Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada Gesammelte Werke bei Null Papier

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über­haupt zu ken­nen.

      »Also nach Ihren Vorak­ten«, warf ich ein.

      »Gar nicht!« gab Buck em­pört zu­rück. »Ich sage Ih­nen doch, er hat über­haupt nichts von mir ge­wusst, das gan­ze Gut­ach­ten hat er sich von A bis Z aus den Fin­gern ge­so­gen!«

      Und nun folg­te eine un­end­lich um­ständ­li­che, zwei Stun­den lan­ge Er­zäh­lung, wie der Me­di­zi­nal­rat mit­hil­fe ei­nes Ge­richts­se­kre­tärs und ei­nes fei­len An­wal­tes in die Zel­le des Un­ter­su­chungs­ge­fan­ge­nen Buck ge­schmug­gelt wor­den war, und am Ende ging aus die­ser Er­zäh­lung klipp und klar her­vor, dass der Me­di­zi­nal­rat drei- oder vier­mal bei dem Schus­ter Buck auf der Zel­le ge­we­sen war und ihm sehr wohl »ein Gut­ach­ten ab­ge­nom­men« hat­te. Ich hü­te­te mich aber sehr wohl, den Schus­ter Buck auf die­sen klei­nen Un­ter­schied zwi­schen An­fang und Ende sei­nes Be­rich­tes auf­merk­sam zu ma­chen, denn im Punk­te Wahr­heits­lie­be war er wie alle Lüg­ner sehr emp­find­lich, und ich woll­te mir den ge­fähr­li­chen Men­schen kei­nes­falls zum Fein­de ma­chen.

      Lie­ber hör­te ich denn zu, wenn er mir von sei­nem Krach mit dem ver­rä­te­rischen Rechts­bei­stand er­zähl­te, dem er sein Ver­trau­en ent­zo­gen und der dar­auf zu jam­mern an­ge­fan­gen habe: »Wer be­zahlt mir aber nun mei­ne fünf­und­sieb­zig Mark? Ich habe die­sen wich­ti­gen Brief für Sie ge­schrie­ben …«

      »›Für die­sen Brief wol­len Sie fünf­und­sieb­zig Mark?!‹ habe ich ihm geant­wor­tet. ›Wis­sen Sie, wie ich die­sen Brief nen­ne? Idio­ti­schen Quatsch nen­ne ich ihn. Da­für zah­le ich nie fünf­und­sieb­zig Mark!‹« Und so ging, Schus­ter Bucks Be­richt nach, der Streit im­mer wei­ter, bis der An­walt, völ­lig zer­schmet­tert, nicht etwa auf sei­ne fünf­und­sieb­zig Mark ver­zich­te­te, son­dern – zu mei­ner Über­ra­schung – den Schus­ter bei sei­nem Ter­min ver­tei­dig­te, na­tür­lich wie­der­um wie ein Idi­ot. »Aber«, wie Buck be­merk­te, »von den An­wäl­ten taugt doch kei­ner mehr als der an­de­re, und von uns wol­len die Brü­der nur mü­he­los Geld zie­hen!«

      Sol­che In­kon­se­quen­zen sind aber ty­pisch für lan­ge Ge­fan­ge­ne, eben prü­geln sie sich, schon sind sie die bes­ten Freun­de. Eben sehe ich den Schus­ter vor der Tür des doch so ver­hass­ten Ober­pfle­gers, ent­schlos­sen, einen Kal­fak­tor an­zu­zei­gen, weil er ihm bei der Kaf­fee­aus­ga­be zu viel Satz in den Be­cher ge­mo­gelt hat, und schon hat der­sel­be Buck mit dem glei­chen Kal­fak­tor ein Tausch­ge­schäft ab­ge­schlos­sen: eine klei­ne Ta­bak­pfei­fe ge­gen eine Schei­be Brot und einen Kamm. Hat schon im mensch­li­chen Le­ben drau­ßen nichts dau­ern­den Be­stand, so kann man hier im Bau nicht fünf Mi­nu­ten mit et­was Blei­ben­dem rech­nen. Stän­dig wech­seln die Kon­stel­la­tio­nen, und nur das ist blei­bend: der Neid und der Hass je­des ge­gen je­den, die tie­ri­sche Feind­schaft al­ler ge­gen alle. Im Bun­ker gib­t’s kei­ne Treue, kei­ne Freund­schaft, nicht den pri­mi­tivs­ten An­stand.

      »Friss, oder du wirst ge­fres­sen, Som­mer!« Ich lern­te ihn schwer, die­sen Satz. Ich habe ihn bis heu­te noch nicht rich­tig ge­lernt. Ich wer­de ihn nie ler­nen – nicht aus An­stän­dig­keit, son­dern weil ich nur ein schwa­cher Mensch bin.

      1 kur­ze, klei­ne Pfei­fe <<<

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      Ehe ich end­gül­tig zu mei­nen ei­ge­nen Er­leb­nis­sen zu­rück­keh­re, muss ich noch ei­nes Man­nes ge­den­ken, ei­ner schil­lern­den Ge­stalt, der wäh­rend der ers­ten Zeit mei­nes Auf­ent­hal­tes für kur­ze Tage bei uns auf­tauch­te, um dann für im­mer zu ent­schwin­den, ein Gruß aus der großen, mir so frem­den Welt.

