Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Aber lieber großer Gott,1 wie rissen wir Männer erst die Augen auf, als jetzt der Herr gleich auf einmal bei dem Wirt, der zugleich auch Metzger war, vier große Fass Bier und auch ein halbes Schwein bestellte! Uns allen lief das Wasser im Mund zusammen, als wir das viele Fleisch sahen und das viele Bier. Aber das Beste kam erst nach! Der Wirt musste auch ein paar Flaschen Branntwein und eines der Mädchen einen ganzen Laib Käse und eine Schüssel voll Heringe bringen.«
Die Freude war, wie wir sehen, groß, aber als die Leute dem Herrn danken wollten, der große Gott möge es ihm wieder einbringen, wurde er zornig und sagte: Ich will nichts von Dank hören, macht Euch einen schönen Tag. Da sagten sie nichts mehr, um ihn nicht aufzubringen aus Furcht, er lasse am Ende die guten Sachen wieder fortnehmen. Diese wurden nun hinaus auf den Lagerplatz bei den Wagen gebracht, wo gesungen, getanzt und musiziert werden sollte. Doch zuvor mussten einige von den Burschen nochmals zurück mit Eimern, die der Herr mit Wein füllen ließ.
»Dann, liebe Freunde«, fährt der Berichterstatter fort, »ging es los an ein Kochen, Braten und Essen. Das Beste kam zuerst: Branntwein und Heringe. Die Kinder bekamen Kuchen und Kaffee. Die Instrumente wurden aus den Wagen geholt, gestimmt und Musik gemacht, gesungen und getanzt. Überall und mitten drin war der Herr. Schon von weitem sah man ihn unter allen, mit seinem schönen grünen Anzug, dem grünen Hut und der großen Feder darauf. Er lachte immer und sagte bloß: Esst, trinkt, singt und tanzt, spielt und seid lustig! Mit den Händen schlug er den Takt zum Tanz. Seine Augen schossen Blitze. Die Freude und das Vergnügen war überall groß.«
Unter der ausgelassenen Fröhlichkeit kam die Mitternacht heran. Mond und Sterne blinkten durch die warme heitere Nacht. Ein Teil der Männer lag bezecht am Boden, die anderen saßen um das Lagerfeuer, als man plötzlich entdeckte, dass der Herr nicht mehr da war. Nur die Moadl hatte ihn noch einen Augenblick gesehen, als er ihr für den Täufling ein paar Goldstücke gab, die sie noch in der Hand hielt. Gleich darauf war er spurlos verschwunden, geheimnisvoll wie er gekommen war. Man rief und suchte nach ihm vergebens, und auch am andern Morgen war im Dorfe keine Spur mehr von ihm zu erfragen. Um zwölf Uhr war er erschienen, um zwölf Uhr war er gegangen: genau von Mittag bis Mitternacht hatte die Herrlichkeit gedauert. Jetzt kamen alle zur Besinnung. Die Moadl, die allein an der allgemeinen Lust keinen Teil genommen und auch von den Leckerbissen nichts berührt, sondern nur immer angstvoll das Kind festgehalten hatte, damit keine böse Macht es ihr entwende, die kam jetzt mit ihrem Vorgefühl zu Ehren. Die Moadl war ja als Wahrsagerin weit bekannt, die Moadl hatte gleich das Rechte gewusst. Die Stimmung schlug völlig ins Gegenteil um. Und als jetzt mit einem Male ein Flug Raben hässlich krächzend über das Lager strich, da zweifelte niemand mehr an den Worten der Moadl, die ein Unglück weissagte. Der Fremde, den sie eben noch begeistert gepriesen hatten – wie gut für ihn, dass er sich aufs spurlose Verschwinden verstand! –, der hatte sie alle verhext, denn er war kein anderer als der Böse in Person.
Und nun kam ein trauriges Nachspiel: das Kind der Moadl schrie nach seinem Weggang unaufhörlich, es nahm keine Nahrung mehr, wurde krank und starb. Der leidenschaftliche Jammer der Mutter und ihr Selbstvorwurf prägten es allen tief in die Seele, dass sie sich jenes Tages mit Teufelsgold erlustigt hatten. Und von da ab mieden die Zigeuner jene bevorzugte Waldstelle, die so schön zum Lagerplatz geeignet gewesen. – Soweit der Bericht.
