Amerikanische Reise 1799-1804. Alexander von Humboldt
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Alexander nahm ein zwei Monate dauerndes Privatissimum und arbeitete in dieser Zeit täglich fünf bis sechs Stunden im anatomischen Theater, um sich auf seine »Westindische Reise« vorzubereiten.34 Er hielt nicht viel von Loder und meinte, er sei »sehr kopflos«, aber das »Mechanische« lerne man gut bei ihm.35 Loder war ein vorzüglicher Redner und als Organisator größer denn als Forscher. Seit 1794 waren seine »Anatomischen Tafeln« (1794–1803) mit deutschem und lateinischem Text erschienen. Sie hatten sehr zu seinem wissenschaftlichen Ansehen beigetragen, weil solche Hilfsmittel damals selten waren. Er hatte als frühreifes Talent bereits mit 19 Jahren Eulers Lettres à une Princesse d’Allemagne und ein Jahr später die Erzählung von den Reisen des hochbegabten Russen Stephan Petrowitsch Krascheninnikov in Kamtschatka übersetzt.36 Diese Gespräche mussten Alexander, der die russischen Reisen der beiden Gmelin und Pallas gut kannte, sehr beeindrucken. Und sein absprechendes Urteil mag nun in einem milderen Licht erscheinen; denn Alexander stellte in Jena »Geisteslähmung unter den Lehrern, aber Geistesthätigkeit unter den jungen Leuten« fest.37 Er lebte daher hauptsächlich mit diesen, d. h. mit dem jungen Johannes Fischer und den Brüdern Keutsch, die in zwei Jahren, also 1799, nach Westindien zurückkehren wollten. Vielleicht würde er mit ihnen reisen. »Auf jeden Fall ist mir diese Bekanntschaft sehr wichtig, so wie die Aussicht, daß ein sehr reicher junger Russe Böhtlingk aus Petersburg, ein Mensch, mit dem ich in Hamburg 1 Jahr lang auf einem Zimmer wohnte, wahrscheinlich mit mir geht, jener Expedition mehr Sicherheit giebt«, schrieb er im Mai 1797.38
Je länger Humboldt in Jena lebte, desto näher musste er den Brüdern Keutsch kommen. In seinen Versuchen über die gereizte Muskel- und Nervenfaser nannte er sie an mehreren Stellen. Die wichtigsten Passagen lauten: »Der merkwürdige Versuch, Contractionen zu erregen, ohne alle kettenförmige Verbindung der Excitatoren (Fig. 9) ist in den letzten Tagen des Merzes 1797 meinem Freunde, dem älteren Herrn Keutsch (aus St. Thomas in Westindien) geglückt. Dieser treffliche junge Mann, welcher die feinsten anatomischen und physiologischen Kenntnisse mit einander verbindet und dessen Beobachtungen ich in der Folge noch öfter anführen werde, hatte einen sehr lang präparirten Ichiadnerven mit Zink armirt.« Ebenso: »An einem großen Hunde, der erdrosselt wurde, stellte ich mit meinen Freunden Herrn Keutsch, Fischer aus Lenzburg und dem jüngeren [Elias] Siebold mehrere Versuche mit Alkalien, Opium und anderen Stoffen an.« Und: Ich »eilte … zu meinen Freunden, den Herren Keutsch, mit denen ich die wichtigsten Experimente gemeinschaftlich anzustellen pflegte«.39
Aus einem Schreiben, das Humboldt an Freiesleben richtete, tut sich wiederum kund, wie ernst er die vorbereitenden Arbeiten nahm: »Ich lebe nun schon seit dem 1. März in Jena ganz mit meinem Buche, chemischen Versuchen und Anatomie beschäftigt. Ich bin recht eigentlich in ein Studentenleben zurückgetreten, denn meine Sphäre ist eng und ganz auf mich selbst eingeschränkt … Da ich mich zu meiner westindischen Reise jetzt sehr ernsthaft vorbereite und mich dort vorzüglich mit den organischen Kräften abzugeben gedenke, so ist Anatomie jetzt mein Hauptstudium.«40 Der Umgang mit den Brüdern Keutsch und die Gespräche über deren westindische Inselheimat gehörten für Humboldt zur speziellen Präparation. Diese mündlichen Berichte wurden durch das Studium von Reisewerken ergänzt. So kannte Humboldt z. B. bis in die Einzelheiten hinein La Condamines und Bouguers Gradmessungsexpedition (1735–1745), die durch die Hilfe eines einheimischen Spaniers, Maldonados, in gewisser Weise gekrönt worden war. Er studierte Mark Catesbys Natural History of Carolina, Florida and the Bahama Islands41 und Joseph Gumillas Orinocowerk. Sehr gründlich beschäftigte er sich mit Solanos und Iturriagas spanischer Grenzexpedition (ab 1750), die mit modernen Instrumenten ausgerüstet war und zum oberen Orinoco geführt hatte. Besonders liebte er William Dampier, den er den feinsinnigsten Reisebeschreiber nannte, und die im Anhang seines Reisewerks mitgeteilten Schilderungen des Bukaniers Lionel Wafer, der die Landenge von Panama, Darien und westindische Inseln bereist hatte.42
Alexander war in diesen Monaten auf Lernen und auf die Ordnung des Gelernten konzentriert. »Ich muß gewaltig arbeiten, um mich so zu rüsten, als ich es vorhabe; daher wundern Sie sich nicht, mein Lieber, wenn Sie ewig von neuen Arbeiten hören. Freilich kann ich nicht existiren, ohne zu experimentiren, aber der eigentliche Zweck meines Treibens ist es jetzt nicht …«43 Seine Experimentierlust wurde von der gründlichen allgemeinen und speziellen Präparation gedämpft, aber nicht gebrochen und steckte selbst Goethe und Wilhelm v. Humboldt an, der oft gemeinsam mit dem jüngeren Bruder Tiere sezierte, um den Einfluss des Galvanismus in und auf ihrem Körper zu studieren.
