Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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Feind und konn­te mir wäh­rend der Fle­gel­jah­re, die bei ihm über die nor­ma­le Zeit hin­aus dau­er­ten, nie ge­nug Scha­ber­nack an­tun. Sein höchs­ter Trumpf war, mich ir­gend­wie vor Frem­den in Ver­le­gen­heit zu brin­gen und bloß­zu­stel­len. Ich hielt ihn dar­um für einen wah­ren klei­nen Teu­fel, wäh­rend er das treues­te lie­be­volls­te Herz hat­te und nur der dunkle Kna­bent­rotz ge­gen das von ihm ver­ach­te­te an­de­re Ge­schlecht so wild in ihm ru­mor­te. Auch sein Cha­rak­ter­bild ist von mir nach sei­nem Hin­gang in mei­nen »Flo­ren­ti­ni­schen Erin­ne­run­gen« ge­zeich­net wor­den. Züge aus sei­ner un­bän­di­gen Kna­ben­zeit habe ich zu­letzt noch dem wil­den Ro­de­rich in »Va­na­dis« mit­ge­ge­ben. Zwi­schen die­se zwei Brü­der als ein­zi­ge Schwes­ter durch die Ge­burt hin­ein­ge­wor­fen, fiel es mir zu, die bei­den Ge­walts­na­tu­ren, die ihre jah­re­lan­ge Feh­de täg­lich in Ab­we­sen­heit des Va­ters am Mit­tags­tisch aus­kämpf­ten, aus­ein­an­der­zu­hal­ten, wo­bei leicht Püf­fe, die sie sich ge­gen­sei­tig zu­dach­ten, ohne ihr Wol­len die Frie­dens­stif­te­rin tra­fen. Die Sa­bi­ne­rin­nen, die sich zwi­schen die zwei kämp­fen­den Hee­re war­fen, wa­ren mir da­her schon in frü­her Tu­gend eine sehr ge­läu­fi­ge Vor­stel­lung.

      Der drit­te Bru­der Er­win, bild­hübsch und lie­bens­wür­dig, war ein lus­ti­ger Jun­ge, der al­lem Un­an­ge­neh­men aus dem Wege und dem An­ge­neh­men nach­ging; er stritt nie­mals mit den Ge­schwis­tern, kam aber als Hel­fer auch nicht in Be­tracht. Sein hei­te­res Künst­ler­blut such­te die Son­nen­sei­te des Le­bens und ent­zog sich den häus­li­chen Stür­men, die leicht ins Ge­fähr­li­che aus­ar­te­ten und mir die Ju­gend tief ver­düs­ter­ten. Ei­gen hat es das Schick­sal ge­fügt, dass ge­ra­de die­ser klei­ne Ge­nüß­ling, von dem alle glaub­ten, dass er auf leich­ten Fü­ßen durch ein son­nen­fro­hes Da­sein ge­hen wür­de, in schwe­ren Le­bens­kämp­fen zu ei­nem Cha­rak­ter von eher­ner Wil­lens­stär­ke und Selbst­ver­leug­nung ge­schmie­det wer­den soll­te.

      Der jüngs­te war un­ser viel­ge­lieb­ter Bal­de, 1860 im Mo­nat der Ein­nah­me von Pa­ler­mo ge­bo­ren und des­halb von der Mut­ter, die eine feu­ri­ge Ga­ri­bal­dischwär­me­rin war, mit dem Na­men ih­res Lieb­lings­hel­den be­nannt, was Va­ter zu­gab, weil Ga­ri­bald (Speer­kühn) ein lan­go­bar­di­scher Name sei. Im Ge­brauch aber wur­de Ga­ri­bal­di in Bal­de ver­kürzt, und ich brach­te sei­ner lan­gen Kind­lich­keit we­gen noch den zärt­li­chen Neck­na­men »Bem­per« für ihn auf, den er sich halb la­chend, halb schmol­lend eine Zeit lang ge­fal­len ließ und mit dem er häu­fig im Brief­wech­sel der Fa­mi­lie er­scheint.

      Er war eine rüh­rend hol­de Men­schen­blü­te von edels­ter Mi­schung, aber durch einen Herz­feh­ler, des­sen Ur­sprung auf eine aku­te Er­kran­kung im fünf­ten Jah­re zu­rück­ging, zu kur­z­em und ver­küm­mer­tem Le­ben be­stimmt. Für ihn gab es we­der re­gel­rech­ten Schul­be­such noch ir­gend­ei­ne Ju­gend­freu­de. Er hat­te nichts als sei­nen in­ne­ren Reich­tum und die un­er­müd­li­che Hin­ga­be sei­ner Mut­ter, die alle sei­ne Lei­dens­näch­te mit ihm ver­brach­te, am Tage mit ihm las und ihm half sich durch Selbst­stu­di­um zu bil­den. Die­ses lang­sa­me aber un­aus­weich­li­che Hinster­ben, das die Mut­ter nach sich rei­ßen zu müs­sen schi­en, nahm auch mei­ner Ju­gend das Si­cher­heits­ge­fühl und ließ mich im­mer auf den schwe­ren Schlag ge­fasst sein. Das Siech­tum des all­ge­lieb­ten Jüngs­ten wur­de der Haupt­an­stoß zu der Über­sied­lung der gan­zen Fa­mi­lie nach Ita­li­en, weil man von dem süd­li­chen Kli­ma zwar kei­ne Hei­lung, aber einen Still­stand des Lei­dens er­hoff­te.

