Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson - Robert Louis Stevenson страница 80
Archie stand draußen neben dem Friedhofstor, unterhielt sich mit Hob und dem Pfarrer und schüttelte allseits der auseinandergehenden Gemeinde die Hände, als Clem und Christina zur Vorstellung herangerufen wurden. Der junge Herr lüftete den Hut und verneigte sich anmutig und ehrerbietig. Christina machte dem Herrn ihren Glasgower Knicks und schritt weiter in der Richtung von Hermiston und Cauldstaneslap, eilig, nach Atem ringend, mit erhöhter Farbe und in jener seltsamen Verfassung, die ihr während des Alleinseins ein vollkommenes Glücksgefühl vortäuschte und sie jedes Ansprechen gleich einem Widerspruch verübeln hieß. Einen Teil des Weges mußte sie die Begleitung einiger Nachbarmädchen und eines tölpelhaften Jünglings erdulden; niemals waren sie ihr so fade erschienen; noch nie hatte sie sich selbst so unfreundlich gezeigt. Aber nacheinander bogen sie alle vom Wege ab, um sich nach ihren verschiedenen Bestimmungsorten zu begeben, oder blieben hinter der rasch schreitenden Christina zurück; und nachdem sie das angebotene Geleit einiger Neffen und Nichten mit scharfen Worten zurückgewiesen hatte, konnte sie endlich, wie auf Luft und von Wolken des Glücks umgeben, ungestört den Hermistoner Berg hinaufwandeln. Nahe dem Gipfel hörte sie Schritte hinter sich, eines Mannes Schritte, leicht und sehr rasch. Sie erkannte sie sofort und eilte um so hastiger vorwärts. »Wenn er’s auf mich abgesehen hat, soll er um mich laufen«, dachte sie lächelnd.
Archie überholte sie gleich einem Mann, dessen Entschluß feststeht.
»Miß Kirstie«, begann er.
»Miß Christina, bitte, Mr. Weir«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich kann die Abkürzung nun mal nicht leiden.«
»Sie vergessen, daß sie in meinen Ohren freundlich klingt. Ihre Tante ist eine alte Freundin von mir, und zwar eine sehr liebe. Ich hoffe, wir werden Sie häufig in Hermiston sehen?«
»Meine Tante und meine Schwägerin kommen nicht gut miteinander aus. Nicht daß es mich was anginge. Aber während ich dort wohne, würde es nicht recht rücksichtsvoll erscheinen, falls ich meine Tante besuchte.«
»Das tut mir aber leid«, meinte Archie.
»Danke vielmals, Mr. Weir«, entgegnete sie. »Ich denke mitunter selbst, daß es recht schade ist.«
»Ach, sicherlich stehen Sie immer auf seiten des Friedens!« rief er.
»Davon würde ich nicht so ganz überzeugt sein«, sagte sie. »Ich hab’ auch meine bösen Tage, wie andere Leut’.«
»Wissen Sie, in unserer alten Kirche unter unseren grauen, alten Matronen wirkten Sie wie ein Strahl Sonnenschein.«
»Ach, das sind nur meine Glasgower Kleider.«
»Ich glaube nicht, daß ich so stark unter dem Einfluß hübscher Sachen stehe.«
Sie lächelte und warf ihm einen halben Blick zu. »Sie wären nicht der einzige!« sagte sie. »Aber ich bin nur ein Aschenputtel, wirklich. Ich muß all diese Dinge wieder in meinen Koffer packen; nächsten Sonntag werd’ ich so grau wie die andern sein. Es sind Glasgower Kleider, verstehen Sie, und es ginge beileibe nicht, daß man sie zu einer Gewohnheit machte. Das würde zu auffallend sein.«
