Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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An­stoß, denn sie sel­ber war das Rück­stän­digs­te, was es gab, wenn­schon die hoch­ge­lehr­te Uni­ver­si­täts­stadt des hoch­ge­lehr­ten Schwa­ben­lan­des. Aber die­se Ge­lehr­sam­keit glänz­te nur auf dem Ka­the­der; in den Fa­mi­li­en, die trotz der aus­ge­präg­tes­ten Män­ner­herr­schaft, viel­leicht ge­ra­de des­halb, ganz das Ge­prä­ge der Frau, näm­lich der un­wis­sen­den, tru­gen, herrsch­te die dun­kels­te Un­bil­dung. Mit mei­nem Heran­wach­sen wuchs der Ge­gen­satz. Al­les Schö­ne, wo­für ich er­glüht war: Poe­sie und Kunst, Pfle­ge und Stäh­lung des Kör­pers durch das was man heu­te Sport nennt und was nur ge­gen den Wi­der­spruch der öf­fent­li­chen Mei­nung durch­zu­set­zen war, galt für na­he­zu dia­bo­li­schen Ur­sprungs. Am meis­ten wehr­ten sich die Müt­ter und Töch­ter der klei­nen Stadt ge­gen solch ein jun­ges Men­schen­we­sen, in des­sen of­fen­bar ver­früh­tem Er­schei­nen sie das Her­auf­däm­mern ei­ner neu­en, ihr gan­zes Her­kom­men in Fra­ge stel­len­den Zeit ah­nen moch­ten. Die Tra­gik die­ser Ver­früht­heit, in die mich die Na­tur ge­ru­fen hat­te, war die wid­rigs­te von den wid­ri­gen Schick­sals­mäch­ten, die mich an der Schwel­le des Le­bens emp­fin­gen. Dass es mir ohne äu­ße­re Hil­fe ge­lang, sie we­nigs­tens teil­wei­se zu über­win­den, schrei­be ich der Gna­de des freund­li­chen Gestir­nes zu, das mich bei der Ge­burt an­ge­blickt hat­te. »Das meis­te näm­lich ver­mag die Ge­burt«, singt Höl­der­lin, »und der Licht­strahl, der dem Neu­ge­bor­nen be­geg­net.« Eine selt­sa­me Na­tu­r­an­la­ge half da­bei nach, die mich die feind­se­li­ge Au­ßen­welt in Au­gen­bli­cken, wo ich nicht un­mit­tel­bar un­ter ihr litt, mehr wie einen bö­sen Traum als wie eine le­ben­di­ge Wirk­lich­keit an­se­hen ließ oder höchs­tens wie eine wil­de In­sel, auf die mich ein Schiff­bruch ver­schla­gen hät­te.

      1 Aus: Der My­thus von Ori­ent und Ok­zi­dent <<<

      Die im Vor­ste­hen­den ge­schil­der­ten Zu­stän­de schu­fen nur den äu­ße­ren Ring der Schwie­rig­kei­ten, die mei­nen Weg ins Le­ben um­la­ger­ten. Es gab noch einen en­ge­ren, der aus der nächs­ten Um­welt, aus dem An­ge­hö­ri­gen­krei­se sel­ber kam. Ich habe mich spä­ter in der Welt oft­mals ge­wun­dert, wie lo­cker in den meis­ten Fa­mi­li­en der Zu­sam­men­hang ist, wie schnell das Band zwi­schen den Ge­schwis­tern ver­sagt, wenn sie ein­mal das ge­mein­sa­me Nest ver­las­sen ha­ben, und wie we­nig auch Kin­der be­deu­ten­der Men­schen von der Ju­gend und so­gar von dem mit­er­leb­ten Le­ben ih­rer El­tern wis­sen; von den Gro­ß­el­tern ganz zu schwei­gen, die im Zwie­licht zu ver­däm­mern pfle­gen. Bei uns war es an­ders. Wir bil­de­ten nicht nur eine Fa­mi­lie, son­dern eine eng­ge­schlos­se­ne Geis­tes­ge­mein­schaft, die auch in das drit­te Fol­ge­ge­schlecht nach­wir­ken soll­te. Aus die­ser na­hen Ver­bun­den­heit her­aus konn­te ich nicht nur die Ge­schich­te mei­ner El­tern, son­dern auch die der Vor­el­tern er­zäh­len, weil mir das lan­ge Ge­dächt­nis mei­ner Mut­ter und das noch län­ge­re ih­rer Jo­se­phi­ne, ge­nannt Fina, die sie in Win­deln be­treut hat­te, zur Ver­fü­gung stand. In un­se­rem Hau­se konn­te es auch kei­nen Kampf der Ge­ne­ra­tio­nen ge­ben, denn mei­ne El­tern hat­ten sel­ber schon so weit vor­ne be­gon­nen, dass die Zeit ih­nen noch lan­ge nicht nach­kam. Die­ser ge­mein­sa­me Ge­gen­satz ge­gen eine noch lan­ge nicht nach­kom­men­de Zeit war es dann auch, was uns Ge­schwis­ter so enge zu­sam­men­band, dass wir eine ei­ge­ne, ganz auf sich ge­stell­te Welt bil­de­ten, in der wir uns ge­gen­sei­tig Wohl und Wehe be­deu­te­ten und aus der wir uns die Maß­stä­be für das Le­ben hol­ten, wo aber auch die in­ne­ren Er­schüt­te­run­gen nie zur Ruhe ka­men. Es sei je­doch be­tont, was heu­te nicht mehr so selbst­ver­ständ­lich ist wie da­mals: dass den vie­len Rei­bun­gen nie­mals ein ma­te­ri­el­ler An­lass zu­grun­de lag und dass die Fra­ge von Mein und Dein, Miss­gön­nen und Sel­ber­ha­ben­wol­len im Fa­mi­li­en­kreis nie eine Rol­le ge­spielt hat.

