Mami Staffel 3 – Familienroman. Gisela Reutling
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Er genoß Christines schuldbewußten Gesichtsausdruck. Sollte er ihr großmütig verzeihen, oder sollte er ihr weiterhin Vorwürfe machen? Nur, was konnte er ihr schon vorwerfen? Sicher weniger als sie ihm. Er dachte an den Karibikurlaub, den er an diesem Abend zusammen mit Bernadette geplant hatte.
Bis jetzt hatte der eitle Mann ganz selbstverständlich angenommen, daß Christine ihn immer lieben würde, ganz egal, was er täte. Aber daß sie sich mit einem anderen Mann offenbar gut verstand, hatte ihm unangenehm bewußt gemacht, daß er sich nicht alles erlauben konnte. Wenn er zwischen Christine und Bernadette wählen müßte, für wen würde er sich entscheiden? Natürlich für Christine! Sven seufzte ärgerlich. Es half nichts, er mußte den Urlaub mit Bernadette wieder abblasen. Wenn nur Christine von der ganzen Sache nichts merkte…
Er sah, daß sie sich über sein langes Schweigen wunderte, und nahm ihre Hand. »Entschuldigung«, murmelte er. »Ich habe Unsinn geredet. Natürlich kannst du deine Abende verbringen, mit wem du willst, aber ich werde halt leicht eifersüchtig.«
Sie lächelte und drückte seine Hand. So hatte sie ihn noch nie erlebt, und sie freute sich über seine Eifersucht. War das nicht der schönste Beweis, daß er sie liebte? Erst jetzt merkte sie, daß sie in letzter Zeit – eigentlich seit dem verkorksten Wochenende an der See – an Svens Liebe zu ihr gezweifelt hatte.
Ja, aber liebte sie selbst ihn denn noch so wie früher? Sie ließ es geschehen, daß Sven sie küßte, aber sie fühlte quälende Zweifel in sich aufsteigen. Ach, warum mußte das Leben so kompliziert sein? Vor wenigen Wochen noch hätte sie sich nichts Schöneres vorstellen können, als diesen Mann zu heiraten. Und nun? Sie verstand ihre eigenen Gefühle nicht mehr.
*
Für diesen Tag hatte Onkel Heinrich sich wieder angekündigt, und Christine bereitete sein Zimmer für ihn vor. Bernadette zog sich währenddessen mit Florentine ins Wohnzimmer zurück, um mit ihr im Duett zu singen. Zusammen waren die beiden so laut, daß Christine fast die Klingel überhört hätte.
»Da bin ich wieder!« rief Onkel Heinrich strahlend aus und umarmte seine Nichte. »Jetzt kann ich ein paar ruhige Tage gebrauchen.« Er unterbrach sich und deutete mit verzerrtem Gesicht auf die Wohnzimmertür. »Ist diese krakeelende Pseudo-Künstlerin etwa immer noch bei dir angestellt?«
»Aber Onkel Heinrich, du warst doch nur anderthalb Wochen weg«, lachte Christine. »Bernadettes Vertrag geht noch bis nächsten Monat. Dann allerdings…« Sie zuckte die Achseln. Bernadette war keine große Hilfe, soviel stand fest.
Christine brachte die beiden Sängerinnen zum Schweigen. Dann setzte sie sich mit Heinrich in den Garten, und Florentine trabte mit Begeisterung davon, um Blumen für ihren Großonkel zu pflücken.
Der alte Herr erzählte von den Freunden, die er besucht hatte, und lobte besonders das gemütliche Heim eines ehemaligen Schulkameraden, der sich mit seiner Frau auf dem Lande zur Ruhe gesetzt hatte. »Manchmal denke ich, daß mir meine Wanderexistenz auf Dauer nicht mehr zusagt!«
Es klingelte an der Haustür. Christine öffnete und ließ Frau Falkenroth herein, die auf dem Rückweg vom Friseur einen kleinen Vormittagsbesuch machen wollte. Mit ihrem immer noch vollen Haar, den frischen roten Wangen und der schlanken, hochgewachsenen Gestalt sah sie weit jünger aus, als sie war. Christine bat sie in den Garten und stellte ihr Heinrich Zott vor. Der alte Kavalier sprang sofort auf und verbeugte sich tief, und als Florentine mit einem Gänseblümchenstrauß herbeieilte, trug er ihr sofort auf, für Frau Falkenroth einen noch viel schöneren zu pflücken.