Jetzt waren sie an die Stelle gelangt, an der ihre Wege sich trennten. Rings dehnten sich die alten, grauen Moore, in deren Mitte ein paar Schafe wanderten; vor ihnen sahen sie die verstreute Karawane sich den Berg nach Cauldstaneslap hinaufarbeiten, seitwärts zweigte das Hermistoner Kontingent vom Wege ab und verschwand gruppenweise hinter den Toren des Parks. In dieser Umgebung wandten sie sich einander zu, um Lebewohl zu sagen, und als sie sich die Hände schüttelten, sahen sie sich bewußt fest in die Augen. Alles ging gesittet vor sich, wie es sich gehörte; und als Christina die steile Anhöhe nach Cauldstaneslap hinaufklomm, verdrängte ein befriedigendes Gefühl des Triumphes die Erinnerung an geringe Entgleisungen und Fehler. Sie trug jetzt ihr Kleid hochgeschürzt, wie sie das auf diesem rauhen Bergweg gewöhnlich tat; als sie jedoch entdeckte, daß Archie ihr immer noch vom gleichen Flecke nachstarrte, flogen die Röcke wie durch Zauber wieder herunter. Das war eine Probe der Gesittung hier in dieser Berggemeinde, wo die Matronen im Regen mit aufgesteckten Röcken und die Mädchen barfuß durch den sommerlichen Staub wanderten, um später vor ihrem Eintritt in die Kirche tapfer auf einem Stein am Bachesrand öffentlich Toilette zu machen! Vielleicht war jene Geste ihr von Glasgow zugeweht, vielleicht bezeichnete sie auch nur ein Stadium jenes Rausches befriedigter Eitelkeit, der eine instinktive Handlung unbemerkt geschehen läßt. Er sah ihr nach! Sie erleichterte ihren Busen durch einen ungeheuren Seufzer reinster Freude und hub zu laufen an. Als sie die Nachzügler der Familie überholte, zog sie jene Nichte, die sie eben erst zurückgestoßen hatte, an sich, küßte sie, gab ihr einen Klaps und trieb sie unter anmutigem Lachen und Rufen vor sich her. Vielleicht, dachte sie, beobachte der junge Herr sie noch immer. Zufällig jedoch spielte sich die kleine Szene vor weniger wohlwollenden Augen ab, denn jetzt kam Christina an Mrs. Hob vorbei, die mit Clem und Dand des Weges marschierte.
»Wahrhaftig, bei dir spukt’s, Mädel!« meinte Dandie. »Sollst dich was schämen!« erklärte die streitbare Mrs. Hob. »Ist das ‘ne Art, sich auf dem Heimwege von der Kirche zu benehmen? Bist wahrhaftig nicht gescheit heute! Zum mindesten würd’ ich achtgeben auf meine guten Kleider!«
»Pah!« sagte Christina und schritt allen voran, Kopf in der Luft, mit dem Tritt eines wilden Rehs den rauhen Bergpfad hinauf.
Sie war verliebt in sich selbst, in ihr Geschick, in die Luft der Berge, in das Gnadengeschenk der Sonne. Auf dem ganzen Heimwege hielt sie der Rausch ihrer himmelstürmenden Laune in Bann. Bei Tisch war sie beherrscht genug, um unbefangen über den jungen Hermiston zu reden; mit lauter Stimme und ziemlich nonchalant meinte sie, er wäre ein hübscher, junger Mann, mit wirklich artigen Manieren und dazu recht vernünftig, aber es sei doch schade, daß er so traurig aussähe. Im nächsten Augenblick setzte die Erinnerung an seine Augen in der Kirche sie in Verlegenheit. Das war jedoch alles. Diese unbedeutende Hemmung ausgenommen, entwickelte sie die Mahlzeit über einen guten Appetit und ließ die anderen aus dem Lachen nicht herauskommen, bis Gib (der vor ihnen von seinen separatistischen Andachtsübungen in Crossmichael heimgekehrt war) sie alle ob ihrer unziemlichen Heiterkeit tadelte.
Im Gehen »in sich hineinsingend«, immer noch ein Chaos froher Gedanken im Busen, trippelte sie nach oben in ihre enge, von vier kleinen Giebelfenstern erhellte Dachkammer, die sie mit einer ihrer Nichten teilte. Die Kleine, auf »Tantchens« gute Laune pochend, war ihr gefolgt und wurde höchst unzeremoniös aus der Kammer wieder