      Als der Dich­ter Her­mann Kurz aus dem ur­al­ten, schon um 1400 ge­nann­ten Reut­lin­ger Bür­ger­hau­se der Glo­cken­gie­ßer und Rats­herrn Kurz (rich­ti­ger Kurtz) die hoch­ge­mu­te, von Va­ter­sei­te aus kur­län­di­schem Adel stam­men­de Frei­in von Brun­now hei­ra­te­te, er­wuchs aus die­sem Bun­de zwei­er kris­tall­kla­rer, von den glei­chen Idea­len er­füll­ter und geis­tig eben­bür­ti­ger, aber im Na­tu­rell grund­ver­schie­de­ner Men­schen eine Nach­kom­men­schaft, in der die el­ter­li­chen Züge sich so misch­ten und ver­meng­ten, dass je­des eine ge­schlos­se­ne Ein­heit dar­stell­te, dem an­de­ren nur in der Ge­sin­nung und in den Idea­len ähn­lich, in der In­di­vi­dua­li­tät un­ähn­lich. Ed­gar, der Äl­tes­te, des­sen Cha­rak­ter­bild ich in mei­nen »Flo­ren­ti­ni­schen Erin­ne­run­gen« ein­ge­hend ge­zeich­net habe, war der hel­di­sche Mensch, eine Pio­niers­na­tur, ge­bo­ren um vor­an­zu­ge­hen, an Un­be­dingt­heit und Wa­ge­lust der Mut­ter gleich, aber vom Va­ter her ver­wi­ckel­ter und ver­letz­li­cher ge­ar­tet. Er war mehr für die großen Schick­sals­stun­den als für das täg­li­che Le­ben ge­macht, denn im­mer groß­ge­sinnt und op­fer­be­reit für die Sa­che, die er ver­trat, im Fa­mi­li­en­krei­se sah er nur sich sel­ber. Das war nicht der Ego­is­mus des Ge­wöhn­li­chen, der das Sei­ne sucht: sein ge­nia­les Ich wirk­te in ihm mit sol­cher Stoß­kraft, dass ihm die Be­lan­ge der an­de­ren gar nicht zum Be­wusst­sein ka­men; Un­rast und Reiz­bar­keit mach­ten ihn ver­zeh­rend. Nur der Adel sei­nes gan­zen We­sens half mit den Schär­fen die­ses schwie­ri­gen Tem­pe­ra­ments zu­recht­zu­kom­men. Wir zwei stan­den uns nicht nur nach den Jah­ren, son­dern auch in den in­ners­ten Be­dürf­nis­sen und den heim­lichs­ten See­len­schwin­gun­gen am nächs­ten und konn­ten uns ohne Wor­te ver­ste­hen; der glei­che Him­mel der Poe­sie wölb­te sich über un­se­ren Stir­nen. Ich wuss­te als Kind und jun­ges Mäd­chen, dass er mich glü­hend lieb­te, mit ei­ner scheu­en ver­schwie­ge­nen Zärt­lich­keit, die sich hin­ter sprö­der Scha­le barg. Aber sein Be­herr­schen­wol­len, sein Al­lein­be­sit­zen­wol­len mach­te es schwer, in dau­ern­dem Frie­den mit ihm zu le­ben; nicht nur der Schwes­ter, auch den Ju­gend­freun­den ging es so. Zwar mein Tun be­krit­tel­te er nie­mals, er ver­stand es zu gut von sei­nem ei­ge­nen in­ners­ten We­sen aus, aber mein Den­ken und Mei­nen such­te er sich im­mer­dar zu un­ter­wer­fen und mir die geis­ti­ge Frei­heit zu be­schrän­ken, ohne die ich nicht le­ben konn­te. Da­bei wa­ren wir in al­len tiefe­ren Fra­gen so selbst­ver­ständ­lich ei­nig, dass es nur im­mer ein Stür­men, aber ein schmerz­li­ches, auf der Ober­flä­che gab. Jah­re hin­durch üb­ten wir uns in ei­nem poe­ti­schen Wett­streit, des­sen Pro­ben in die Hän­de der Mut­ter ge­legt wur­den. Bei die­sen un­ter­schie­den sich frü­he sein Hang, sich im Sub­jek­ti­ven, Ge­gen­wär­ti­gen ein­zu­schlie­ßen, und der mei­ni­ge, aus dem Per­sön­li­chen ins All­ge­mei­ne hin­aus­zu­drän­gen. Es moch­te für den Ehr­gei­zi­gen, der sonst mit sei­nen großen Fä­hig­kei­ten al­lent­hal­ben mü­he­los vor­an­stand, nicht ganz leicht sein, all­mäh­lich auf die­sem Punkt vor der jün­ge­ren Schwes­ter zu­rück­zu­tre­ten. Als Er­wach­se­ner ver­stumm­te er, und wäh­rend ich vor die Öf­fent­lich­keit trat, pfleg­te er nur heim­lich sein Ta­lent wei­ter. Um so hö­her ehrt es ihn, dass er nie­mals auch nur einen Hauch von Miss­mut füh­len ließ, son­dern mir wil­lig das Mei­ne ließ. Er, der per­sön­lich so stolz war, wuss­te nichts vom Ge­schlechts­hoch­mut der Dum­men. Nach

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