Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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dass nur weib­li­che Gäs­te am Tee­tisch sa­ßen. Die Ar­mut der Be­lan­ge und die Un­fä­hig­keit zur Be­griffs­bil­dung, die je­des erns­te­re Ge­spräch ver­hin­der­ten, wirk­ten auf mich wie läh­men­des Gift. Wie gründ­lich soll­te ich spä­ter­hin um­ler­nen, als mir in Deutsch­land ein neu­es, in geis­ti­gem Lich­te her­an­ge­wach­se­nes Frau­en­ge­schlecht ent­ge­gen­trat. Es hat­te ge­nügt, den Blick­punkt auf den Mann zu än­dern und den Sinn für das Über­per­sön­li­che zu we­cken, so stand die Frau – nicht we­sens­gleich, aber eben­bür­tig ne­ben ihm. Ich darf die tap­fe­ren Weg­be­rei­te­rin­nen rüh­men, denn ich habe nicht zu ih­nen ge­hört. Sie ha­ben den Nach­kom­men­den einen Bo­den ge­schaf­fen, auf dem sich woh­nen und wer­ken lässt. So glück­lich war die Welt noch nicht, in die ich Ende des Jah­res 1853, am Tag der Win­ter­son­nen­wen­de, trat.

      *

      Da mei­ne Ge­burt mit der Neu­ge­burt des Lich­tes un­ter dem Zei­chen des Stein­bocks, dem Juel­fest un­se­rer ger­ma­ni­schen Vor­fah­ren, zu­sam­men­fiel, so wur­de die nahe Weih­nacht auf die­sen Tag vor­ver­legt. Es gab für mich so­mit nur ein Fest im Jah­re, aber die­ses war ein kos­mi­sches, wor­an die gan­ze Erde teil hat­te. Nach mei­nen kind­li­chen Be­grif­fen ver­lor ich zwar den zwei­ten Ga­ben­tisch des Jah­res, doch auf dem Tag, der mich ge­bracht hat­te, lag eine hö­he­re Wei­he, ein fei­er­li­che­rer Nach­druck. Die da­mit ge­ge­be­ne Vor­aus­be­deu­tung er­füll­te sich bei mei­nem Heran­wach­sen in dem Sinn, dass in dem großen Ge­schwis­ter­kreis das meis­te Licht auf die ein­zi­ge Toch­ter fiel, dass ich aber ge­mäß den An­schau­un­gen der Zeit mit al­len ir­di­schen An­sprü­chen hin­ter den Brü­dern ver­schwin­den muss­te. In mei­nem spä­te­ren Le­ben, als ich den licht­su­chen­den Cha­rak­ter des Stein­bocks er­kannt hat­te, fühl­te ich mich ihm dienst- und le­hens­pflich­tig und stell­te mir ihn oder sein astro­no­mi­sches Zei­chen zum Sinn­bild und Wap­pen auf.

      In »Dich­tung und Wahr­heit« be­merkt Goe­the, das gan­ze Le­ben ei­nes Men­schen hän­ge von dem Jahr­zehnt sei­ner Ge­burt ab: zehn Jah­re spä­ter zur Welt ge­kom­men und sein Le­bens­gang wäre ein völ­lig an­de­rer ge­wor­den. Wie viel mehr gilt das von ei­nem Frau­en­le­ben! Zehn Jah­re spä­ter, und ich hät­te mei­nen Weg schon nicht mehr so un­gang­bar ge­fun­den, mein Er­schei­nen wäre nicht so un­be­greif­lich fremd­ar­tig ge­we­sen und so er­bit­tert be­kämpft wor­den, wie es auf dem Riss zwi­schen zwei Zeit­al­tern, ei­nem das lang­sam sich zum Aus­klin­gen an­schick­te und dem von mir un­be­wusst vor­aus­ge­nom­me­nen neu­en, der Fall war.

