Amerikanische Reise 1799-1804. Alexander von Humboldt
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In Jena vermutete man damals eine bevorstehende Bindung Alexanders an die schöne und kluge Amalie v. Imhoff49. Man vermutete viel und wusste wohl im Grunde – wie wir Heutigen – sehr wenig. Ihre Mutter, Luise geb. v. Schardt, war eine Schwester der Frau v. Stein und hatte den Freiherrn Karl v. Imhoff geheiratet, einen geschiedenen Mann, der eine wahrhaft abenteuerliche Lebensgeschichte erzählen konnte. Kurz nach dem Siebenjährigen Krieg hatte er Marianne Chapunet, die schöne Tochter eines Feldwebels, geheiratet und war mit ihr 1769, in Alexanders Geburtsjahr, nach Ostindien gefahren. Zufällig war auch Warren Hastings an Bord, verliebte sich auf den ersten Blick in Marianne und verstand es, den Ehemann finanziell abzufinden und zu beruhigen. Marianne und Imhoff warteten zwei Jahre in Madras und Kalkutta in der Nähe Hastings’ auf die Scheidungsurkunde aus Deutschland. Hastings zahlte eine beträchtliche Summe, und der Freiherr kehrte in seine Heimat zurück. Die Eltern der neuen Braut hatten Angst, ihre Tochter könnte unverehelicht bleiben, und stimmten einer Verbindung mit v. Imhoff zu, dem man nicht mit Unrecht nachsagte, er habe seine erste Frau verkauft.50
Amalie war 1776 geboren worden. In den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts wurde sie mit ihren beiden jüngeren Schwestern als »schön, klug und talentvoll« bezeichnet.51 Alexander soll ihr sehr nahegekommen sein. Er war »fast schon ihr erklärter Bräutigam« und begegnete ihr in der Wohnung Schillers und seines Bruders. Die drei Schwestern Imhoff »waren sich ihrer Vorzüge allzu sehr bewußt, eitel, preziös und oft genug auch herzlos; wie ihr Vater neigten sie zur Unzufriedenheit. Charlotte [v. Stein, ihre Tante,] sah häufig mit Grimm, daß diese Mädchen weder für ihre Mutter, noch Großmutter, weder für Onkel und Tante, noch auch für ihre Anbeter eine echte, tiefe, zu Dienst und Opfer bereite Liebe in sich trugen. Bei dem Wunderwesen Amalie zumal schienen die Gefühle aus der Phantasie statt aus dem Herzen zu kommen und ganz wieder von Werken der Imagination verzehrt zu werden. Trotzdem glaubten nicht wenige Männer in Amalie die vollkommenste ihres Geschlechts zu erblicken.«52 – »Frau v. Stein erklärte, ihr sei es lieb, den Alexander Humboldt zum Neveu zu haben …«, und selbst Caroline v. Humboldt »beschenkte bereits die künftige Schwägerin«.53 Caroline betrachtete damals Amalie nicht unkritisch. Am 5. April 1797 teilte sie ihrem Mann mit, »die Amalie ist gestern abend angekommen und gefällt Burgsdorff sehr, ob gerade genug zum Heiraten weiß ich noch nicht. Auf alle Fälle wird die Hochzeit noch nicht vorbei sein, wenn Du kommst«.54 Alexander war »wieder kränker«55, es hatte sich schon bald entschieden, dass Amalie ihn nicht fesseln konnte.56 Er wollte seine Reise ausführen, und diese Pläne nahmen all seine Gedanken in Anspruch. Einige Wochen später schrieb Caroline, Alexander scheine »in Weimar sehr fetiert worden zu sein«, er habe »sich über den Herzog, Goethe und alle Menschen, außer über die Amalie« mokiert57, die ihn umso mehr beeindrucken konnte, weil sich damals seine Beziehung zu Henriette Herz gelockert hatte.
