricht erhalten, daß Maria wieder völlig geheilt ist. Ich reise in einer Stunde zu ihr.« Er fährt sich mit einer verzweifelten Gebärde durch das Haar. »Bitte, achten Sie auf meine Frau.« Er drückt die Hand der alten Dame, die fassungslos zu ihm aufblickt. »Ich kann mich auf Sie verlassen, nicht wahr, liebe Delian? Sie werden meine Frau keine Minute sich selbst überlassen. sie ist zwar gefaßt, gefaßter als ich; doch gerade das kommt mir unheimlich vor.«
Frau von Delian nickt zustimmend. Dann muß sie plötzlich wieder an den gestrigen Abend denken. »Was soll nun werden?« fragt die alte Dame ratlos. »Charlottes Gesundheit ist angegriffen, erst gestern die schwere Ohnmacht, und heute –«
»Eine Ohnmacht? – Davon weiß ich nichts«, fällt Bernd ihr hastig ins Wort. »Warum haben Sie mir das nicht früher gesagt?«
Frau von Delian erwidert: »Charlotte wollte es nicht. Überdies waren Sie ja nicht anzutreffen. Ihre Frau hat es als harmlos hingestellt, und auch der Sanitätsrat meinte, es sei nichts Ernstliches.«
»Der Arzt war auch da?« Bernds Staunen wächst, und neue Unruhe überkommt ihn. Schon hat er den Hörer in der Hand. »Ich rufe den Sanitätsrat an, warten Sie bitte!«
Wenige Augenblicke später ist Bernd mit dem Hausarzt verbunden, dessen Stimme irgendwie beruhigend auf ihn wirkt.
»Entschuldigen Sie, Herr Sanitätsrat, nur eine kleine Auskunft. Sie waren, wie ich hörte, gestern bei uns und haben meiner Frau beigestanden; können Sie mir die Gewißheit geben, daß kein Grund zu ernster Besorgnis vorliegt?«
Die Augen der alten Dame hängen voll Spannung an dem blassen Gesicht Imhoffs.
Was der Sanitätsrat ihm antwortet, scheint ihn vollauf zu befriedigen, denn er atmet tief auf.
»Was?« hört Frau von Delian Bernd ausrufen. Sie ist unwillkürlich näher getreten und vernimmt nun deutlich den tiefen Baß des Arztes. »Ich danke Ihnen – nun verstehe ich alles.«
Bernd legt den Hörer in die Gabel zurück.
»Nicht wahr, ihr Herz ist nicht in Ordnung?« jammert Frau von Delian laut auf. »Ich habe es mir ja gedacht!«
»Das Herz?« wiederholt Bernd wie abwesend. »Nein, nein, Delian, das ist es nicht, was mich erschüttert. Der Arzt sagt mir, daß Charlotte – wir werden – Charlotte wird Mutter!«
In der Tür zum Schlafzimmer bleibt Bernd stehen. Charlotte ist über einem Koffer zusammengesunken und schluchzt und weint.
»Charlotte!« Im Nu ist er neben ihr, zieht sie in die Höhe. Sie versucht die Tränenspuren fortzuwischen. Bernd greift nach ihren Händen. »Warum hast du mir verschwiegen, daß wir ein Kind haben werden?« fragt er zart.
Charlotte fährt zusammen. »Du – du weißt es?« flüstert sie.
»Ja, Charlotte, und ich bin froh, daß der Sanitätsrat mir die Wahrheit sagte. Nun klärt sich alles. Weine nicht, Charlotte, alles wird noch gut werden. Ich kann dich nicht verlassen – nun erst recht nicht! Ich will offen mit Maria sprechen!«
Bernd nimmt sie behutsam in seine Arme und führt sie zu dem Diwan. Er läßt sich darauf nieder und zieht sie neben sich.
»Nicht an dich und an mich wollen wir denken – nur an die Kinder. Stelle dir vor, welchen Sturm wir in den kleinen Kinderherzen entfachen, wenn wir ihnen von ihrer Mutter, von deren schwerer Krankheit und der plötzlichen Genesung sprechen. Sie wüßten dann überhaupt nicht mehr, wem sie angehören, und würden womöglich schwer unter allem leiden. Das zu verhüten, dazu sind wir da. Laß mich die Sache regeln. Ich weiß, daß niemals Selbstsucht die Triebfeder all deines Tuns und Handelns war. Es soll so sein, wie du vorschlugst. Maria soll entscheiden! An ihr Mutterherz, an ihre Mutterliebe wollen wir appellieren!«
»Ich bin mit allem einverstanden«, sagt Charlotte fest. Doch es ist keine Freude in ihr, und sie zittert bei dem Gedanken, wie furchtbar Maria zu leiden haben wird. Aber ein wenig beruhigt ist sie doch, weil Bernd jetzt nicht mehr so verzweifelt ist wie vorhin.
»Du mußt mir versprechen, in aller Ruhe auf meine Rückkehr zu warten und vorher nichts zu unternehmen. Willst du das, Charlotte?« Sie nickt nur schweigend, und er setzt hinzu: »Du fährst am besten mit den Kindern an die See, da ich nicht weiß, wie lange ich fortbleibe. Ich werde mit Lehrmann telefonieren und ihm die nötigen Anweisungen geben. Es muß im Werk auch ohne mich gehen.«
»Ich bin mit allem einverstanden, Bernd«, wiederholt Charlotte nochmals ergeben.
Er drückt einen Kuß auf ihre blassen kalten Lippen und läßt sie aus seinen Armen auf den Diwan gleiten. Der letzte Eindruck, den er von ihr mit sich nimmt, ist der todtraurige Blick ihrer tiefblauen Augen.
Und diese Augen verfolgen ihn während der ganzen langen Reise. Immer glaubt er, das leidvolle Gesicht seiner jungen Frau vor sich zu sehen.
*
Seitdem sie den Brief an Bernd abgesandt hat, sitzt Maria Imhoff jede freie Minute auf der Bank, von wo aus sie den Gartenweg zum Haus übersehen kann.
»Heute kommt mein Mann bestimmt«, wendet sie sich an die neben ihr sitzende Schwester.
Diese neigt bestätigend den Kopf. – Was soll sie auch dazu sagen. Es ist ja alles so traurig. Schwester Johanna empfindet mit Bernd Imhoff, von dessen Ehrenhaftigkeit sie überzeugt ist, das gleiche Mitleid wie von der hoffnungsfrohen jungen Frau, die die Stunden bis zum Wiedersehen mit ihrem Manne zählt. Oh, wie bitter enttäuscht wird ihr Schützling von dem Wiedersehen sein!
»Ob mein Mann die Kinder mitbringt?« fragt Maria Imhoff, wobei sie sehnsüchtig in die Richtung des Tores blickt.
»Das glaube ich nicht«, antwortet Schwester Johanna zögernd. »Ich halte es auch nicht für angebracht. Denken Sie an die lange Reise.«
Über Marias schmales Gesicht huscht ein Schatten. »Ja, das wäre wirklich zuviel verlangt.«
Maria hält die Hände in ihrem Schoß verschlungen. Das dunkelglänzende Haar liegt in weichen