Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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eben­sol­cher Un­glau­be nur eine win­zi­ge Span­ne von­ein­an­der woh­nen kön­nen: es fragt sich bloß, wo­hin der Wind die Flam­me we­hen wird. Die­sel­be Frau, die ein ge­lehr­ter Freund die sanc­ta athea nann­te, hät­te in sich auch das Zeug zu ei­ner Fa­na­ti­ke­rin des Glau­bens, ja zu ei­ner christ­li­chen Mär­ty­re­rin ge­habt. Aber der geis­ti­ge Wind weh­te nach der an­de­ren Sei­te. Als die da­ma­li­ge Kon­fir­man­din ih­rem um vie­les jün­ge­ren Schwes­ter­chen Ot­ti­lie ihre Zwei­fels­qua­len an­ver­trau­te, zeig­te sich’s, dass das Kind schon durch die glei­chen Nöte ge­gan­gen und zu dem­sel­ben Nein ge­kom­men war. Es soll dies nach Jo­se­phi­nens Schil­de­rung ein stil­les, sanf­tes, tief­grün­di­ges Kind ge­we­sen sein und von der Na­tur zu sol­cher Fröm­mig­keit an­ge­legt, dass ihre rüh­ren­de Er­schei­nung mir als das Ur­bild des from­men Esther­chens in »Va­na­dis« vor­schweb­te. Sie wur­zel­te im Über­sinn­li­chen und soll auch in ih­ren letz­ten Fie­ber­träu­men die Stun­de ih­res To­des vor­aus­ge­nannt ha­ben. Gleich­wohl hat­te die Stil­le, Zar­te trotz ih­res kind­li­chen Al­ters, eben­so wie ihre stür­mi­sche äl­te­re Schwes­ter und un­be­ein­flusst von die­ser, das über­kom­me­ne Dog­ma ab­ge­lehnt. Und was ist denn, um ein äu­ßers­tes Bei­spiel zu nen­nen, die Gott­lo­sen­be­we­gung in Russ­land an­de­res als die Um­keh­rung des re­li­gi­ösen Or­gi­as­mus, der die­sem Vol­ke ei­gen war und der in Ras­pu­tin zu­letzt noch sei­nen stärks­ten Aus­druck ge­fun­den hat?

      Ich war ein viel zu für­wit­zi­ges Kind, als dass ich nicht ge­sucht hät­te, dem was mir vor­ent­hal­ten wur­de, auf an­de­rem Wege nach­zu­ge­hen. Neun- oder zehn­jäh­rig hol­te ich mir aus Va­ters Bü­cher­schrank heim­lich die Luth­er­bi­bel und ver­barg sie in mei­nem Bett, um dar­in zu le­sen, so oft ich mich un­be­ob­ach­tet sah. Im Al­ten Te­sta­ment hielt ich mich nicht auf, sei­ne har­ten und oft recht an­fecht­ba­ren Ge­stal­ten fan­den ne­ben der leuch­ten­den grie­chi­schen My­the kei­nen Platz; es war wohl der Schutz­geist des un­be­wach­ten Kin­des, der es so schnell an all den Be­denk­lich­kei­ten vor­über­führ­te. Auf der Früh­lings­wie­se des Neu­en er­ging ich mich lie­ber und war­te­te, ob der himm­li­sche Gärt­ner nicht auch zu mir kom­me. Aber ich hät­te wie Se­me­le ge­wollt, dass der Gott sich mir in sei­ner Gött­lich­keit ent­hül­le, dass er strah­lend ein­her­tre­te und wie ein Bru­der bei mei­nen an­de­ren ge­lieb­ten Göt­ter­ge­stal­ten ste­he; und das ge­sch­ah nicht. Mein Kin­der­herz war wohl wil­lig, sei­ne Leh­re auch so auf­zu­neh­men, al­lein es wuss­te nicht wo­hin da­mit. Das ste­te Re­den in Gleich­nis­sen be­frem­de­te mich und ließ mei­ne Hän­de leer. Gleich­wohl fuhr ich fort, mich als eine an­ge­hen­de Gläu­bi­ge zu be­trach­ten und nahm mir vor, auf die­sem Wege zu be­har­ren. Dass ich es so ganz ver­stoh­len trieb wie eine heim­li­che Sün­de, be­klemm­te mich zwar ei­ni­ger­ma­ßen, bis ich auf die Mah­nung stieß, der From­me sol­le sei­ne Fröm­mig­keit nicht zur Schau tra­gen, son­dern nur un­ge­se­hen in sei­nem Käm­mer­lein be­ten. Ob­gleich dies auf mei­nen Fall nicht pas­sen konn­te, was mir auch lei­se be­wusst war, be­schloss ich doch den Wort­laut für gut zu neh­men und mich da­bei zu be­ru­hi­gen. Da be­fand ich mich ei­nes Ta­ges in ei­nem Kreis von frei­re­li­gi­ös er­zo­ge­nen Kin­dern, die Ge­hör­tes miss­ver­ste­hend sich über den Aber­glau­ben der christ­li­chen Leh­re lus­tig mach­ten. Gleich fass­te mich ein klei­nes Rauscht­eu­fel­chen, dass ich ein­stimm­te und über­mü­tig mit den Wöl­fen heu­len muss­te. Als ich mich wie­der be­sann, er­kann­te ich mich mit Schre­cken als eine Ver­wor­fe­ne, mein Wer­ben um den Gott­men­schen fort­an zweck­los und mein Heil für im­mer ver­wirkt. Nun wag­te ich den Rück­weg in die Ge­fil­de des Glau­bens, die ich mir selbst ver­schlos­sen hat­te, gar nicht mehr zu su­chen, und nahm mir nur vor, künf­tig ohne das al­les in Tun und Re­den ein bes­se­rer Mensch zu wer­den. Vi­el­leicht gab es noch an­de­re Wege, wor­auf einen das Gött­li­che fin­den konn­te. Hät­te ich in der Pas­si­ons­ge­schich­te da­mals wei­ter­ge­le­sen und wäre bis zu Pe­trus und dem Hah­nen­kraht ge­kom­men, so wür­de ich wahr­schein­lich aus dem bö­sen Bei­spiel des Apos­tel­fürs­ten mil­dern­de Um­stän­de für mich sel­ber ab­ge­lei­tet ha­ben. So aber blieb mir ein bit­ter­bö­ser, mich tief be­schä­men­der Ein­druck haf­ten wie im­mer, wenn ich mich auf ir­gend­ei­nem Punkt nicht in Ein­klang mit mir sel­ber fühl­te, und ich nahm jah­re­lang das Buch der Bü­cher nicht mehr in die Hand, als ob ich es zum Schau­platz ei­nes Ver­bre­chens ge­macht hät­te. Aber war es wirk­lich nur Man­gel an Be­ken­ner­mut? muss ich mich nach­träg­lich fra­gen. War es nicht auch zum gu­ten Teil jene Scham des Her­zens, die mich so oft ab­hielt, all­zu wer­te Na­men aus­zu­spre­chen und mich lie­ber an­de­re, un­wich­ti­ge­re vor­schie­ben ließ, nur um nichts mir Hei­li­ges zu ent­wei­hen? – Der Kna­be Dan­te, der um die Neu­gier von sei­nem Ge­fühl für Bea­tri­ce ab­zu­len­ken, ei­ner An­de­ren, Gleich­gül­ti­gen hul­dig­te, fand bei mir ein of­fe­nes Ver­ständ­nis.

