Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada Gesammelte Werke bei Null Papier

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flog ein Stück Brot zu mir her­über, und er lach­te herz­lich, wenn ich es mir un­ge­schickt auf­fing; über dem La­chen schon hat­te er ganz ver­ges­sen, dass er mir eben et­was sehr Kost­ba­res ge­schenkt hat­te, für das ich ihm dank­bar zu sein hat­te. So war er; ohne Erin­ne­rung. So steht er vor mir: ohne Ver­gan­gen­heit und Zu­kunft, nur dem Tage le­bend, dem Tag hin­ge­ge­ben, in der Mi­nu­te wei­lend.

      Mir aber mach­te es Kum­mer, dass ich mich so von ihm be­schen­ken ließ, dass ich sei­ne Ge­sell­schaft, sein lie­bens­wür­di­ges Ge­plau­der hin­nahm, ohne ir­gend­wie mei­ne tie­fe Dank­bar­keit zu zei­gen. Wer war ich schon? Ein klei­ner, mit­tel­mä­ßi­ger, ent­gleis­ter Kauf­mann! Ja, kei­ne drei Tage, und ich ge­hör­te zu den er­ge­bens­ten Be­wun­de­rern Hans Ha­gens. Nicht zu sei­nen blin­des­ten – ich durch­schau­te ihn schnell ge­nug. Ich schlief schlecht, ich hat­te jede Nacht vie­le Stun­den, über Hans Ha­gen nach­zu­den­ken, ich war es müde, im­mer nur über Mag­da und mein trau­ri­ges Schick­sal zu grü­beln. Ja, ich zer­brach mir den Kopf, wie ich ihm dan­ken könn­te, aber ich hat­te ja nichts, gar nichts. Ich war der Al­lerärms­te im Bau. So bin ich für im­mer in Hans Ha­gens Schuld ge­blie­ben.

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      Es ge­hör­te zu den Un­be­greif­lich­kei­ten un­se­rer Ver­wal­tung, dass sie in die­ser Schar von sechs­und­fünf­zig ab­ge­leb­ten, tie­ri­schen und ver­bre­che­ri­schen Män­nern auch zwei jun­ge Bur­schen le­ben ließ, einen Sieb­zehn- und einen Acht­zehn­jäh­ri­gen. Man hät­te den­ken sol­len, dass die­ses Haus, des­sen Wän­de stän­dig von Zo­ten, Flü­chen, Strei­te­rei­en wi­der­hall­ten, des­sen At­mo­sphä­re von Hass und Nie­der­tracht ge­tränkt war, al­les an­de­re als ein ge­eig­ne­ter Er­zie­hungs­ort für Ju­gend­li­che war, vor de­nen noch ein gan­zes Le­ben lag. Aber sie wa­ren un­ter uns, nicht nur vor­über­ge­hend, son­dern für die Dau­er, sie teil­ten un­se­ren Schlaf­saal, un­se­ren Tisch und un­se­re Ar­beit. Ich zwei­fe­le auch nicht dar­an, dass sie un­se­re Art zu den­ken und zu füh­len teil­ten, und wenn sie et­was von uns Äl­te­ren un­ter­schied, so dies, dass ihre Schlech­tig­keit wohl von ei­nem Schim­mer der Ju­gend ver­klärt, aber be­rech­nen­der und fei­ler war als die un­se­re.

      Es wa­ren bei­des hüb­sche Jun­gen; der eine, Kol­zer mit Na­men, schei­det hier bei mei­nem Be­richt über Hans Ha­gens selt­sa­me Le­ben­sum­stän­de ganz aus, viel­leicht spre­che ich spä­ter in an­de­rem Zu­sam­men­hang noch von ihm. Der an­de­re, der Acht­zehn­jäh­ri­ge, Schmeid­ler hieß er, ge­hör­te zu Hans Ha­gens engs­tem Kreis. Wei­ter ge­hör­te zu die­sem engs­ten Kreis noch der schon oben er­wähn­te Lies­mann, der fins­te­re wort­kar­ge Schlä­ger mit dem schwar­zen Le­der­lap­pen vor dem rech­ten Auge, und, auch zu die­sem Kreis ge­hö­rig, eine lan­ge, selt­sa­me, et­was don­qui­chot­te­haf­te Fi­gur von neun­und­zwan­zig Jah­ren, ein hal­ber Pole, Bra­cho­wi­ak mit Na­men.

      All die­sen Drei­en war, im Ge­gen­satz zu Hans Ha­gen, ge­mein­sam, dass sie seit ih­rem sechs­ten Jah­re in öf­fent­li­chen An­stal­ten ge­we­sen wa­ren. Sie wa­ren im Wai­sen­haus un­ter­ge­bracht ge­we­sen und in der Für­sor­ge­er­zie­hung, sie hat­ten ins Ge­fäng­nis ge­musst und wa­ren schließ­lich in die­sem Hau­se ge­lan­det. Ob­wohl sie sich im­mer ge­gen sei­nen Zwang auf­lehn­ten und über ihn murr­ten, fühl­ten sie sich doch nur wohl in sol­chen Häu­sern, ihre ver­gif­te­te At­mo­sphä­re war ih­nen Le­ben­sa­tem. Alle drei wa­ren schon mehr­fach pro­be­wei­se in die Frei­heit ent­las­sen wor­den, und alle drei hat­ten sich in ihr nicht be­währt: Schon nach vier, sechs Wo­chen wa­ren sie wie­der in die fes­ten Häu­ser zu­rück­ge­kehrt, meist zu­erst in ein Ge­fäng­nis, da sie drau­ßen jede Ar­beit scheu­ten und nur von Dieb­stahl le­ben woll­ten.

