Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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der Schmerz greift nicht recht an. Wenn einer sich mit dem scharfen Beil in das Bein fährt, so sagt er, es tat ein bißchen »kitzeln«. In wenigen Tagen ist alles wieder heil. Haut sich einer unversehens einen Finger weg, so ist das zuwider, des – Tabakfeuerschlagens wegen.

      Tannenharz und Pechöl und ein alter Beinbrucharzt und Zahnbrecher sind in dieser waldschattigen Welt die ganze medizinische Fakultät.

      Heimweh ist, wenn sie hinauskommen, ihr Seelenleid. Heimweh die Heimatlosen? – Das Leid heißt Sehnsucht nach den Waldbergen, in welchen sie einmal den Jahreslauf durchlebt.

      Der schwarze Mathes

       Inhaltsverzeichnis

      Im Hinterwinkel steht die unheimliche Hütte. Ich bin vor kurzem in ihr gewesen und hab' den Raufbold Mathes, den Menschen mit der herben Schale, gesehen. Es ist ein kleines, hageres Männchen, liegt hingestreckt auf einem Mooslager und hat Arm und Kopf in Fetzen gewunden. Er ist arg verletzt.

      Die Fenster der Klause sind mit Lappen verdeckt; der Mann kann das Licht nicht vertragen. Sein Weib, jung und anmutig, aber abgehärmt zum Erbarmen, kniet neben ihm und netzt ihm mit Holzapfelessig die Stirn. Sein Auge starrt sie fast leblos an, aber sein Mund mit den weißen Zähnen ist, als wollte er lächeln. Der Mann riecht stark nach Pechöl.

      Als ich eintrete, hocken ein blasser, schwarzlockiger Knabe und ein helläugiges Mädchen zu seinen Füßen, und diese Kinder spielen mit Moosflocken.

      »Das wird ein Gärtelein«, sagt das Mädchen, »und da baue ich weiße Rosen an!«

      Der Knabe bildet aus Hölzlein ein Kreuz und ruft; »Vater, jetzt weiß ich es: ich mache den Holdenschlager Freithof!«

      Die Mutter erschrickt und verweist den Kleinen das gellende Geschrei; der Mathes aber sagt: »Je, schreien magst sie schon lassen; den Freithof wird auch noch einer brauchen. Aber eines, Weib, laß dem Lazarus seinen Jähzorn nicht gelten. Um des Herrgotts willen, nur das nicht! Du schweigst? Du willst mein Wort nicht halten? Meinst etwan, du verstündest es besser als ich? Du, ich sag' dir's, Weib, mach' mich nit wild!«

      Die Lappen reißt er von den Armen und will sich aufrichten. Das Weib sagt ihm liebreiche Worte und schiebt ihn sanft zurück. Mehr noch aber schiebt die Schwäche, und er sinkt auf das Lager.

      Die Kinder sind aus der Hütte gewiesen worden, und auf dem sonnigen Wiesenplane bin ich eine Weile bei ihnen gewesen und habe mich mit ihnen unter Spielen und Märchenerzählen ergötzt.

      Ein paar Tage später komme ich wieder hinauf. Da geht es dem Kranken ein gut Teil schlechter. Er kann sich nicht mehr aufrichten, wenn die Wut kommt.

      Was ihm denn eigentlich fehle?

      »So viel geschlagen ist er worden«, hat mir das betrübte Weib mitgeteilt.

      Ich bin anfangs durch die Kinder eingeführt worden und genieße im Hause des Mathes einiges Vertrauen. Ich gehe öfters hinauf; ich will allzumal auch das Elend im Walde kennenlernen.

      Einmal, als der Mathes in einem ruhigen Schlummer liegt und ich neben dem Lager sitze, atmet das Weib schwer auf, als trüge sie eine Last. Dann sagt sie die Worte: »Ich getrau' mir's wohl zu sagen, auf der Welt gibt es keine bessere Seel', als der Mathes ist. Aber wenn ein Mensch einmal so gepeinigt worden von den Leuten, so niedergedrückt, so schwarz gemacht wie er, so müßt' er kein frisch' Tröpfel Blut im Leib haben, wollt' er nicht wild werden.«

      Und ein wenig später fährt sie fort: »Ich wüßt' zu reden, ich hab' ihn von Kindeszeit auf gekannt.«

      »So redet«, habe ich entgegnet, »in mir habt Ihr einen Menschen vor Euch.«

      »Lustig ist er gewesen wie ein Vöglein in den Lüften; hell 'zuckt hat alles an ihm vor lauter Freud' und Lebendigkeit. Und er hat's damalen noch gar nicht gewußt, daß er zwei großmächtige Meierhöf' erben sollt'; hätt's auch nicht geachtet; am liebsten ist ihm die Erden Gottes gewesen, wie sie daliegt im Sonnenschein. – Wartet nur, 's ist nicht allerwe' so fortgegangen.«

