Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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Kris­tal­li­sie­ren des Wer­den­den als schäd­lich, wenn nicht gar als scham­los. Die Hand sträub­te sich so­gar, Na­men nie­der­zu­schrei­ben, die im Be­grif­fe stan­den im Le­ben eine noch nicht aus­ge­spro­che­ne Be­deu­tung zu ge­win­nen. Al­les Na­men­nen­nen ist Ma­gie: die Re­cken des Nord­lands hiel­ten es so­gar für tod­brin­gend, wäh­rend des Kamp­fes mit Na­men ge­ru­fen zu wer­den. Durch Be­re­den wird je­des stil­le in­ne­re We­ben ge­stört; ihm darf sich nur in ge­weih­ten Stun­den das Wort der Dich­tung nä­hern, die es gleich nach ih­ren ei­ge­nen Ge­set­zen lei­se um­ge­stal­tet. Also muss bei den Auf­zeich­nun­gen über mein Le­ben die in­ne­re Fol­ge und Wahr­heit an Stel­le der ge­naue­ren Chro­no­lo­gie ste­hen; ich wer­de er­zäh­len, wie der wal­len­de Kreis es mit sich bringt, bald vor-, bald zu­rück­grei­fend, ohne die Erin­ne­rung in eine künst­li­che Li­nie zu zwän­gen.

      So güns­tig nach der Mei­nung der Astro­lo­gen die himm­li­schen Gestir­ne auf mei­ne Ge­burt schie­nen, so un­güns­tig, ja un­freund­lich war die äu­ße­re, die bür­ger­li­che Kon­stel­la­ti­on, die mich emp­fing, und der Wi­der­streit der bei­den Ein­flüs­se be­glei­te­te mich durchs Le­ben. Der güns­ti­ge trat in al­lem Na­tur­ge­ge­be­nen zu­ta­ge: zu­nächst in der Ab­stam­mung, in dem Hin­ein­ge­bo­ren­sein in ein durch die höchs­ten Be­lan­ge ver­edel­tes, ganz von den großen Zie­len der Mensch­heit er­füll­tes El­tern­haus, wes­halb ich mir ein hö­he­res Le­ben nicht zu er­kämp­fen brauch­te, son­dern es durch die Ge­burt be­saß. Fer­ner in der glück­li­chen Sau­ge­kraft, die mich fast ohne Lei­tung das mir Zu­kom­men­de, mir Ver­wand­te schnell er­fas­sen, das Nicht­ver­wand­te, Nicht­ge­mä­ße ab­leh­nen ließ, wo­durch sich frü­he in mir ein un­zer­stör­ba­res Welt­bild ge­stal­ten konn­te. Hin­zu­zäh­len darf ich noch einen wahr­haft brü­der­li­chen Fra­ter Cor­pus, der mich in nichts be­läs­tig­te oder hemm­te, und eine In­nen­welt, in der kein brü­ten­des Ich als »dun­ke­ler De­spot« sich sel­ber Un­heil spin­nend und weh­be­rei­tend saß – ein Vor­teil, der mir erst im Lauf des Le­bens an den vie­len ge­gen­tei­li­gen Bei­spie­len die ich sah be­wusst ge­wor­den ist. Aber mehr als für al­les an­de­re dan­ke ich der Gott­heit für das schöns­te ih­rer Ge­schen­ke die Fä­hig­keit zur Freu­de die mir auch in tief­dunklen Ta­gen nie­mals ganz ab­han­den kam und die mich aus den trübs­ten Er­fah­run­gen stets aufs neue mei­ne Fah­ne ret­ten ließ mit dem Wahl­spruch: Mensch, sei im­mer­zu dein ei­ge­ner la­chen­der Erbe – und wenn es un­ter Trä­nen wäre.