      Mit ei­nem un­gläu­bi­gen Er­stau­nen hör­te ich zu­erst, dass Lies­mann, den ich stän­dig in des strah­len­den Ha­gen Nähe sah, der sein ver­trau­tes­ter Freund war, mit dem al­les ge­teilt wur­de, dass also Lies­mann der­je­ni­ge war, mit dem sich der Kö­nig Ha­gen so wild ge­schla­gen hat­te, dass ihm das acht Wo­chen stren­gen Ar­rest ein­ge­tra­gen hat­te. Aber ich muss­te es glau­ben, ich hör­te es vom Ober­pfle­ger selbst, dass, von klei­ne­ren Schlä­ge­rei­en ab­ge­se­hen, Ha­gen sich schon drei­mal »er­folg­reich« mit Lies­mann ge­prü­gelt hat­te: Ein­mal hat­te er ihm die Kinn­la­de aus­ge­renkt, ein­mal die Hand durch­sto­chen und beim letz­ten Mal ihm das Auge so ver­letzt, dass Lies­mann die Seh­kraft dar­auf fast völ­lig ein­ge­büßt hat­te.

      Ja, ich muss­te es schon glau­ben, denn Ha­gen selbst war es, der ein­mal die schwar­ze Klap­pe von Lies­manns Auge fort­zog, mir das star­re, fins­te­re Auge zeig­te und sag­te: »Da habe ich dem Hein rein­ge­schla­gen. – Kannst du jetzt schon wie­der ein biss­chen se­hen, Hei­ni?« Rüh­rend be­sorgt klang das.

      »So, als hät­te ich zu lan­ge in die Son­ne ge­se­hen …«, ant­wor­te­te Lies­mann fried­lich.

      Ja, sie wa­ren die bes­ten Freun­de, sie sorg­ten für­ein­an­der. Lies­mann ging los und schaff­te Ta­bak an, er er­press­te die Schwä­che­ren be­den­ken­los, schlug sie, und den Raub teil­ten sie sich dann. Sie sorg­ten für­ein­an­der, und dann schlu­gen sie sich, schlu­gen sich nicht nur soso, son­dern auf Tod und Le­ben, auf »du musst ver­re­cken«, von ei­ner blin­den, wü­ten­den Ei­fer­sucht an­ge­trie­ben. Denn da war die­ser klei­ne, hüb­sche, acht­zehn­jäh­ri­ge Ben­gel Schmeid­ler, die­se männ­li­che Hure, die im All­ge­mei­nen fried­lich zwi­schen den bei­den ge­teilt wur­de. Und dann hat­te der Ge­org, der Ot­sche Schmeid­ler, den einen von bei­den ein biss­chen be­vor­zugt, so ent­brann­te der Kampf.

      Es war al­les wie drau­ßen, wie in der schö­nen Frei­heit, es hät­te ja nicht der Hans Ha­gen sein müs­sen, wenn er sich nicht auch in die­sem To­ten­haus die Genüs­se der Lie­be ver­schafft hät­te, ei­ner ver­derb­ten, fins­te­ren Lie­be, aber doch der Lie­be, mit al­len ih­ren Won­nen und Ge­fah­ren. Die­ser Jun­ge mit dem blon­den ge­well­ten Haar, den blau­en Au­gen, ei­nem fast grie­chi­schen Pro­fil mit stei­ler Nase und fes­tem Kinn, da lief er zwi­schen die­sen Män­nern um­her, im kur­z­en Hemd tüf­fel­te er mor­gens in den Wasch­saal, sei­ne schlan­ken wei­ßen Glie­der be­fleck­te noch kei­ne Schweins­beu­le – sie wen­de­ten die Köp­fe nach ihm, in ihre Au­gen kam ein Leuch­ten, ihr Herz poch­te schnel­ler – im trost­lo­sen Haus war die­ser Tag wie­der nicht ganz trost­los! Die Lie­be, auf dem Müll­hau­fen eine Blu­me, sie ver­wirr­te die­ses Haus; an­de­re Män­ner stri­chen lüs­tern am Ran­de die­ses Krei­ses und wag­ten sich nur nicht zu nä­hern, weil sie die rohe Ge­walt Lies­manns und die lis­ti­gen Jiu-Jit­su-Grif­fe Ha­gens fürch­te­ten.

      Schmeid­ler aber, das Kind, die Hure, ließ auch die­se fer­nen, stum­men Ver­eh­rer nicht au­ßer Acht. Er »koch­te sie ab«, er nahm ih­ren letz­ten Ta­bak, für ein Lä­cheln be­kam er Brot, für einen ra­schen zärt­li­chen Griff das bes­te Stück aus dem eben an­ge­kom­me­nen Fress­pa­ket. Oh, er sorg­te auch für den ge­mein­sa­men Haus­halt, der Ot­sche Schmeid­ler, er ließ sich nicht nur aus­hal­ten, er steu­er­te auch bei. Und sei­ne bei­den Freun­de wa­ren groß­zü­gig, sie wa­ren Le­be­män­ner, sie drück­ten ein Auge zu, kurz ge­sagt, auch der char­man­te Hans Ha­gen war ein Zu­häl­ter, nichts mehr und nichts we­ni­ger. Er ließ sei­ne Jun­gens­hu­re

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