      Auf die­sen Riss war ich zu­nächst ganz ohne mein Zu­tun schon im un­mün­di­gen Al­ter ge­stellt wor­den. Ich hat­te ja zur Mut­ter eine Frau, de­ren Hal­tung zu dem da­ma­li­gen Frau­en­tum im stärks­ten Ge­gen­satz stand. Da sie aus al­tem Adel stamm­te, dazu äu­ßerst fort­schritt­lich war, konn­te sie auf die bür­ger­li­chen Vor­ur­tei­le her­un­ter­se­hen; ihr wa­ren bes­se­re Bil­dungs­mög­lich­kei­ten zu Ge­bo­te ge­stan­den, sie hat­te sich auch auf ei­ge­ne Hand wei­ter­ge­hol­fen und brach­te zwar kein sys­te­ma­ti­sches Wis­sen aber ein wei­tes Ge­sichts­feld und eine un­end­li­che Be­geis­te­rung für al­les Gro­ße und Schö­ne, für Dich­tung, Spra­chen, Phi­lo­so­phie und Ge­schich­te, be­son­ders die des Al­ter­tums, mit in die Ehe. Was sie nur teil­wei­se er­reich­te, woll­te sie in der Toch­ter vollen­det se­hen. Aber die Mit­tel fehl­ten, denn es war ei­ner der Fäl­le, wo die Kna­ben­er­zie­hung die el­ter­li­che Kas­se er­schöpf­te. Ihr Heim war jetzt kein frei­herr­li­ches mehr, son­dern das höchst be­schei­de­ne ei­nes deut­schen Dich­ters, dem die Stumpf­heit sei­ner Zeit­ge­nos­sen den Er­folg vor­ent­hielt. Für mich gab es kei­ne fran­zö­si­schen und eng­li­schen Bon­nen, kei­ne im La­tein un­ter­rich­ten­den Haus­leh­rer wie einst für sie. Von den Mäd­chen­schu­len fan­den die El­tern, kei­ne Schu­le wäre bes­ser. So un­ter­rich­te­te sie mich sel­ber, aber frei­lich ohne Ord­nung und Metho­de und selbst ohne fes­ten Stun­den­plan, je nach­dem die häus­li­chen Ge­schäf­te ihr ge­ra­de Zeit lie­ßen. Ich habe ihr das Leh­ren leicht ge­macht, ob­wohl ich kei­nen rich­ti­gen Lern­kopf hat­te und Wis­sen als Häu­fung von Tat­sa­chen mich nicht im ge­rings­ten reiz­te; die Din­ge lie­fen mir von selbst ent­ge­gen und ich ih­nen, weil ihre feu­ri­ge Fan­ta­sie schnell die mei­ni­ge ent­zün­de­te und al­les le­ben­dig mach­te. Von den Schul­auf­ga­ben der Brü­der, die sie ab­hör­te, fie­len auch nahr­haf­te Bröck­lein ab und wur­den mir zu­ge­tra­gen. Im üb­ri­gen muss­te ich mir hel­fen, wie ich konn­te; ich las un­glaub­lich viel, auch in frem­den Spra­chen, die von selbst an mir hän­gen blie­ben. Frei­lich muss­te ich spä­ter die schnel­le Ent­wick­lung bü­ßen, da ich im­mer wie­der an den Grund­mau­ern nach­zu­bes­sern hat­te. Zum Grie­chen­tum, das le­bens­lang un­ser bei­der Hei­mat blieb, lie­fer­te sie mir zu­erst den Schlüs­sel, in­dem sie mir in ganz frü­her Kind­heit die bei­den großen ho­me­ri­schen Ge­sän­ge in die Hand gab. Ihre Ge­stal­ten wur­den mir das Ver­trau­tes­te was ich hat­te; ich kann­te sie alle per­sön­lich, sie wuch­sen mit mir, und ich sah sie auch gar nicht als Vor­zei­trie­sen, au­ßer­mensch­lich und fremd­ar­tig, wie sie dem Grü­nen Hein­rich er­schie­nen, der sie als Jüng­ling zu­erst ken­nen­lern­te. Ihre Maße wa­ren viel­mehr der Maß­stab, den ich an alle mei­ne Wunsch­bil­der leg­te, und sie wur­den der An­lass, dass ich mich le­bens­lang bei den wech­seln­den Li­te­ra­tur­mo­den so jäm­mer­lich übel be­fand, ja vie­le der be­rühm­tes­ten Ta­ge­s­er­zeug­nis­se, die der Kri­tik und dem Pub­li­kum wie Ka­vi­ar auf der Zun­ge zer­gin­gen, schlech­ter­dings nicht hin­un­ter­brach­te. – Er­wach­sen ließ ich mich dann durch mei­nen Ju­gend­ka­me­ra­den Ernst Mohl in die grie­chi­sche Spra­che ein­füh­ren und ge­lang­te da­mit aus der Vor­hal­le in die Cel­la des Tem­pels.

      Was die Grie­chen mir ga­ben, hat auf al­len Al­ter­s­stu­fen ein neu­es Ge­sicht ge­tra­gen und mich im­mer zu neu­em Dank ver­pflich­tet. Denn die­ses Volk hat sich ja im­mer wie­der mit neu­en Zü­gen vor der al­tern­den Welt ver­jüngt, und ihre Be­deu­tung wird nie­mals aus­zu­schöp­fen sein. Für mich ging sie über den poe­ti­schen Ge­nuss weit hin­aus ins Ethi­sche, in die ei­gent­li­che Le­bens­an­schau­ung über. Der tra­gi­sche Un­ter­grund, auf dem sie ste­hen, gab schon dem Kin­de die Ah­nung von der Un­si­cher­heit al­les mensch­li­chen Ge­schicks und dass das Leid mit­über­nom­men wer­den muss, wenn un­se­rem hö­he­ren Ich sein Wil­le ge­sche­hen soll. Die­se Er­kennt­nis, im Ge­fühl ent­sprun­gen, wenn auch noch nicht im Be­griff er­fasst, stärk­te mich für die Wi­der­wär­tig­kei­ten, de­nen ich an der Schwel­le der Ju­gend ent­ge­gen­ging.

      Jene Art Un­ter­drückung, die an der glei­chen Fä­hig­keit des weib­li­chen Geis­tes zwei­felt, habe ich an mir sel­ber nicht er­fah­ren. Geis­tes­we­ge la­gen vor mir, sie gin­gen strah­lig nach vie­len Sei­ten: der Hu­ma­nis­mus war mit der Mut­ter­milch über­kom­men, spä­ter brach­ten die Brü­der die Na­tur­wis­sen­schaf­ten ins Haus, frei­lich nur in den fer­ti­gen Schlüs­sen, nicht mit dem Weg, auf dem sie er­ar­bei­tet wa­ren.

      Auch das Va­te­rer­be des Hu­ma­nis­mus war zu­nächst nur in sei­nen Aus­wir­kun­gen vor­han­den, als Le­bens­stil wie als in­ne­re Stel­lung­nah­me. Im ein­zel­nen hieß es, das Erbe er­wer­ben, um es zu be­sit­zen; hie­für gab es Wink und Fin­ger­zeig, es gab un­er­müd­li­che An­re­gung von sei­ten ei­ner

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