      Der Ein­fluss der bö­sen Gestir­ne äu­ßer­te sich vor al­lem in dem her­ben Dich­ter­los mei­nes Va­ters, das auch das Schick­sal sei­ner Kin­der und vor­wie­gend das der Toch­ter über­schat­te­te. Ich habe ihn in mei­ner Her­mann-Kurz-Bio­gra­fie ge­schil­dert, wie er in un­se­rer Mit­te stand in sei­ner ge­bie­ten­den und doch so mil­den Grö­ße wie ein Kö­nig ohne Land; wir Kin­der fühl­ten die Be­deu­tung sei­ner Wer­ke, be­vor wir sie sel­ber le­sen konn­ten, aus der Be­geis­te­rung un­se­rer Mut­ter und der we­ni­gen ihm ge­blie­be­nen Freun­de, und fan­den doch sei­nen Na­men nicht vom Ruhm um­strahlt, sein Ver­dienst weit un­ter dem Wer­te ein­ge­schätzt, von viel Ge­rin­ge­ren ver­dun­kelt, den Er­trag sei­ner Ar­beit in um­ge­kehr­tem Ver­hält­nis zu ih­rer in­ne­ren Grö­ße. Die Mut­ter hat­te uns ge­lehrt, dass es eine Ehre für uns war, we­ni­ger zu ha­ben als die Kin­der der be­freun­de­ten Häu­ser, die kei­nen deut­schen Dich­ter zum Va­ter hat­ten, aber die­ses Los war nichts­de­sto­we­ni­ger eine der frü­hen Be­las­tun­gen, mit de­nen ich ins Le­ben trat. Noch in die Frem­de folg­te mir die Pein, dass ich de­nen, die mich nach mei­nem Va­ter frag­ten, nicht sa­gen konn­te, wer die­ser Dich­ter ge­we­sen, des­sen Na­men nie­mand nann­te: der Toch­ter al­lein hät­te man ja nicht ge­glaubt. Aber lie­ber woll­te ich ihn ganz im Dun­kel wis­sen als nur halb ge­wür­digt und bei den Geis­tern zwei­ten Ran­ges un­ter sei­nen Zeit­ge­nos­sen ein­ge­reiht. Mei­ne Brü­der ha­ben ge­wiss die Sach­la­ge nicht min­der herb emp­fun­den als ich, al­lein sie konn­ten nichts dazu, dar­um schwie­gen sie: ih­nen lag nur ob, auf ih­ren ei­ge­nen vor­ge­zeich­ne­ten We­gen ih­rer Her­kunft Ehre zu ma­chen, und das ha­ben sie ge­tan. Mir aber war von der Vor­se­hung mit dem Erbe des vä­ter­li­chen Be­rufs auch der Auf­trag mit­ge­ge­ben, der lan­gen Un­ge­rech­tig­keit ent­ge­gen­zu­tre­ten, für den Ver­kann­ten, Halb­ver­ges­se­nen den Platz im Na­tio­nal­hei­lig­tum sei­nes Vol­kes, der ihm zu­kam, ein­zu­for­dern. Jede Li­te­ra­tur­ge­schich­te, die schwei­gend über ihn weg­ging oder ihn ne­ben­säch­lich ab­tat, jede miss­ken­nen­de oder un­zu­läng­li­che Kri­tik trieb mir mit schmerz­haf­tem Sta­chel die Mah­nung von neu­em ins Herz. Aber durf­te ein jun­ges, noch ganz un­ge­schul­tes Mäd­chen, das nichts war noch hat­te, nicht ein­mal einen schir­men­den, för­dern­den Le­bens­kreis, hof­fen, ih­rer Stim­me der­einst so­viel Ge­hör zu ver­schaf­fen, da sie doch erst die ei­ge­nen Fä­hig­kei­ten rei­fen las­sen muss­te, den Kampf, der sei­ne Kraft zu früh ge­bro­chen hat­te, ge­gen eine ide­al­lo­se Zeit für sich sel­ber auf­neh­men und aus noch er­schwer­te­rer Stel­lung, der weib­li­chen her­aus, durch­füh­ren, be­vor sie mit ih­rer Sa­che auch der sei­ni­gen die­nen konn­te? Das zu hof­fen war Ver­mes­sen­heit, ich hoff­te es doch, wenn auch nur in ei­ner vor­schwe­ben­den Ah­nung, in ei­nem Licht­strahl, der aus ver­hüll­ter Zu­kunft her­über fiel: dass es den­noch so kom­men wer­de. Ich habe oft­mals in Zei­ten, wo ich nicht wuss­te, wo aus noch ein, der­glei­chen un­aus­schalt­ba­re in­ne­re Ge­wiss­heit ge­habt, dass mein Ziel ir­gend­wie mich fin­den wer­de, dass ohne ge­walt­sa­mes Drän­gen die Zeit sel­ber mir die Frucht rei­fen wer­de. In je­ner Nacht des 10. Ok­to­ber 1873 zu Tü­bin­gen, als mein Bru­der Ed­gar, da­mals ein blut­jun­ger Arzt, bei dem jäh­lings ge­schie­de­nen Va­ter al­lein die To­ten­wa­che hielt, ge­lob­te er ihm, dem er­erb­ten Na­men durch die ei­ge­ne Lauf­bahn Aus­zeich­nung zu er­wer­ben: er hat die­ses Ver­spre­chen in sei­nem pfeil­ge­ra­den si­che­ren Lauf glän­zend ge­löst. Ich blieb in mei­nen ma­gi­schen Kreis ge­bannt, wo die En­den bei­sam­men sind, und muss­te auf Ort und Stun­de war­ten, um das mei­ne, noch küh­ne­re, zu lö­sen.

      Der zwei­te hem­men­de Ein­fluss, der über mei­nem Le­ben stand, war mein Ge­schlecht. Kaum dürf­te je die Frau in Deutsch­land nied­ri­ger ge­stan­den ha­ben als im letz­ten Drit­tel des vo­ri­gen Jahr­hun­derts, in das mei­ne Ju­gend fiel. Dass es eine Bet­ti­na, eine Ka­ro­li­ne Schle­gel, eine Gün­de­ro­de, ge­ge­ben hat, Frau­en, von de­nen ihre Zeit, die ja auch die Zeit Goe­thes war, die Fär­bung mit emp­fing, das wirk­te nicht mehr nach, es lag als blo­ßer Wis­sens­stoff ein­ge­sargt in der Li­te­ra­tur­ge­schich­te. Eine Pf­licht zur Aus­bil­dung der Töch­ter kann­te we­der der Staat noch die Fa­mi­lie, es stand ganz bei den El­tern, ob und was sie die­se ler­nen las­sen woll­ten. In den bür­ger­li­chen Krei­sen, auch in den ge­bil­de­ten, so­weit sie nicht wohl­ha­bend wa­ren, be­gnüg­te man sich oft ge­nug da­mit, ih­nen die häus­li­chen Ar­bei­ten bei­zu­brin­gen und sie zu un­be­zahl­ten Dienst­bo­ten her­an­zu­zie­hen, be­son­ders wenn das Stu­di­um der Söh­ne die el­ter­li­chen Mit­tel er­schöpf­te. Und wenn auch bes­ser­ge­stell­te Häu­ser die ih­ri­gen zur Schnell­blei­che in ir­gend­ein fran­zö­sisch spre­chen­des In­sti­tut schick­ten, der Geist, der die Er­zie­hung durch­wal­te­te, blieb der glei­che. Er­wach­sen, hat­te ein sol­ches Mäd­chen kei­ne drin­gen­de­re Auf­ga­be, als sich nach dem künf­ti­gen Er­näh­rer um­zu­se­hen, der die Sor­ge für sie über­nahm

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