Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Da meine Geburt mit der Neugeburt des Lichtes unter dem Zeichen des Steinbocks, dem Juelfest unserer germanischen Vorfahren, zusammenfiel, so wurde die nahe Weihnacht auf diesen Tag vorverlegt. Es gab für mich somit nur ein Fest im Jahre, aber dieses war ein kosmisches, woran die ganze Erde teil hatte. Nach meinen kindlichen Begriffen verlor ich zwar den zweiten Gabentisch des Jahres, doch auf dem Tag, der mich gebracht hatte, lag eine höhere Weihe, ein feierlicherer Nachdruck. Die damit gegebene Vorausbedeutung erfüllte sich bei meinem Heranwachsen in dem Sinn, dass in dem großen Geschwisterkreis das meiste Licht auf die einzige Tochter fiel, dass ich aber gemäß den Anschauungen der Zeit mit allen irdischen Ansprüchen hinter den Brüdern verschwinden musste. In meinem späteren Leben, als ich den lichtsuchenden Charakter des Steinbocks erkannt hatte, fühlte ich mich ihm dienst- und lehenspflichtig und stellte mir ihn oder sein astronomisches Zeichen zum Sinnbild und Wappen auf.
In »Dichtung und Wahrheit« bemerkt Goethe, das ganze Leben eines Menschen hänge von dem Jahrzehnt seiner Geburt ab: zehn Jahre später zur Welt gekommen und sein Lebensgang wäre ein völlig anderer geworden. Wie viel mehr gilt das von einem Frauenleben! Zehn Jahre später, und ich hätte meinen Weg schon nicht mehr so ungangbar gefunden, mein Erscheinen wäre nicht so unbegreiflich fremdartig gewesen und so erbittert bekämpft worden, wie es auf dem Riss zwischen zwei Zeitaltern, einem das langsam sich zum Ausklingen anschickte und dem von mir unbewusst vorausgenommenen neuen, der Fall war.
Auf diesen Riss war ich zunächst ganz ohne mein Zutun schon im unmündigen Alter gestellt worden. Ich hatte ja zur Mutter eine Frau, deren Haltung zu dem damaligen Frauentum im stärksten Gegensatz stand. Da sie aus altem Adel stammte, dazu äußerst fortschrittlich war, konnte sie auf die bürgerlichen Vorurteile heruntersehen; ihr waren bessere Bildungsmöglichkeiten zu Gebote gestanden, sie hatte sich auch auf eigene Hand weitergeholfen und brachte zwar kein systematisches Wissen aber ein weites Gesichtsfeld und eine unendliche Begeisterung für alles Große und Schöne, für Dichtung, Sprachen, Philosophie und Geschichte, besonders die des Altertums, mit in die Ehe. Was sie nur teilweise erreichte, wollte sie in der Tochter vollendet sehen. Aber die Mittel fehlten, denn es war einer der Fälle, wo die Knabenerziehung die elterliche Kasse erschöpfte. Ihr Heim war jetzt kein freiherrliches mehr, sondern das höchst bescheidene eines deutschen Dichters, dem die Stumpfheit seiner Zeitgenossen den Erfolg vorenthielt. Für mich gab es keine französischen und englischen Bonnen, keine im Latein unterrichtenden Hauslehrer wie einst für sie. Von den Mädchenschulen fanden die Eltern, keine Schule wäre besser. So unterrichtete sie mich selber, aber freilich ohne Ordnung und Methode und selbst ohne festen Stundenplan, je nachdem die häuslichen Geschäfte ihr gerade Zeit ließen. Ich habe ihr das Lehren leicht gemacht, obwohl ich keinen richtigen Lernkopf hatte und Wissen als Häufung von Tatsachen mich nicht im geringsten reizte; die Dinge liefen mir von selbst entgegen und ich ihnen, weil ihre feurige Fantasie schnell die meinige entzündete und alles lebendig machte. Von den Schulaufgaben der Brüder, die sie abhörte, fielen auch nahrhafte Bröcklein ab und wurden mir zugetragen. Im übrigen musste ich mir helfen, wie ich konnte; ich las unglaublich viel, auch in fremden Sprachen, die von selbst an mir hängen blieben. Freilich musste ich später die schnelle Entwicklung büßen, da ich immer wieder an den Grundmauern nachzubessern hatte. Zum Griechentum, das lebenslang unser beider Heimat blieb, lieferte sie mir zuerst den Schlüssel, indem sie mir in ganz früher Kindheit die beiden großen homerischen Gesänge in die Hand gab. Ihre Gestalten wurden mir das Vertrauteste was ich hatte; ich kannte sie alle persönlich, sie wuchsen mit mir, und ich sah sie auch gar nicht als Vorzeitriesen, außermenschlich und fremdartig, wie sie dem Grünen Heinrich erschienen, der sie als Jüngling zuerst kennenlernte. Ihre Maße waren vielmehr der Maßstab, den ich an alle meine Wunschbilder legte, und sie wurden der Anlass, dass ich mich lebenslang bei den wechselnden Literaturmoden so jämmerlich übel befand, ja viele der berühmtesten Tageserzeugnisse, die der Kritik und dem Publikum wie Kaviar auf der Zunge zergingen, schlechterdings nicht hinunterbrachte. – Erwachsen ließ ich mich dann durch meinen Jugendkameraden Ernst Mohl in die griechische Sprache einführen und gelangte damit aus der Vorhalle in die Cella des Tempels.
Was die Griechen mir gaben, hat auf allen Altersstufen ein neues Gesicht getragen und mich immer zu neuem Dank verpflichtet. Denn dieses Volk hat sich ja immer wieder mit neuen Zügen vor der alternden Welt verjüngt, und ihre Bedeutung wird niemals auszuschöpfen sein. Für mich ging sie über den poetischen Genuss weit hinaus ins Ethische, in die eigentliche Lebensanschauung über. Der tragische Untergrund, auf dem sie stehen, gab schon dem Kinde die Ahnung von der Unsicherheit alles menschlichen Geschicks und dass das Leid mitübernommen werden muss, wenn unserem höheren Ich sein Wille geschehen soll. Diese Erkenntnis, im Gefühl entsprungen, wenn auch noch nicht im Begriff erfasst, stärkte mich für die Widerwärtigkeiten, denen ich an der Schwelle der Jugend entgegenging.
Jene Art Unterdrückung, die an der gleichen Fähigkeit des weiblichen Geistes zweifelt, habe ich an mir selber nicht erfahren. Geisteswege lagen vor mir, sie gingen strahlig nach vielen Seiten: der Humanismus war mit der Muttermilch überkommen, später brachten die Brüder die Naturwissenschaften ins Haus, freilich nur in den fertigen Schlüssen, nicht mit dem Weg, auf dem sie erarbeitet waren.
Auch das Vatererbe des Humanismus war zunächst nur in seinen Auswirkungen vorhanden, als Lebensstil wie als innere Stellungnahme. Im einzelnen hieß es, das Erbe erwerben, um es zu besitzen; hiefür gab es Wink und Fingerzeig, es gab unermüdliche Anregung von seiten einer