Im kleinen und großen Kreis wurden die Untersuchungen besprochen, so auch einmal eines Abends bei Schiller, als Freiesleben dort weilte und zuhörte, wie sich die Brüder Humboldt und Goethe über ihre zoologischen Präparate unterhielten. Schiller nahm nach Freieslebens Zeugnis nicht an diesem Gespräch teil44, obgleich er als Mediziner der Naturforschung nicht fremd gegenüberstand. Er schätzte die moderne Art nicht, die Alexander vorbildlich vertrat, weil sie ihm zuviel zerstörte, den Glanz, den ein unscheinbares Phänomen ausstrahlte, zu übersehen schien. Er fürchtete, dass die Erkenntnis nur auf das wissenschaftlich Bestätigte, Erwiesene beschränkt werden könnte, und vermutete, dass Alexander dieser Gefahr nicht entginge. Wir brauchen aber nur auf Humboldts Werke und auf die Gesinnung, die sie hervorrief, zu verweisen oder den umfassenden Begriff der Physikalischen Geographie zu nennen, um diese Einschränkung zu bannen (vgl. auch unten S. 15 f.).
Wichtiger als die Experimente selbst war der Geist, der ihre Untersuchungsmethodik bestimmte. Die Darstellungsweise seiner späteren Werke, der Geist der Humanität, den sie ausstrahlten, sind im lebendigen Umgang mit Goethe, Schiller und Wilhelm v. Humboldt erneut empfangen worden, und nie entfernte sich Humboldt von der Auffassung der deutschen Klassik.
Goethe und Alexander v. Humboldt waren durch die Naturwissenschaften, Schiller und Wilhelm v. Humboldt durch die Philosophie verbunden. Trotz früher Beschäftigung mit Leibniz und Spinoza war Alexander nicht zu einer systematischen Übersicht gelangt. Jacobi hatte er mit Recht bald vergessen, und nur Kant hatte ihm mehr zu sagen.45 Seine philosophischen Einsichten wurzelten sehr stark in dem Bemühen, seiner Arbeit eine einwandfreie, von Verstand und Vernunft kontrollierte naturwissenschaftliche Grundlage zu verschaffen. Zwischen Naturwissenschaft und Naturphilosophie gab es damals keine klaren Grenzen. Indem Humboldt um eine wissenschaftlich stichhaltige Methode rang, strebte er mehr zur exakten Naturforschung als zur spekulativen Naturphilosophie und musste zwangsläufig zur Scheidung beider Disziplinen beitragen. Während Goethe von Ideen ausging, die Forderungen an den Stoff bedeuten konnten, verlangte Humboldt nichts vom Stoff, sondern mehr von der Methode, die dem Gegenstand entsprechen musste. Dabei erlangte Alexander durch sein verbindliches Wesen Goethes Wohlwollen, weil er es verstand, das Gemeinsame mehr als das Trennende zu betonen. Zu Fichte und Schelling, der erst seit 1798 in Jena wirkte, hatte er so wenige Beziehungen, dass dies fast einer Ablehnung gleichkam.
Auf dem Boden gegenseitiger Hochachtung konnte Alexander Goethe und den Herzog Karl August für ein Reisestipendium für Scheerer gewinnen. Der »arme Scheerer« war aufgrund seines Eintretens für ihn bereits Bergrat geworden. Karl August versprach, ihn in seinen Dienst zu nehmen und »auf technische Chemie« nach England zu senden.46 Ebenso arbeitete Alexander dem Herzog ein »Promemoria« an Graf Reden für Herders Sohn aus, das dessen Laufbahn günstig beeinflusst haben dürfte.47
4. BEGEGNUNG MIT AMALIE V. IMHOFF
»Schön, klug und talentvoll«
Ein Bild des deutschen Malers Daniel Caffe, das vermutlich in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts entstanden ist (vgl. BECK: A. v. Humboldt I, Titelbild) zeigt, wie sehr Alexander v. Humboldt trotz rastloser wissenschaftlicher Arbeit doch jene besondere Liebenswürdigkeit ausstrahlte, die er sich bis