Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Noch großartiger, ja in wahrhaft fürstlicher Großartigkeit erscheint der junge Hermann Kurz in einem Bericht, den Herr Engelbrecht Wittig, der genaueste Kenner des Zigeunerwesens, aus Erinnerungen des fahrenden Volkes ans Licht gebracht hat – wenn nämlich mein Gewährsmann, wie nicht unglaublich scheint, mit seiner Vermutung, dass die dargestellten Vorgänge sich auf den Verfasser von »Schillers Heimatjahren« beziehen, auf der rechten Spur ist. Das kleine Stück altwürttembergischer Zigeunerromantik ist so eigenartig, dass ich den Lesern einen Gefallen zu tun glaube, wenn ich es diesen Blättern einfüge.
Es war im Jahre 1914, dass ich aus Degerloch bei Stuttgart einen mich überraschenden Brief von ungewöhnlicher Seite erhielt. Der Schreiber, eben jener Herr Wittig, gab sich als einen Versippten des fahrenden Volkes zu erkennen, da seine Frau eine späte Nichte des gewaltigen Zigeunerhauptmanns Hannikel sei, ein Name, der schwäbischen Ohren so klingt wie im Rheinland der des Schinderhannes. Er, der Briefschreiber, habe gehört, dass ich die Tochter des Dichters Hermann Kurz sei, der mit zigeunerischen Bräuchen und Überlieferungen wohlvertraut in seinem Roman »Schillers Heimatjahre« Taten und Ende des Hannikel geschildert habe, und er legte mir nahe, dass es ihn freuen würde, das Buch zu kennen und zu besitzen. Ich war dazumal schlecht bei Kasse, aber mein Bruder Erwin ließ ihm durch den Buchhändler die Gesammelten Werke von Hermann Kurz überreichen, damit er sich aus dem »Sonnenwirt« überzeuge, dass die Zigeunerstudien unseres Vaters in noch umfassenderer Weise weiter gezweigt haben als in den »Heimatjahren«. Der Empfänger überreichte seinerseits ein kleines aufschlussreiches Werklein über Zigeunerleben und -bräuche aus seiner eigenen Feder, wonach der Briefwechsel für lange Zeit einschlief. Nach sechzehn oder mehr Jahren fand sich der in meinem Gedächtnis versunkene Briefschreiber wieder ein. Er hatte im Schützengraben und nach der Heimkehr das deutsche Schicksal gründlich miterlebt und nach Verlust seiner Familie und aller seiner Habe aus dem nahrhafteren Gewerbe der Bürstenbinderei in das ungewisse des Schriftstellers hinübergewechselt. Zur Beglaubigung schickte er mir einen Ausschnitt aus dem »Stuttgarter Tageblatt«, die von einem schreibkundigen Sippengenossen aufgezeichnete, von E. Wittich aus der Zigeunersprache übersetzte und mit Erläuterungen versehene Überlieferung eines großartigen Festes im Schwarzwald, das einmal einer Gruppe von Zigeunern der leibhaftige Gottseibeiuns gegeben. Aus den ungeheuerlichen Übertreibungen des Zigeunerberichts von den damals erlebten Herrlichkeiten meint der mit der Stammesart wohl vertraute Übersetzer die Spuren meines Vaters zu erkennen, wie dieser als junger Mann unter dem fahrenden Volk im Schwarzwald auf volkskundliche Ausbeute für die Vorstudien zu seinem Roman fahndete.
Aber ich muss den Vorgang mit allen grotesken Verzierungen, wie er sich den Augen der Fahrenden darstellte, hersetzen.
»Hatten da einmal« – eine bestimmte Zeitangabe darf man nicht erwarten – »die Zigeuner an einem schönen Sommertag mit vielen Sippen und vielen Wagen im württembergischen Schwarzwald ein Lager mitten unter den Tannen aufgeschlagen, nämlich die ›Riklengeri‹ (Sippenname) mit fünf Wagen, die ›Schnurmichel‹ mit zwei, die ›Lärli‹, der Dornstedter Hans und die ›Moadlengeri‹, um dem Erstgeborenen der ›Moadl‹ das Tauffest zu feiern. Sie waren gerade dabei, ein paar von den Moadlengeri mit ihrem Hund Godelo gefangene Igel, bekanntlich die Lieblingsspeise des fahrenden Volks, zu braten. Da trat plötzlich, es war Punkt zwölf Uhr, ein schöner hochgewachsener Herr, im grünen Jagdhabit vornehm und gebieterisch anzuschauen, mit grünem Hütchen und großer Feder, unter den Tannen hervor und mitten unter die Versammlung. Niemand hatte gesehen, von wannen er kam, nicht einmal der ›Späher‹, der nach altem, aus den Zeiten der Verfolgung stammendem Zigeunerbrauch, in der Nähe Posten stand. Er trat gleich an den Wagen der Wöchnerin heran, und als er hörte, dass es ein kleines Mädchen sei, das getauft werden solle, forderte er sie auf, ihm die Wahl des Namens zu überlassen, wofür er alles, was von sämtlichen Anwesenden gegessen und getrunken werde, bezahlen und allen einen schönen Tag machen wolle.«
Die Moadl war schon bei dem plötzlichen Erscheinen des fremden Herrn ängstlich und misstrauisch geworden, und als sie jetzt vernahm, dass sie nach seinem Wunsch ihr Kind Napolina nennen solle, bekam sie es mit einer abergläubischen Furcht, denn der geheimnisvolle Jäger – der im Lauf der Überlieferung schwarzes Haar, schwarzen Bart und schwarze glühende Augen bekam – erschien ihrer Bangigkeit wie der, den man nicht gerne nennt. Sie beriet sich auf ›romanes‹ (zigeunerisch) mit ihrem Mann, der ihr die Torheit ausredete. Danach gab