      Ich hat­te schon am ers­ten Tage von ei­nem Ge­fan­ge­nen ge­hört, der we­gen ei­ner Schlä­ge­rei schon die ach­te Wo­che im stren­gen Ar­rest saß, bei Was­ser und spär­li­chem Brot und bei har­tem La­ger. Wenn ich über­haupt – mit ei­nem Schau­der über die mir un­er­träg­lich schei­nen­de Dau­er des Iso­lierar­res­tes – an die­sen Mann dach­te, so stell­te ich mir einen Kerl wie den etwa drei­ßig­jäh­ri­gen Lies­mann vor, einen Kerl mit bru­ta­lem, schar­fem Ge­sicht, der über dem einen Auge einen schwar­zen Lap­pen trug, und der wort­los und fins­ter auf der Sta­ti­on leb­te. Je­der ging ihm aus dem Wege, auch die Streit­süch­tigs­ten wag­ten nicht, Hän­del mit Lies­mann an­zu­knüp­fen, der be­kannt da­für war, auch nur bei ei­ner An­deu­tung ei­nes krän­ken­den Wor­tes so­fort zu­zu­schla­gen und nicht eher mit Schla­gen auf­zu­hö­ren, bis der an­de­re völ­lig er­le­digt war.

      Und dann tauch­te Hans Ha­gen auf un­se­rer Sta­ti­on auf, ein schö­ner, blü­hend aus­se­hen­der, noch jun­ger Mann von drei­ßig Jah­ren, mit der trai­nier­ten Ge­stalt des Sports­man­nes, tief­schwar­zem, leicht ge­well­tem, zu­rück­ge­kämm­tem Haar und ei­nem el­fen­bein­far­be­nen Ge­sicht von so klas­sisch rei­nen Li­ni­en und so über­ra­schen­der Schön­heit, dass man un­will­kür­lich – be­son­ders in die­sem Haus der Miss­ge­stal­ten – vor Be­wun­de­rung ver­ging. Er hat­te vom Ober­pfle­ger ganz neue Tracht be­kom­men statt der Lum­pen, die die an­de­ren tra­gen muss­ten, und er trug die­se brau­ne Man­che­s­ter­ho­se und schilf­far­be­ne Ja­cke mit ei­ner sol­chen Ele­ganz, als hät­te ihm der ers­te Schnei­der einen An­zug an­ge­mes­sen. Jede Be­we­gung von ihm war rasch, ziel­si­cher, schön. Wie er re­de­te, und sei­ne dunklen Au­gen leuch­te­ten da­bei, wie er auch dem be­lang­lo­ses­ten Wort Reiz und Lie­bens­wür­dig­keit zu ge­ben ver­moch­te, das war in die­sem Elends­mi­lieu ein­fach hin­rei­ßend.

      ›Wie kommt die­ser jun­ge Gott in sol­che Höl­le?‹, frag­te ich mich. Und laut: »Ein Zu­gang?«

      »Nein«, wur­de mir geant­wor­tet. »Das ist der Ge­fan­ge­ne, der acht Wo­chen we­gen ei­ner Schlä­ge­rei im Ar­rest ge­ses­sen hat!« Ich konn­te es nicht glau­ben, ich woll­te es nicht. Ich bin spä­ter manch­mal für kur­ze Mi­nu­ten auf dem Gang der Sta­ti­on oder im Gras­gar­ten mit Hans Ha­gen spa­zie­ren ge­gan­gen und habe mit im­mer neu­em Ent­zücken sei­nem Ge­plau­der ge­lauscht, sei es nun, dass er von sei­nen Ju­gend­strei­chen in Ro­che­s­ter be­rich­te­te – er war jah­re­lang in Eng­land er­zo­gen – oder dass er von sei­nen küh­nen Se­gel­fahr­ten bis zum Nord­kap hin­auf be­rich­te­te. Sei­ner Er­zäh­lung mir ge­gen­über nach hat ihm die­se Lei­den­schaft fürs Se­geln den Hals ge­bro­chen, er kauf­te sich im­mer grö­ße­re und schö­ne­re Jach­ten und scheint bei der letz­ten Jacht einen Ver­si­che­rungs­be­trug be­gan­gen zu ha­ben, der ihn mit dem Ge­setz in Kon­flikt, zu­erst ins Ge­fäng­nis und dann in die­ses trau­ri­ge Haus brach­te. Wie ge­sagt, dies war die Ver­si­on, die er ganz bei­läu­fig und leicht­hin mir er­zähl­te.

      Wie ich spä­ter er­fuhr, war er an­de­ren Ge­fan­ge­nen ge­gen­über of­fen­her­zi­ger und ehr­li­cher ge­we­sen. Er war ei­ner von drei Söh­nen ei­nes Ro­sto­cker Kauf­manns, der ein sehr gu­tes Sport­ar­ti­kel­ge­schäft be­saß, ei­nes ver­mö­gen­den Man­nes, der sei­nen Söh­nen eine gute Er­zie­hung ge­ben konn­te. Aber mit dem Jüngs­ten, eben dem Hans, woll­te und woll­te es nicht gut ge­hen.

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