      Wenn ich es mei­ner Mut­ter zu­wei­len im stil­len ver­argt habe, dass sie auf die­sem Punkt wie auf man­chem an­de­ren im vor­aus über mein un­mün­di­ges Haupt hin­weg für mich ent­schied, statt mich als Kind das Glück der Glau­bens­ge­mein­schaft mit den Al­ters­ge­nos­sen kos­ten zu las­sen und her­nach mei­nem ge­reif­ten Den­ken an­heim­zu­stel­len, was ich da­von als wahr an­neh­men woll­te und was nicht, so sehe ich jetzt, nach­dem ich mich bes­ser ken­nen­ge­lernt habe, dass sie mich mit mei­ner er­reg­ba­ren Fan­ta­sie und dem emp­find­li­chen Ge­wis­sen viel­leicht vor re­li­gi­ösen Wahn­vor­stel­lun­gen oder dau­ern­der Ver­düs­te­rung be­wahrt hat. Mir will schei­nen, dass nur See­len, die durch den re­li­gi­ösen All­tag ab­ge­stumpft sind, an die­ser Ge­fahr sorg­los vor­über­ge­hen und sich an ih­ren Kon­fir­ma­ti­ons­ge­schen­ken er­freu­en. Chris­tus sprach es aus, er habe das Schwert ge­bracht und nicht den Frie­den, und wahr­lich die­ses Schwert durch­schnei­det seit sei­nem Kom­men das Herz der Mensch­heit. Luther soll – ich weiß nicht mehr wo – ge­sagt ha­ben, es gebe See­len, die gar nicht aus dem Fe­ge­feu­er her­aus­wol­len – ein qual­vol­les Wort, in dem alle Schau­er des Ge­wis­sens zit­tern! Aber die­se Schau­er sind nur für die Gu­ten, die großen Ver­bre­cher ha­ben ein bes­se­res Ru­he­kis­sen.

      Kei­ne Re­li­gi­on hat es ih­ren Be­ken­nern so schwer ge­macht wie das Chris­ten­tum, kei­ne hat ihre Her­zen so mit Schwer­tern zer­fleischt. Wie soll­te das wehr­lo­se Kin­der­herz die Nacht in Geth­se­ma­ne er­tra­gen, die furcht­bars­te, die je über die Erde ge­gan­gen ist, wo dem Gott­men­schen der Angst­schweiß aus al­len Po­ren bricht, wäh­rend die Jün­ger, bra­ve Leu­te, de­ren gro­bir­di­sche Na­tur dem Schlaf nicht weh­ren kann, ihn sei­ner Not al­lein über­las­sen. Ich muss­te von Ju­gend auf je­den Ver­bre­cher mit mei­nen Ge­dan­ken zum Richt­platz be­glei­ten – ich tat es be­wusst, weil es mir schmäh­lich schi­en, der ei­ge­nen Ruhe zu­lie­be von dem Men­schen­bru­der, auch dem ver­wor­fens­ten, in der letz­ten Angst die Au­gen weg­zu­wen­den. Wie nun die­sen so zu wis­sen! Und der un­aus­denk­ba­re Au­gen­blick, wo der ir­di­sche Zwil­ling, der dem Gött­li­chen zur Wohn­statt ge­dient hat, jetzt in der Mar­ter sein Ent­wei­chen fühlt und ihm nach­schreit: Wa­rum hast du mich ver­las­sen?

      O wie konn­te er ihn ver­las­sen? Wa­rum hat er ihm das ge­tan, dass er ihn nicht bis zum Letz­ten stütz­te? Oft ge­nug mag sich das in Ge­schich­te und Ein­zel­ge­schick wie­der­ho­len, dass der stür­men­de Geist einen Sterb­li­chen er­greift und ihn sich zum Zeug­nis an den Ab­grund reißt, wo er

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