»Das hätte ich sowieso gemacht!« meinte Florentine. Frau Falkenroth lächelte. »Sie haben wirklich Glück mit Ihren Großnichten und -neffen«, meinte sie. »Ich habe leider überhaupt keine Kinder in meiner Verwandtschaft, und dabei könnte ich mir nichts Schöneres vorstellen!«
Die beiden kamen ins Plaudern. Schnell stellten sie fest, daß sie viele gemeinsame Vorlieben hatten. Auch Frau Falkenroth reiste gerne und zuckte nicht einmal mit der Wimper, als Heinrich Zott ihr von seiner Reise in die Mongolei berichtete. »Dazu hätte ich auch einmal Lust!« sagte sie nur. Der alte Herr staunte. »Sie sind die erste Frau, die mir das sagt«, rief er aus. »Nicht einmal meine junge Nichte hier kann ich für einen solchen Abenteuerurlaub begeistern.«
»Nun, mir würde das Spaß machen«, sagte Frau Falkenroth unternehmungslustig. »Aber nur ab und zu, natürlich – zu Hause ist es schließlich auch schön. Man darf nur nicht zum Stubenhocker werden. Ich mache am Wochenende immer lange Spaziergänge.«
»Ich auch!« sagte Onkel Heinrich begeistert. »Wie wäre es, wenn wir einmal zusammen auf die Wanderschaft gingen?«
»Eine hervorragende Idee!« fand die alte Dame. »Wir könnten einen richtigen Familienausflug machen, mit den Kindern. Hätten Sie nicht Lust mitzukommen?« wandte sie sich an Christine. »Ich würde mich freuen – und mein Sohn sicher auch.«
Christine zögerte. Sie hätte zu gern ja gesagt, aber sie dachte an Svens eifersüchtigen Ausbruch zurück. Vielleicht wollte Sven sogar mitkommen? Dann würde Christoph erfahren, in welchem Verhältnis sie wirklich zu ihrem Untermieter stand. Sie scheute vor diesem Gedanken zurück und schalt sich innerlich einen Feigling. Schließlich war sie doch in Sven verliebt – oder etwa nicht? Und früher oder später mußte Christoph das ohnehin erfahren.
Kaum war Sven am Abend nach Hause gekommen – im Vergleich zur letzten Zeit erstaunlich pünktlich, wie ihr auffiel –, erzählte sie ihm von der geplanten Unternehmung und bat ihn mitzukommen.
Sven überlegte blitzschnell. Heimlich hatte er Bernadette, die am Samstag ihren freien Tag hatte, schon versprochen, mit ihr etwas zu unternehmen. Natürlich konnte er das absagen. Aber war das nicht eine günstige Gelegenheit, mit ihr Schluß zu machen und ihr möglichst schonend beizubringen, daß aus dem Karibik-Urlaub nichts werden würde? Schonend mußte es schon sein, denn Bernadettes Temperament war unberechenbar. Ihm schauderte bei dem Gedanken, was sie eventuell verraten könnte.
»Nun? Willst du mitkommen?« fragte Christine ungeduldig.
Er räusperte sich. »Hm, weißt du, am Montag müssen wir unser Konzept für die Waschmittelkampagne abliefern. Da werde ich am Wochenende viel zu tun haben, auch wenn ich das zu Hause erledigen kann. Aber ab nächster Woche habe ich dann wieder viel mehr Zeit für dich – und auch für die Kinder«, fügte er großmütig hinzu.
Christine war heimlich erleichtert, daß er nicht mitkommen konnte. Sicher würde sie bei dem Ausflug eine Gelegenheit finden, Christoph gegenüber diskret zu erwähnen, wie die Dinge zwischen ihnen standen.
*
Die kleine Gesellschaft brach schon in aller Frühe auf. Verteilt auf Christines und Christophs Wagen, wollten sie zu einem bekannten Aussichtspunkt der Gegend fahren und von dort zu einem weiten Rundweg aufbrechen. Frau Falkenroth hatte eine erstaunliche Anzahl von Picknickkörben und Flaschen eingepackt. Die Kinder stritten sich, wer bei Christoph im Auto mitfahren durfte, bis Julia großmütig nachgab und sich auf den Rücksitz von Christines Wagen fläzte.
Um diese Zeit waren erst wenige Autos unterwegs, so daß sie ihr Ziel rasch erreichten. Onkel Heinrich stieg aus und betrachtete begeistert die Aussicht über die ebenen Felder und Wiesen. Erika Falkenroth stellte sich neben ihn und ließ sich die Flurnamen erklären. Auch die Kinder hörten zu. Christine blickte gedankenverloren in die Ferne und fuhr leicht zusammen, als Christoph Falkenroth zu ihr trat.
»Ich muß oft an den Abend neulich denken«, sagte er leise. »Es ist sonderbar… es ist,