Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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Endlich gilt es, in dieser Geschichte aus den Grenzlanden auch noch ihre Spitznamen zu erwähnen. Hob hieß »der Gutsherr«. »Roy ne puis, prince ne daigne«; er war der Herr über Cauldstaneslap – also über rund fünfzig Acres eigensten Landes. Clemens war einfach Mr. Elliott, wie auf seinem Türschild geschrieben stand; das ehemalige Beiwort »toll« hatte man längst fallenlassen, da es unangebracht und obendrein nur ein Beweis für die Urteilsschwäche und Torheit der öffentlichen Meinung war; und der Jüngste wurde zu Ehren seiner unstillbaren Wanderlust der »Wander-Dandie« genannt.
Selbstverständlich stammten all diese Informationen nicht durchweg von der Tante, die selbst zu viel von den Familienschwächen besaß, um diese bei den anderen von Grund auf würdigen zu können. Mit der Zeit jedoch wurde Archie einer Lücke in der Familienchronik inne.
»Aber ist denn nicht noch ein Mädchen da?« forschte er.
»Ja: Kirstie. Sie wurde nach mir getauft oder nach meiner Großmutter – was dasselbe ist«, entgegnete die Tante und fuhr sogleich fort, von Dand zu sprechen, den sie seines galanten Lebenswandels wegen insgeheim bevorzugte.
»Und wie ist eigentlich deine Nichte?« warf Archie bei nächster Gelegenheit ein.
»Die? So schwarz wie Euer Hut! Aber so richtig häßlich kann man sie auch nicht gerade nennen. Nein, eigentlich ist sie ein ganz hübsches Balg – so ‘ne Art Zigeunerin«, meinte die Tante, die zwei Maßstäbe hatte, einen für die Männer und einen für die Frauen – oder vielleicht wäre es richtiger, von dreien zu sprechen: der dritte und strengste galt den Mädchen.
»Wie kommt es, daß ich sie niemals in der Kirche sehe?« fragte Archie.
»Tja, ich glaube, sie wohnt in Glasgow bei Clem und seiner Frau. Viel Gutes kann auch nicht dabei rausspringen! Ich würde ja nichts sagen, wenn sich’s um ein Mannsbild handelte; aber wo Weiber geboren sind, da sollen sie auch bleiben! Gott sei Lob und Dank! Ich bin mein Lebtag nicht über Crossmichael rausgekommen!«
Allmählich begann es Archie auch aufzufallen, daß, obwohl Kirstie ständig das Lob ihrer Sippe sang und deren Tugenden, ja selbst deren Laster gleich einer persönlichen Auszeichnung schätzte, dennoch keine Spur von Herzlichkeit zwischen den Häusern Hermiston und Cauldstaneslap zu walten schien. Wenn die adelige Jungfer Haushälterin den sonntäglichen Kirchgang antrat, die Röcke dezent aufgeschlagen, daß drei Fingerbreit ihres weißen Unterrocks hervorguckten, bei schönem Wetter angetan mit ihrem besten, in strahlenden Farben erglänzenden Kaschmirschal, überholte sie mitunter ihre bedächtiger einherschreitenden Verwandten. Gib war natürlich nicht dabei; bei Tagesanbruch hatte er sich nach Crossmichael zu seinen Mitketzern begeben; aber die übrige Familie sah man in offener Marschordnung daherkommen: voran Hob und Dand, steifnackig, kerzengerade, sechs Fuß hoch mit strengen, dunklen Gesichtern, ihre Plaids um die Schultern geschlungen: dahinter der Convoi Kinder (glänzend vor Seife und Wasser), rings am Wegrande zerstreut und nur von Zeit zu Zeit auf den schrillen Ruf der Mutter sich sammelnd; und endlich die Mutter selbst, die – o vielsagender Umstand, der einem erfahreneren Beobachter als Archie wohl allerlei zu denken gegeben hätte! einen fast gleichen, aber unverkennbar neueren und um eine Schattierung grelleren Schal trug als Kirstie selbst. Bei diesem Anblick wuchs Kirstie noch um einige Zoll – sie zeigte ihr klassisches Profil, die Nase in der Luft und mit leicht bebenden Nüstern, während das reine Blut in ihren Adern ihre Wangen mit einer zarten, gleichmäßigen Röte überhauchte.
