Amerikanische Reise 1799-1804. Alexander von Humboldt

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Amerikanische Reise 1799-1804 - Alexander von  Humboldt Edition Erdmann

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und Forschungsreisen leider auch viele Missklänge und Unmenschlichkeiten vorangegangen und gefolgt sind. Die humanitäre Größe dieser Reise, die selbst Goethe verehrte und der alte Kant noch verfolgte, ließ manche späteren Gräuel umso schmerzlicher werden.

      Diesem einführenden Text wurden Sätze aus Goethes Roman Die Wahlverwandtschaften vorangestellt. Welcher Leser wäre nicht neugierig, jetzt den Zusammenhang des Textes zu kennen? Denn Zitate können verfälschen, und tatsächlich könnte hier ein solches Beispiel vorliegen, wenn man weiterliest:

      »Ein Naturalienkabinett kann uns vorkommen wie eine ägyptische Grabstätte, wo die verschiedenen Tier- und Pflanzengötzen balsamiert umherstehen. Einer Priesterkaste geziemt es wohl, sich damit in geheimnisvollem Halbdunkel abzugeben; aber in den allgemeinen Unterricht sollte dergleichen nicht einfließen, um so weniger, als etwas Näheres und Würdigeres sich dadurch leicht verdrängt sieht.

      Ein Lehrer, der das Gefühl an einer einzigen guten Tat, an einem einzigen guten Gedicht erwecken kann, leistet mehr als einer, der uns ganze Reihen untergeordneter Naturbildungen der Gestalt und dem Namen nach überliefert; denn das ganze Resultat davon ist, was wir ohnedies wissen können, dass das Menschengebild am vorzüglichsten und einzigsten das Gleichnis der Gottheit an sich trägt.

      Dem Einzelnen bleibe die Freiheit, sich mit dem zu beschäftigen, was ihn anzieht, was ihm Freude macht, was ihm nützlich deucht; aber das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch!«

      Wir scheinen tatsächlich vor einer großen Schwierigkeit zu stehen. Galt die Physikalische Geographie, die »physique du monde«, als Leitwissenschaft Humboldts nicht allein der Natur?

      Humboldt hat den Wert der Reiseliteratur wie wenige gekannt und z. B. immer wieder auf die bezaubernden Berichte seines »Lehrers und Freundes« Georg Forster hingewiesen. Waren diese Schilderungen noch Bücher über den Menschen, so zog Humboldt erstmals die Natur selbst breiter und zugleich wissenschaftlich begründet in die geographische Perspektive, ohne indessen den Menschen, seine Wirtschaft, seinen Wohlstand, seine Not, seine Sklaverei, seine Unterdrückung und seine Befreiung zu übersehen. Wenn Herder, Johann Reinhold Forster und Kant von »Physischer« oder »Physikalischer Geographie« sprachen, so fehlte in ihrer »Naturgeographie« (wörtliche Übersetzung von Physikalische Geographie) der Mensch ebenso wenig wie bei ihrem geistigen Schüler Alexander v. Humboldt. Das von Goethe zitierte Wort Alexander Popes findet sich auch beim älteren Forster und war allen hier Genannten wesentlich. Natur und Mensch waren damals noch nicht getrennt wie im Weltbild der meisten heute führenden jüngeren Geographen.

      Bonn und Eschwege, im Dezember 2008 Prof. Dr. Hanno Beck

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      Anmerkung: Die historische Orthographie und Zahlenschreibweise der Humboldt-Zitate wurde bewusst so belassen, um den Charakter der Originaltexte nicht zu verändern. Eine Ausnahme bilden die Textstellen, die vom Autor aus dem Französischen übersetzt werden mussten.

      Eine Tabelle der von A. v. Humboldt gebrauchten Maße findet sich auf S. 318, Anmerkung 28. – Hilfreich bei der Lektüre ist allgemein die »Karte der Jahreszeiten-Klimate der Erde« von Carl Troll und Karlheinz Paffen. In: Erdkunde (Bonn) 18. 1964, S. 5–28 (Erläuterungstext); die Karte findet sich auch im Atlas »Unsere Welt« (Velhagen & Klasing u. Hermann Schroedel), Berlin 1970, S. 128. – Im vorliegendem Werk werden die Zitate aus der überholten Übertragung Hermann Hauffs (siehe oben S.11) vergleichsweise mit denselben Passagen der Darmstädter Ausgabe (= DA) A. v. Humboldt zusammengestellt. So wird der Leser auf deren einzige vollständige deutsche Übersetzung des eigentlichen Reisetextes hingewiesen.

