Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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ist an das Le­ben ge­knüpft, an den Kreu­zungs­punkt des Geis­ti­gen mit dem Kör­per­li­chen, es west in al­lem Un­wie­der­bring­li­chen, das der Ge­gen­wart ge­hört, in Blick und La­chen, in Mie­ne, Ges­te und Be­we­gung – Schrift­zü­ge, die kei­ne ir­di­sche Chro­nik fest­hält. Wie nach dem Zeug­nis der Zeit­ge­nos­sen der hei­li­ge Fran­zis­kus vor dem Paps­te In­no­zenz ste­hend aus Ent­zücken kei­nen Au­gen­blick still­hal­ten konn­te, son­dern im­mer tan­zend hin und her fuhr, die­ses Bild bringt mir die queck­sil­ber­ne Über­be­weg­lich­keit mei­nes Müt­ter­leins aus ih­ren jun­gen Jah­ren ins Ge­dächt­nis. Hät­te die­ses lie­be­glü­hen­de Herz nur ei­ni­gen Sinn für den Wert ei­ner frau­li­chen Heim­stät­te be­ses­sen, für die Wohl­tat der Ord­nung und Har­mo­nie, für ein we­nig Maß und Takt­hal­ten, es wäre nir­gends so wohn­lich ge­we­sen wie in ih­rer Nähe. Dem aber wi­der­sprach das Sprung­haf­te ih­res We­sens und ihre Fran­zis­kus­na­tur, die kei­ner­lei Be­sitz woll­te und kaum das Not­dürf­tigs­te an­ders denn als läs­ti­ges An­häng­sel emp­fand. Wäh­rend al­les Le­be­we­sen sich un­wi­der­steh­lich zu ihr ge­zo­gen fühl­te, Tie­re, Kin­der, jun­ge Leu­te, er­griff das Un­be­seel­te bei ih­rem Er­schei­nen als­bald die Flucht; das Wort von der»Tücke des Ob­jekts« schi­en ei­gens für sie er­fun­den. Das Schreib­zeug wan­der­te aus, Kaf­fee­löf­fel rot­te­ten sich ir­gend­wo zu­sam­men, um nicht zum Früh­stücks­tisch zu kom­men, das gan­ze zum Da­sein un­ent­behr­li­che Klein­volk des Haus­rats war um sie her in be­stän­di­gem Aufruhr. Wenn ich mich müh­te, Ord­nung zu stif­ten, so wur­de sie är­ger­lich oder lach­te mich aus: Wozu den Um­stand um ein Nichts! Be­quem­lich­kei­ten ver­ach­te­te sie, nicht aus as­ke­ti­schem Hoch­mut, son­dern weil sie nichts da­mit an­zu­fan­gen wuss­te. Ihr An­zug durf­te we­der Geld noch Zeit kos­ten und hat­te nur den ur­tüm­lichs­ten Zweck, die Blö­ße zu de­cken. Sie sah durch­aus nicht, was sie an­zog, und ver­si­cher­te aufs be­stimm­tes­te, dass die an­de­ren es auch nicht sä­hen! Nur ei­nes war ihr in spä­te­ren Jah­ren un­leid­lich: dass ihr Haar er­greis­te, denn ihr star­kes Le­bens­ge­fühl ver­trug sich nicht mit der Vor­stel­lung von Al­ter und Ver­fall, wie sie sich auch am liebs­ten mit jun­gen Men­schen um­gab. Sie schlang also ein schwar­zes Schlei­er­tuch ganz enge um die Stirn, was ih­ren von der Zeit und dem Geist im­mer mehr durch­ge­mo­del­ten Zü­gen zu­letzt et­was ganz Über­sinn­li­ches gab. Da­mit man nicht glau­be, dass die Mut­ter kahl sei, schob ihr ge­le­gent­lich ei­ner der Söh­ne schnell ein­mal in An­we­sen­heit Frem­der den Schlei­er weg, dass der Sil­ber­glanz auf­schim­mer­te, wo­durch sie sich je­doch ge­schä­digt fühl­te, denn sie woll­te sich nicht alt wis­sen.