»Wünsche Euch einen schönen Tag, Mistreß Elliott«, sagte sie, und Feindseligkeit und Vornehmheit verschmolzen in ihrer Stimme zu einer wohlabgewogenen Mischung. »Schön’ guten Tag, Madam«, pflegte des »Gutsherrn« Frau mit einem unnachahmlichen Knicks zu erwidern, während sie ihre Federn – oder mit anderen Worten das Muster ihres Kaschmirschals – mit einer dem gemeinen Mannsbild völlig unerreichbaren Kunst spreizte. Von nun an marschierte das gesamte Cauldstaneslaper Kontingent in geschlossener Ordnung und mit einem unbeschreiblichen Ausdruck, der verriet, daß es sich in der Gegenwart des Feindes befände, und während Dandie seine Tante mit der Vertraulichkeit des gern gesehenen Neffen begrüßte, stolzierte Hob in erhabener Steifheit an ihr vorbei. Aus der Haltung aller Familienmitglieder mußte man auf irgendeine erbitterte Fehde schließen. Wahrscheinlich waren die beiden Frauen in dem ersten Treffen die Hauptbeteiligten gewesen, und offenbar hatte man den Gutsherrn mit Gewalt hineingezerrt, und zwar zu spät, um ihn in diese oberflächliche Versöhnung einzuschließen.
»Kirstie«, sagte Archie eines Tages, »was hast du eigentlich gegen deine Familie?«
»Ich beklag’ mich ja gar nicht«, antwortete Kirstie errötend. »Ich hab’ kein Wort gesagt.«
»Das weiß ich – nicht einmal guten Tag zu deinem eigenen Neffen.«
»Ich brauche mich nicht zu schämen. Ich kann das Vaterunser mit gutem Gewissen beten. Wäre Hob krank oder in Not, ich tat’ ihn mit Freuden besuchen. Aber Scharwenzeln und Schöntun und Herumparlieren – nein, danke bestens!«
Archie lächelte leise; er lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Ich glaube«, meinte er schlau, »du und Mrs. Hob seid nicht besonders gute Freunde, wenn ihr eure Kaschmirschals tragt.«
Sie sah ihn schweigend an, ein rätselhaftes Funkeln in ihren Augen; und das war alles, was Archie je von der Schlacht der Kaschmirschals erfahren sollte.
»Kommt keiner von ihnen je, dich zu besuchen?« forschte er weiter.
»Mr. Archie«, entgegnete sie, »ich hoffe, ich weiß, was sich für meine Stellung schickt. Das wär’ mir eine schöne Sache, wenn ich Eures Vaters Haus mit einem schmutzigen, schwarzhäuptigen Clan vollstopfen möchte, von dem kein einziger (wenn ich’s denn schon offen sagen muß) das bissel Seife wert ist, das man an ihn verschwendet, mich selbst ganz allein ausgenommen! Nein, nein, die sind alle miteinander durch die verdammten schwarzen Ellwalds verdorben! Ich kann die Schwarzhaarigen nun mal nicht leiden!« Und in plötzlicher Erkenntnis Archies fügte sie hastig hinzu: »Nicht daß es bei den Mannsleuten so viel ausmacht, aber daß es reinweg unweiblich ist, kann wohl keiner bestreiten! Langes Haar ist eine Zierde der Frauenzimmer; dafür haben wir Zeugen genug – es steht schon in der Bibel –, und das ist doch ganz klar, daß der Apostel irgendein blondhaariges Mädel damit gemeint hat, denn – Apostel oder nicht – er war ja trotz allem doch nur ein Mannsbild wie Ihr selbst!«
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