5. REISEVORBEREITUNGEN IN DRESDEN
Wagen – Kinder – Gepäck
Am 18. April 1797 teilte A. v. Humboldt Freiesleben mit, er bereite sich auf seine »westindische Reise jetzt sehr ernsthaft« vor.58 Dieser Präparation sollte auch eine Fahrt nach Italien dienen, der sich der Bruder Wilhelm und Goethe anschließen wollten. Alexander plante vulkanologische Studien am Vesuv und allgemeine geographische Untersuchungen, alles im Hinblick auf seine spätere Forschungsreise. Seinen älteren Bruder und Goethe drängte es nach der Begegnung mit Schauplätzen und Kunstwerken der Antike. Reinhard v. Haeften war mit seiner Frau Christiane eingetroffen. Er hatte wie Alexander den Abschied genommen.59 Dem Dichter war die Reisegesellschaft zu zahlreich und quecksilbrig. Er wies auf Unruhen in Oberitalien hin und wollte schließlich für sich fahren.60 Am 17. April 1797 ging Wilhelm v. Humboldt nach Berlin, um Nachlassangelegenheiten seiner Mutter zu ordnen. Nebenher überwachte er beim Buchhändler Vieweg den Druck von Goethes Hermann und Dorothea. Er dachte damals an einen Verkauf Tegels, wurde aber von seiner Frau ermutigt, den Besitz zu halten.61 Er als Familienvater mit Kindern war an solchen Regelungen mehr interessiert als der ledige Bruder, der sich in dieser Beziehung etwas treiben ließ. Kunth hatte in Berlin zwar alles redlich, aber auch »mit einer großen Trägheit eingerichtet«. Er hielt Wilhelm auf, saß stundenlang bei ihm und schwatzte »von nichts«; von seiner Herrin sprach er »gar nicht mehr«. Alles war »begraben und vergessen«, so dass es Wilhelm »selbst oft dauert«.62 Er traf den Minister Graf v. Haugwitz an, der den Wunsch geäußert hatte, Tegel zu mieten, und ihm Empfehlungen »durch ganz Italien« anbot.63
Am 31. Mai 1797 folgte die Reisegesellschaft vor allem Alexanders Wünschen und brach zunächst nach Dresden auf. Damit nahm sie bereits zu Beginn der Italienreise einen erheblichen Umweg in Kauf. Doch war alles vorher abgesprochen worden; denn Alexander wollte beim Inspektor Köhler die Anwendung seines neuen 14-zölligen Hadleyschen Sextanten üben und nochmals mit Werner in Freiberg sprechen.64 Kunth und Wilhelm v. Humboldt sollten sich in Dresden mit der Reisegesellschaft treffen, um die Erbteilung endgültig zu regeln. Wilhelm war der Umweg recht wegen der Kunstschätze und der Anwesenheit Körners.
Die politischen Umstände waren der Reise ungünstig. Bonaparte war 1796 in Oberitalien vorgedrungen und hatte die Österreicher geschlagen; am 2. Februar 1797 hatte sich Mantua ergeben. Bonaparte drang über die Ostalpen nach Wien vor. Gleichzeitig marschierte die Rheinarmee unter Moreau wieder in Süddeutschland ein. Das schnelle Vorrücken veranlasste Kaiser Franz II., seine Völker zur Massenerhebung aufzurufen. Bonaparte schloss am 18. April den Vorfrieden zu Leoben. Er kehrte nach Oberitalien zurück, besetzte Venedig und errichtete in Genua am 6. Juni 1797 die Ligurische Republik. Die Friedensverhandlungen zögerten sich hinaus, weil die Österreicher den hohen Forderungen der Franzosen nicht zustimmen konnten.
Die Haeftens hatten ihre zwei Kinder mitgebracht und so viel Gepäck, dass Alexander nicht in ihrem Wagen mitfahren konnte. Die Reisegesellschaft war durch die fünf Kinder, die Frauen in ihrer modischen Tracht, das Dienstpersonal und durch »4 Kisten«65, die Alexanders Instrumente enthielten, recht unbeweglich. Man reiste in mehreren Wagen und kam Anfang Juni in Dresden an.
Nach acht Tagen kam auch Wilhelm von Humboldt. Er verkehrte mit Körner, dem Freund Schillers, mit dem Bibliothekar und Sprachforscher Adelung und dem preußischen Gesandten, dem Grafen von Kessler, und bewunderte die Kunstschätze. Alexander aber übte sich, wie er es beabsichtigt hatte66, unter Anleitung Johann Gottfried Köhlers in der Anwendung der Instrumente und nahm regelrechte astronomische, geodätische und hypsometrische Übungen vor. Köhler stammte aus der Umgebung Dresdens; er war einer der führenden Astronomen Deutschlands. 1776 war er zum Inspektor der Vereinigten Dresdner Sammlungen, der Kunstkammer und des Mathematischen Salons ernannt worden und musste in dieser Eigenschaft auch astronomische Arbeiten ausführen. Er hatte mehrere Apparate erfunden und arbeitete mit v. Zach zusammen. Auf dem internationalen Astronomenkongress 1798 auf dem Seeberg führte er seine verbesserte Pendeluhr vor.67 In und um Dresden, Pillnitz, Königstein, Teplitz und Prag hat Humboldt mit ihm oder allein astronomische Ortsbestimmungen und barometrische Messungen durchgeführt.68 Außerdem besuchte er die Mineraliensammlung des Freiherrn Joseph Friedrich v. Racknitz, die spanische und amerikanische Mineralien enthielt.69 Vielleicht hat er in diesem Umkreis auch den Baron v. Forell, den Bruder des sächsischen Gesandten in Madrid, kennengelernt, der ebenfalls eine vorzügliche Gesteinssammlung besaß. Jedenfalls gab es damals gute Verbindungen von Dresden nach Madrid. Sie sollten für ihn einmal sehr wichtig werden.
Zwischendurch reiste er von Dresden nach Freiberg – mit ängstlichen Gefühlen, da er befürchtete, in seinem Gedächtnis vielleicht ein zu schönes Phantasiebild der vergangenen Zeit bewahrt zu haben. Doch Freiberg, seine Landschaft und seine Gruben hatten