Nachdem ich zu Ende gelesen, legte ich das Blatt kopfschüttelnd beiseite und verwies die Mutmaßung des Übersetzers, dass es sich um meinen Vater auf seiner Studienreise zu den Zigeunern gehandelt habe, zu anderen überkühnen literarischen Hypothesen. Aber als ich mir dann mit geschlossenen Augen die Gestalt des Fremden inmitten der Zigeunerschar vorzustellen suchte, meinte ich plötzlich eine Gebärde zu erkennen, die mir vertraut war. Nicht durch den Augenschein, denn ich habe meinen Vater nur in der Zeit gekannt, wo er still und in sich verschlossen unter den Menschen ging, sondern aus der Schilderung des »Waldfegerleins«, für deren Leben er den einen, großen und dauernden Inhalt gebildet hat. So hochgemut und mit so schenkender Gebärde ging er durch alle Erinnerungen des Kindes, wobei das Kind sich ebenso wie das Naturvolk, wenn auch nicht in so ungeheuerlichem Maßstab, die Größe der Gaben übertrieb. Gewiss ist, dass mein Vater als junger alleinstehender Mann, wenn er einmal vorübergehend sich bei Kasse befand, ein Nimmersatt im Schenken war. Bei einem Besuch unter den Zigeunern war das auch geradezu geboten, denn wenn er sie, um ein Zigeunerfest schildern zu können, im Festtaumel sehen wollte, so musste er sie selbst darein versetzen. Grünes Jägerhabit und Federhut sind ihm natürlich nachträglich zugewachsen. Auch waren Haare und Bart nicht schwarz, sondern bräunlich, und seine Augen waren blau. Aber der machtvolle Blick war ihnen eigen, und ihren Glanz hat Mörike besungen. Dass auch der Titelheld seines »Lisardo«, dem der Verfasser viel vom eigenen Wesen mitgegeben hat, bei seinem ersten Auftreten mit einem Übermut, der an Pose grenzt, die Goldstücke um sich streut, sei hier gleichfalls erwähnt. So in erhöhten Augenblicken sich an dem Erzfeind Mammon, der ihn sein Leben lang grausam verkürzte, rächen, ihm, wenn er einmal vorübergehend seiner habhaft war, seine ganze Verachtung ins Gesicht schleudern zu können, war dem Dichter in seinen Junggesellentagen Bedürfnis und Hochgenuss. Wie herzerleichternd erst, wenn es einmal aus den unerschöpflichen Taschen eines bessergestellten poetischen Doppelgängers geschehen konnte.
Nicht unterzubringen ist der Name Napolina. Ihn muss wohl die Zigeunerfantasie zusammengebraut haben, um sich davor zu ängstigen, wenn sich nicht etwa eine Verketzerung von Apollonia darunter verbirgt. So hieß meines Vaters heißgeliebte erste Kindsmagd, von dem kleinen Knirps wegen ihrer häufig etwas rußigen Hände zärtlich seine »Schmutzappel« genannt. Aber später hat er selbst diesem Namen einen tieftragischen Klang gegeben durch die Erzählung von der »Blassen Apollonia«, und es ist kaum anzunehmen, dass er seinem Taufkind einen Namen von so düsterer Vorbedeutung habe mitgeben wollen, wobei freilich zu bedenken, dass er diese Geschichte erst Jahre später schrieb; den historischen Kern samt dem dazugehörigen Namen dürfte er aber damals schon gekannt haben. Alles in allem kann ich dem, leider unterdessen verstorbenen, Verfasser des Aufsatzes zwar nicht mit Sicherheit zustimmen, aber es noch weniger in Abrede stellen, dass der vermeintliche Teufel mein Vater in jugendlich übermütiger Gebelaune gewesen. Betrüblich wäre es freilich, wenn E. Wittichs Vermutung stimmen