Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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So günstig nach der Meinung der Astrologen die himmlischen Gestirne auf meine Geburt schienen, so ungünstig, ja unfreundlich war die äußere, die bürgerliche Konstellation, die mich empfing, und der Widerstreit der beiden Einflüsse begleitete mich durchs Leben. Der günstige trat in allem Naturgegebenen zutage: zunächst in der Abstammung, in dem Hineingeborensein in ein durch die höchsten Belange veredeltes, ganz von den großen Zielen der Menschheit erfülltes Elternhaus, weshalb ich mir ein höheres Leben nicht zu erkämpfen brauchte, sondern es durch die Geburt besaß. Ferner in der glücklichen Saugekraft, die mich fast ohne Leitung das mir Zukommende, mir Verwandte schnell erfassen, das Nichtverwandte, Nichtgemäße ablehnen ließ, wodurch sich frühe in mir ein unzerstörbares Weltbild gestalten konnte. Hinzuzählen darf ich noch einen wahrhaft brüderlichen Frater Corpus, der mich in nichts belästigte oder hemmte, und eine Innenwelt, in der kein brütendes Ich als »dunkeler Despot« sich selber Unheil spinnend und wehbereitend saß – ein Vorteil, der mir erst im Lauf des Lebens an den vielen gegenteiligen Beispielen die ich sah bewusst geworden ist. Aber mehr als für alles andere danke ich der Gottheit für das schönste ihrer Geschenke die Fähigkeit zur Freude die mir auch in tiefdunklen Tagen niemals ganz abhanden kam und die mich aus den trübsten Erfahrungen stets aufs neue meine Fahne retten ließ mit dem Wahlspruch: Mensch, sei immerzu dein eigener lachender Erbe – und wenn es unter Tränen wäre.
Der Einfluss der bösen Gestirne äußerte sich vor allem in dem herben Dichterlos meines Vaters, das auch das Schicksal seiner Kinder und vorwiegend das der Tochter überschattete. Ich habe ihn in meiner Hermann-Kurz-Biografie geschildert, wie er in unserer Mitte stand in seiner gebietenden und doch so milden Größe wie ein König ohne Land; wir Kinder fühlten die Bedeutung seiner Werke, bevor wir sie selber lesen konnten, aus der Begeisterung unserer Mutter und der wenigen ihm gebliebenen Freunde, und fanden doch seinen Namen nicht vom Ruhm umstrahlt, sein Verdienst weit unter dem Werte eingeschätzt, von viel Geringeren verdunkelt, den Ertrag seiner Arbeit in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer inneren Größe. Die Mutter hatte uns gelehrt, dass es eine Ehre für uns war, weniger zu haben als die Kinder der befreundeten Häuser, die keinen deutschen Dichter zum Vater hatten, aber dieses Los war nichtsdestoweniger eine der frühen Belastungen, mit denen ich ins Leben trat. Noch in die Fremde folgte mir die Pein, dass ich denen, die mich nach meinem Vater fragten, nicht sagen konnte, wer dieser Dichter gewesen, dessen Namen niemand nannte: der Tochter allein hätte man ja nicht geglaubt. Aber lieber wollte ich ihn ganz im Dunkel wissen als nur halb gewürdigt und bei den Geistern zweiten Ranges unter seinen Zeitgenossen eingereiht. Meine Brüder haben gewiss die Sachlage nicht minder herb empfunden als ich, allein sie konnten nichts dazu, darum schwiegen sie: ihnen lag nur ob, auf ihren eigenen vorgezeichneten Wegen ihrer Herkunft Ehre zu machen, und das haben sie getan. Mir aber war von der Vorsehung mit dem Erbe des väterlichen Berufs auch der Auftrag mitgegeben, der langen Ungerechtigkeit entgegenzutreten, für den Verkannten, Halbvergessenen den Platz im Nationalheiligtum seines Volkes, der ihm zukam, einzufordern. Jede Literaturgeschichte, die schweigend über ihn wegging oder ihn nebensächlich abtat, jede misskennende oder unzulängliche Kritik trieb mir mit schmerzhaftem Stachel die Mahnung von neuem ins Herz. Aber durfte ein junges, noch ganz ungeschultes Mädchen, das nichts war noch hatte, nicht einmal einen schirmenden, fördernden Lebenskreis, hoffen, ihrer Stimme dereinst soviel Gehör zu verschaffen, da sie doch erst die eigenen Fähigkeiten reifen lassen musste, den Kampf, der seine Kraft zu früh gebrochen hatte, gegen eine ideallose Zeit für sich selber aufnehmen und aus noch erschwerterer Stellung, der weiblichen heraus, durchführen, bevor sie mit ihrer Sache auch der seinigen dienen konnte? Das zu hoffen war Vermessenheit, ich hoffte es doch, wenn auch nur in einer vorschwebenden Ahnung, in einem Lichtstrahl, der aus verhüllter Zukunft herüber fiel: dass es dennoch so kommen werde. Ich habe oftmals in Zeiten, wo ich nicht wusste, wo aus noch ein, dergleichen unausschaltbare innere Gewissheit gehabt, dass mein Ziel irgendwie mich finden werde, dass ohne gewaltsames Drängen die Zeit selber mir die Frucht reifen werde. In jener Nacht des 10. Oktober 1873 zu Tübingen, als mein Bruder Edgar, damals ein blutjunger Arzt, bei dem jählings geschiedenen Vater allein die Totenwache hielt, gelobte er ihm, dem ererbten Namen durch die eigene Laufbahn Auszeichnung zu erwerben: er hat dieses Versprechen in seinem pfeilgeraden sicheren Lauf glänzend gelöst. Ich blieb in meinen magischen Kreis gebannt, wo die Enden beisammen sind, und musste auf Ort und Stunde warten, um das meine, noch kühnere, zu lösen.
Der zweite hemmende Einfluss, der über meinem Leben stand, war mein Geschlecht. Kaum dürfte je die Frau in Deutschland niedriger gestanden haben als im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts, in das meine Jugend fiel. Dass es eine Bettina, eine Karoline Schlegel, eine Günderode, gegeben hat, Frauen, von denen ihre Zeit, die ja auch die Zeit Goethes war, die Färbung mit empfing, das wirkte nicht mehr nach, es lag als bloßer Wissensstoff eingesargt in der Literaturgeschichte. Eine Pflicht zur Ausbildung der Töchter kannte weder der Staat noch die Familie, es stand ganz bei den Eltern, ob und was sie diese lernen lassen wollten. In den bürgerlichen Kreisen, auch in den gebildeten, soweit sie nicht wohlhabend waren, begnügte man sich oft genug damit, ihnen die häuslichen Arbeiten beizubringen und sie zu unbezahlten Dienstboten heranzuziehen, besonders wenn das Studium der Söhne die elterlichen Mittel erschöpfte. Und wenn auch bessergestellte Häuser die ihrigen zur Schnellbleiche in irgendein französisch sprechendes Institut schickten, der Geist, der die Erziehung durchwaltete, blieb der gleiche. Erwachsen, hatte ein solches Mädchen keine dringendere Aufgabe, als sich nach dem künftigen Ernährer umzusehen, der die Sorge für sie übernahm