      Und nach einer weiteren Weile fährt das Weib fort: »In seinem zwanzigsten Jahr herum mag's gewesen sein, da ist er einmal mit einer Kornfuhr in die Kreisstadt gefahren. Das Fuhrwerk hat ein Überreiter (Gendarm) zurückgebracht; der Mathes ist nicht mehr heimgekommen.«

      »Oho! Heimgekommen schon!« unterbricht sie der Kranke und will sich heben. – »Es ist nichts Unrechtes, daß du erzählst, Weib, aber wissen wirst es nicht recht, bist ja nicht dabeigewesen, Adelheid, wie sie mich erwischt haben. Ich erzähl's selber. Wie ich in der Stadt mein Geschäft fertig hab', geh' ich ins Wirtshaus, daß ich mir ein wenig die Zunge netz'. Auf dem Kornmarkt, müßt' ihr denken, wird das Red'werk trocken, bis der letzte Sack vom Wagen geschätzt ist. – Wie ich in die Wirtsstuben tret', sitzen ihrer drei, vier Herren bei einem Tisch, laden mich ein, daß ich mich zu ihnen setz' und mit ihnen Wein trink'. – Freundlich sind die Herren gewesen, eingeschenkt haben sie mir.«

      Der Mann unterbricht sich, um Atem zu schöpfen; sein Weib bittet ihn, daß er sich schone. Der Kranke hört es nicht und fährt fort: »Von den Welschen haben sie erzählt, die in Ewigkeit keine Ruh' geben wollen, und von den Kriegszeiten und dem lustigen Soldatenleben; und gleich darauf fragen sie wieder, wie das Korn geraten, was der Scheffel koste. Ich bin lustig worden, hab' meine Freud' gehabt, daß sich mit weltfremden Leuten so schön über allerhand plaudern läßt. Da hebt einer das Glas; unser König soll leben! – Wir stoßen an, daß schier die Gläser springen; ich schrei dreimal lauter als die ändern: der König soll leben!« – Der Kranke bricht ab, es zittern ihm die Lippen. Nach einer Weile murmelt er: »Mit diesem Ruf ist mein Unglück angegangen. – Wie ich wieder fort will, springen sie auf, halten mich fest: oho, Bursch, du bist unser! – Unter die Werber bin ich geraten. Fortgeführt haben sie den jungen, noch nicht ausgewachsenen Menschen; unter die Soldaten haben sie mich gesteckt, verkauft bin ich gewesen.«

      Mit den knochigen Fingern zerballt der Mathes eine Moosflocke.

      »Gräm dich nicht, Weib«, stößt er hervor, »bin schon besser. Mit meinen letzten Worten will ich das Gezücht' noch niederschlagen. Das kann ich wohl sagen: auf weitem, breitem Feld bin ich nicht so wild gewesen wie dazumal. – Heim hätt' ich mögen, heim hat's mich gezogen mit schweren güldenen Ketten. Und einmal, mitten in der stürmischen Winternacht, bin ich fort und heimzu geflohen. Im Rainhäusel hab' ich mich aufgehalten bei meiner alten Base. Und jetzt haben mich meine eigenen Landsleute verraten. Auf einmal sind die Überreiter da, daß sie mich fangen. Just, daß ich noch aus dem Häusel und in den Wald hinaufhusch' und denk', wenn sie mich überlistet haben, so überlist' ich sie wieder. Zwei große Fanghunde haben umhergeschnuppert, aber ich bin durch den Bach gelaufen und in demselben eine gut' Läng' hinan, daß die Äser meine Spur haben verloren. Und die Überreiter im Häusel haben alles durchgestöbert; ins Bettstroh und ins Heu haben sie gestochen mit ihren Messern, die Höllteufel, und die ganze Hütte hätten sie schier umgestürzt. Wie sie mich aber nicht haben gefunden, hat einer sein Brennscheit meiner alten Base auf die Brust gesetzt: auf der Stell' sag, wo er ist, oder ich schieß dich nieder wie einen Hund! – Ja, da ist er gewesen, und wo er jetzt ist, das kann ich nicht sagen. – Vor die Tür hinaus haben sie drauf das Weibel geschleppt, drei Gewehrläuf sind auf ihre Brust gerichtet, und insgeheim haben sie ihr zugemunkelt; aber gleich schrei, so laut du kannst: geh nur her, Hiesel, die Überreiter sind lang' schon wieder davon! Willst es nicht tun, wirst morgen begraben. Von all dem hab' ich im selbigen Augenblick nichts gewußt, wie ich so im Dickicht versteckt bin. Hab' aber lang gelauert und gemeint, es wäre hell erlogen, daß sie mich fangen. Da hör' ich die Base

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