      Wenn mein Va­ter ge­le­gent­lich halb scher­zend äu­ßer­te, er hal­te es mit dem Mut­ter­recht der Ur­völ­ker, weil der Frau, die al­len Schmerz und alle Last der Mut­ter­schaft tra­ge, auch das ers­te Recht an die Kin­der zu­ste­he, da war er sich schwer­lich be­wusst, dass es in der Tat ein Wie­der­auf­le­ben je­ner ur­zeit­li­chen Zu­stän­de war, das in sei­nem Hau­se herrsch­te und auch über das künf­ti­ge Ge­schick sei­ner Kin­der ent­schied. Sei­ne Gat­tin diente ihm mit Be­geis­te­rung und ver­ehr­te je­des sei­ner Wor­te als Ora­kel, aber ihre Kin­der wa­ren ihr Ei­gen­tum, das sie al­lein ver­wal­te­te, ihm nur so viel Mit­ver­wal­tung las­send, als es ihn bei sei­ner Ar­beit nicht be­schwer­te. Er konn­te auch nichts tun als ab­dan­ken, weil sei­ne von den lan­gen po­li­ti­schen, li­te­ra­ri­schen und wirt­schaft­li­chen Kämp­fen zer­rie­be­nen Ner­ven der Dop­pel­auf­ga­be nicht mehr ge­wach­sen wa­ren. Auch war er ja si­cher, dass ihr Ein­fluss der edels­te war und aus den höchs­ten Ge­sichts­punk­ten ge­übt. Nicht, wie es sonst Frau­en­art ist, mit der Rich­tung auf den äu­ße­ren Er­folg, son­dern ein­zig auf die hö­he­ren Wer­te. Sie er­schwer­te so­gar ih­ren Kin­dern un­be­denk­lich das oh­ne­hin so schwie­ri­ge bür­ger­li­che Fort­kom­men, in­dem sie sie zur äu­ßers­ten Un­beug­sam­keit in al­len grund­sätz­li­chen Fra­gen er­zog und sie da­mit von An­fang an mit der Welt, wie sie war, in Ge­gen­satz brach­te. Auf drei höchst ei­gen­ar­tig ab­ge­präg­te Söh­ne (ich spre­che nicht von dem Jüngs­ten, Lei­den­den und von ihr Be­treu­ten, bei dem es sich von selbst ver­stand) über­trug sie ihr Welt­bild, auch wo es sich an­ders als beim Va­ter schat­tier­te, durch eine zum Teil vor­ge­burt­li­che Be­ein­flus­sung. Noch bis ins drit­te Glied dau­er­te un­ter gänz­lich ver­än­der­ten Le­bens­be­din­gun­gen in ge­wis­sem Sin­ne ihr Wal­ten: sie gab oder er­gänz­te den En­keln die Na­men und wirk­te auf ihre Er­zie­hung so­weit ein, dass sie auf ih­ren spä­te­ren, ganz an­ders ver­lau­fen­den Bah­nen im­mer noch das Vor­bild der Non­na (Groß­mut­ter), wenn auch nicht mehr weg­wei­send, so doch als stil­le Mah­nung über sich fühl­ten. Dass die klein­bäu­er­lich so an­spruchs­lo­se Frau nach dem Tode des Va­ters und un­se­rem Aus­zug aus dem Va­ter­land den gan­zen Clan wie­der so fest zu­sam­men­fass­te, dass kei­nes sich wei­ter als auf die Ent­fer­nung ei­ner Ta­ge­rei­se von ihr nie­der­ließ, er­schi­en al­len als das von selbst Ge­ge­be­ne. Wie es auch gar nicht an­ders denk­bar war, als dass ihr Äl­tes­ter, der da­heim die sei­nen Ga­ben an­ge­mes­se­ne Stel­lung nicht fin­den konn­te, Flo­renz als ärzt­li­chen Wir­kungs­kreis wähl­te, da­mit sei­ne Mut­ter mit dem lei­den­den Jüngs­ten ihm in das mil­de Kli­ma fol­gen konn­te.

      Nichts ma­che so un­ent­behr­lich wie die Lie­be, sagt Wer­ter, und dies war auch das Ge­heim­nis der al­les über­wie­gen­den müt­ter­li­chen Macht in un­se­rem Hau­se: die Lie­be, die Nest­wär­me, mit der sie alle von ihr Ge­bo­re­nen um­fan­gen hielt und die sie auch wei­ter­hin auf al­les At­men­de aus­dehn­te, dass es bei ihr un­ter­schlüp­fen und sich vor­wär­men konn­te ge­gen die kal­ten Lüf­te des Le­bens. Am engs­ten – oft schmerz­haft enge – hielt sie die Toch­ter an sich ge­bun­den, ob­gleich ge­ra­de die­se, in de­ren In­ne­rem sich, gleich­falls an­ge­bo­re­n­er­wei­se, die vä­ter­li­chen Strö­me mit den müt­ter­li­chen kreuz­ten, ihr am häu­figs­ten in grund­sätz­li­chen Fra­gen wi­der­streb­te. Ver­stan­des­mä­ßig fuß­te sie auf den Lehr­sät­zen der fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on, de­ren For­mel­haf­tig­keit ihr nicht auf­ge­hen konn­te, weil sie sie mit den Glut­strö­men ih­res Her­zens er­füll­te und bei der Aus­übung in lau­ter schüt­zen­de und näh­ren­de Lie­be ver­wan­del­te. Wer kann Lie­be, die zur Tat wird, wi­der­le­gen? Wenn sie in Ein­zel­hei­ten irr­te, das Gan­ze ih­res We­sens war Lie­be, die nie­mals Irr­tum ist. Und vor die­ser Ur­ge­walt gab es kein Ent­rin­nen. Aber alle Lie­be ist grau­sam, selbst die hei­ligs­te, die Mut­ter­lie­be. Um mehr und im­mer mehr ge­liebt zu sein, lässt sie sich auch die Pein des an­dern Teils nicht reu­en. Bei mir ging die­se Pein auf die frü­he­s­te Kind­heit zu­rück. Bei ei­nem Be­such in Stutt­gart sah ich ein­mal vom Fens­ter aus eine Schar klei­ner grau­ge­klei­de­ter Mäd­chen, die paar­wei­se von ei­ner in das­sel­be Grau ge­klei­de­ten Schwes­ter durch die Stra­ßen ge­führt wur­den. Es sei­en die Wai­sen­kin­der, sag­te Mama und er­zähl­te mir von dem trost­lo­sen Schick­sal sol­cher ar­men Ge­schöp­fe, die kei­ne El­tern mehr hät­ten und ohne Lie­be und Freu­de un­ter der Ob­hut frem­der Per­so­nen her­an­wüch­sen. Sie wuss­te nicht, was sie tat, sie ahn­te nicht, die lie­bends­te al­ler Müt­ter, dass sich mit ei­nem Schlag die Welt für mich ver­wan­del­te und ich eben schon sel­ber grau­ge­klei­det und im Her­zen frie­rend als Wai­se in der grau­en Elends­wol­ke mit da­hin­zog.

      Von je­nem Tage ab stand mein Le­ben un­ter dem Schat­ten des To­des.

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