       »Ich hatte mir bei der Reise, deren Beschreibung ich nun folgen lasse, ein doppeltes Ziel gesetzt. Ich wollte die besuchten Länder kennenlernen, und ich wollte Tatsachen zur Erweiterung einer Wissenschaft sammeln, die noch kaum skizziert ist und ziemlich unbestimmt Physik der Erde, Theorie der Erde oder Physische Geographie genannt wird. Von diesen Zwecken schien mir der zweite der wichtigste zu sein. Ich liebte die Botanik und einige Teile der Zoologie mit Leidenschaft. Ich durfte mir schmeicheln, daß unsere Forschungen die bereits beschriebenen Arten um einige neue vermehren würden. Da ich aber die Verbindung längst beobachteter [Tatsachen] der Kenntnis isolierter, wenn auch neuer Tatsachen von jeher vorgezogen hatte, schien mir die Entdeckung eines unbekannten Geschlechtes weit minder wichtig als eine Beobachtung über die geographischen Verhältnisse der Vegetabilien, über die Wanderungen der geselligen Pflanzen und über die Höhenlinien, zu der sich die verschiedenen Arten derselben gegen den Gipfel der Kordilleren erheben.«

      Alexander v. Humboldt: Relation historique, I, 1814–1817

ALEXANDER V. HUMBOLDTS VORBEREITUNG EINER FORSCHUNGSREISE IN DIE TROPEN AMERIKAS

      1. DIE GESTALT DES FORSCHUNGSREISENDEN

       Der Forschungsreisende: ein von der Vernunft legitimierter Abenteurer der Aufklärung

      Jede Entdeckungsreise bedeutete ein Abenteuer und musste dem Rationalismus der Aufklärung verdächtig erscheinen, denn der Ausgang einer derartigen Unternehmung blieb stets mehr dem Wagemut als der Vernunft überlassen. Daher genügte der vorwiegend auf Abenteuer bedachte Entdeckungsreisende dem 18. Jahrhundert nicht mehr, und die Aufklärung schuf im Forschungsreisenden den von der Vernunft legitimierten Abenteurer, der nicht einfach hinauszog, sondern aufgrund wissenschaftlicher Vorbereitung gründlichere geographische Arbeit leistete und gleichzeitig seine eigene Sicherheit erhöhte. Darin liegt die Bedeutung dieser Epoche für die Geschichte der Reisen, und Alexander v. Humboldt sollte bald all diese Tendenzen vorbildlich verkörpern.

      Der Begriff des Forschungsreisenden wurde durch das Ziel konstituiert, das sich eine Persönlichkeit setzte, und durch die darauf eingestellte besondere Vorbereitung; sie wurde bald geradezu das Kennzeichen einer Forschungsreise. Carsten Niebuhr, James Bruce, Peter Simon Pallas, Louis Antoine de Bougainville, James Cook und Alessandro Malaspina wären ohne Vorbereitung nicht zu ihren großen Erfolgen gekommen. Wer Forschungsreisender sein wollte, musste bestimmte vorbereitende Aufgaben erfüllen, vor allem: ein Ziel haben, um seine Vorbereitungen darauf abzustellen.

      Dieses Ziel war in jedem Fall schon literarisch behandelt worden. Brach also der Reisende nach einer terra incognita auf, etwa in die Sahara, so gab es auch darüber bereits eine ausgiebige theoretische Literatur.

      Einen erheblichen Fortschritt bedeuteten gegenüber früheren Reisen auch die besseren Instrumente, mit denen man die räumliche und geistige, d. h. die geographische Erschließung eines unbekannten Landes sofort und viel gründlicher als die früheren Entdeckungsreisenden eröffnen konnte. Mehr und mehr kamen Forschungsreisende auch in Länder, die räumlich bereits entdeckt waren, geistig aber noch erschlossen werden mussten. Über russische, asiatische, südamerikanische und afrikanische Landschaften gab es um 1800 bereits eine erstaunlich umfangreiche Literatur. Indem der Forschungsreisende sie auswertete, ergänzte er die allgemeine Vorbereitung des Entdeckers um die spezielle Präparation, die auf einen bestimmten Ausschnitt der Erdoberfläche zielte. Dieser historisch verfolgbare Prozess bezeugt die Intensivierung der Forschung, die sich zunächst freilich auf die Literatur beschränkte und sich noch nicht auf die Instrumente erstrecken konnte. Übungen mit Beobachtungswerkzeugen gehörten damals ausschließlich in den Bereich der allgemeinen Vorbereitungen des Reisenden, erst die spätere wissenschaftliche Entwicklung hat das Instrumentarium verfeinert.

      Überraschenderweise können wir bei der Erörterung der Reisevorbereitung wichtige Charakterzüge A. v. Humboldts erkennen: Geheimniskrämerei, wie sie vielen Gelehrten bis zum heutigen Tage eignet, und vor allem Bekenntnisse, meist aus späterer Zeit, die indessen so gut wie nicht gewürdigt, ja meist überhaupt

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