      In­mit­ten die­ser Fa­mi­lie stand als das A und O, worin al­les be­ginnt und en­det, das un­be­greif­lichs­te al­ler Frau­en­we­sen, von dem man nie auf­hö­ren könn­te zu er­zäh­len, ohne je da­mit fer­tig zu wer­den, mei­ne Mut­ter. Auf al­len mei­nen Erin­ne­rungs­blät­tern ist von ihr die Rede, ab­ge­se­hen von dem ihr ei­gens ge­wid­me­ten klei­nen Büch­lein mit den Pro­ben ih­rer Ge­dich­te. Den­noch lässt sich kein Stück Ver­gan­gen­heit zu­rück­ru­fen, ohne dass sie wie­der­um da­bei zu­ge­gen wäre, mit sol­cher Schick­sals­macht hat sie das Le­ben al­ler von ihr Ge­bo­re­nen durch­wal­tet. Sie hät­te kön­nen – nicht nach dem äu­ße­ren Auf­tre­ten, das so an­spruchs­los wie mög­lich war, aber nach der von ihr aus­ge­hen­den Wir­kung und nach der gran­dio­sen Ein­fach­heit, wo­mit ihr in­ne­res Sai­ten­spiel ge­baut war – zu je­nen ur­zeit­li­chen Frau­en ge­hö­ren, von de­nen Ba­cho­fen spricht. Auch ge­gen­über die­ser ein­zi­gen Ge­stalt bin ich jetzt, wo ich den Spu­ren mei­nes ei­ge­nen Schick­sals nach­ge­hen soll, in der Lage, sie auf der Büh­ne mei­nes Le­bens als Ge­gen­spie­le­rin, die be­deut­sams­te, ge­lieb­tes­te, edels­te, aber auch in man­chem Sinn die ver­häng­nis­volls­te auf­füh­ren zu müs­sen. Aber um das zu dür­fen, muss ich noch ein­mal ihr Ge­samt­bild er­schei­nen las­sen auf die Ge­fahr hin, dass man mir Wie­der­ho­lung vor­wer­fe, denn nur von die­sem her emp­fan­gen ihre ein­zel­nen We­sens­zü­ge die rich­ti­ge Be­leuch­tung.

      Ich habe sie ge­schil­dert, wie sie schon als klei­nes Kind sich ge­gen die Un­gleich­heit der Stän­de und des Be­sit­zes auf­lehn­te und ihre ei­ge­ne be­vor­rech­te­te Stel­lung als ein Un­recht an­sah, das sie gutz­u­ma­chen such­te, in­dem sie die Köst­lich­kei­ten des vä­ter­li­chen Kel­lers und der müt­ter­li­chen Spei­se­kam­mer aus­räum­te, um sie den Bett­lern zu schen­ken. Ich habe sie wei­ter­hin ge­schil­dert, wie sie als jun­ges Mäd­chen im Jah­re 1848 der Sa­che des Volks ihr Ver­mö­gen op­fer­te und wie sie spä­ter mit der­sel­ben flam­men­den Be­geis­te­rung ih­rem Dich­ter die Hand reich­te, um mit ihm durch ein Le­ben här­tes­ter Ent­beh­run­gen zu ge­hen, ohne je­mals den Mut zu ver­lie­ren oder an ih­ren Idea­len irre zu wer­den. Ihr Per­sön­lichs­tes lässt sich nicht fass­li­cher um­rei­ßen, als ich es in mei­nem »Ju­gend­land« und in dem Büch­lein »Mei­ne Mut­ter« ge­tan habe. Es sei mir also ge­stat­tet, ei­ni­ges we­ni­ge da­von hier im Aus­zug an­zu­füh­ren.

      »Sie wie­der­zu­ge­ben ganz so wie sie war ist ein Wa­g­nis. Kein Bild ist leich­ter zu ver­zeich­nen als das ih­ri­ge. So aus­ge­prägt sind ihre Züge, so ur­per­sön­lich – ein ein­zi­ger zu stark ge­zo­ge­ner Strich, eine ver­grö­ber­te Li­nie, und das Edels­te und Sel­tens­te was es gab kann zum Zerr­bild wer­den. Und nicht nur die Hand, die das Bild zeich­net, muss ganz leicht und si­cher sein, es kommt auch auf das Auge an, das es auf­fas­sen soll. Wer ge­wohnt ist, in Scha­blo­nen zu den­ken, fin­det für das nur ein­mal Vor­han­de­ne kei­nen Platz in sei­ner Vor­stel­lung.« … »Die un­be­greif­lichs­ten Ge­gen­sät­ze wa­ren in die­sem Men­schen­bild zu ei­nem ein­fa­chen und bruch­lo­sen Gan­zen zu­sam­men­ge­schweißt, dass man sich in al­ler Welt ver­geb­lich nach ei­ner ähn­li­chen Er­schei­nung um­se­hen wür­de. Von bei­den Sei­ten blau­blü­tig, mit al­len Vor­tei­len ei­ner ver­fei­ner­ten Er­zie­hung aus­ge­stat­tet und doch so ur­sprüng­lich in dunk­ler Trieb­haf­tig­keit. Die­se Trieb­haf­tig­keit aber gänz­lich ab­ge­wandt vom Ich, was doch der Na­tur des Trieb­le­bens zu wi­der­spre­chen scheint! Was an­de­re sich als sitt­li­chen Sieg ab­rin­gen müs­sen, der selbst­lo­se Ent­schluss, das war bei ihr das An­ge­bo­re­ne und kam je­der­zeit als Na­tur­ge­walt aus ih­rem In­ne­ren. Wenn ich mich um­se­he, wem ich sie ver­glei­chen könn­te, so fin­de ich nur eine Ge­stalt, die ihr äh­nelt, den Po­ver­el­lo

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