Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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1 Aus: Der Mythus von Orient und Okzident <<<
Zweites Kapitel – Mutterrecht
Die im Vorstehenden geschilderten Zustände schufen nur den äußeren Ring der Schwierigkeiten, die meinen Weg ins Leben umlagerten. Es gab noch einen engeren, der aus der nächsten Umwelt, aus dem Angehörigenkreise selber kam. Ich habe mich später in der Welt oftmals gewundert, wie locker in den meisten Familien der Zusammenhang ist, wie schnell das Band zwischen den Geschwistern versagt, wenn sie einmal das gemeinsame Nest verlassen haben, und wie wenig auch Kinder bedeutender Menschen von der Jugend und sogar von dem miterlebten Leben ihrer Eltern wissen; von den Großeltern ganz zu schweigen, die im Zwielicht zu verdämmern pflegen. Bei uns war es anders. Wir bildeten nicht nur eine Familie, sondern eine enggeschlossene Geistesgemeinschaft, die auch in das dritte Folgegeschlecht nachwirken sollte. Aus dieser nahen Verbundenheit heraus konnte ich nicht nur die Geschichte meiner Eltern, sondern auch die der Voreltern erzählen, weil mir das lange Gedächtnis meiner Mutter und das noch längere ihrer Josephine, genannt Fina, die sie in Windeln betreut hatte, zur Verfügung stand. In unserem Hause konnte es auch keinen Kampf der Generationen geben, denn meine Eltern hatten selber schon so weit vorne begonnen, dass die Zeit ihnen noch lange nicht nachkam. Dieser gemeinsame Gegensatz gegen eine noch lange nicht nachkommende Zeit war es dann auch, was uns Geschwister so enge zusammenband, dass wir eine eigene, ganz auf sich gestellte Welt bildeten, in der wir uns gegenseitig Wohl und Wehe bedeuteten und aus der wir uns die Maßstäbe für das Leben holten, wo aber auch die inneren Erschütterungen nie zur Ruhe kamen. Es sei jedoch betont, was heute nicht mehr so selbstverständlich ist wie damals: dass den vielen Reibungen niemals ein materieller Anlass zugrunde lag und dass die Frage von Mein und Dein, Missgönnen und Selberhabenwollen im Familienkreis nie eine Rolle gespielt hat.
Als der Dichter Hermann Kurz aus dem uralten, schon um 1400 genannten Reutlinger Bürgerhause der Glockengießer und Ratsherrn Kurz (richtiger Kurtz) die hochgemute, von Vaterseite aus kurländischem Adel stammende Freiin von Brunnow heiratete, erwuchs aus diesem Bunde zweier kristallklarer, von den gleichen Idealen erfüllter und geistig ebenbürtiger, aber im Naturell grundverschiedener Menschen eine Nachkommenschaft, in der die elterlichen Züge sich so mischten und vermengten, dass jedes eine geschlossene Einheit darstellte, dem anderen nur in der Gesinnung und in den Idealen ähnlich, in der Individualität unähnlich. Edgar, der Älteste, dessen Charakterbild ich in meinen »Florentinischen Erinnerungen« eingehend gezeichnet habe, war der heldische Mensch, eine Pioniersnatur, geboren um voranzugehen, an Unbedingtheit und Wagelust der Mutter gleich, aber vom Vater her verwickelter und verletzlicher geartet. Er war mehr für die großen Schicksalsstunden als für das tägliche Leben gemacht, denn immer großgesinnt und opferbereit für die Sache, die er vertrat, im Familienkreise sah er nur sich selber. Das war nicht der Egoismus des Gewöhnlichen, der das Seine sucht: sein geniales Ich wirkte in ihm mit solcher Stoßkraft, dass ihm die Belange der anderen gar nicht zum Bewusstsein kamen; Unrast und Reizbarkeit machten ihn verzehrend. Nur der Adel seines ganzen Wesens half mit den Schärfen dieses schwierigen Temperaments zurechtzukommen. Wir zwei standen uns nicht nur nach den Jahren, sondern auch in den innersten Bedürfnissen und den heimlichsten Seelenschwingungen am nächsten und konnten uns ohne Worte verstehen; der gleiche Himmel der Poesie wölbte sich über unseren Stirnen. Ich wusste als Kind und junges Mädchen, dass er mich glühend liebte, mit einer scheuen verschwiegenen Zärtlichkeit, die sich hinter spröder Schale barg. Aber sein Beherrschenwollen, sein Alleinbesitzenwollen machte es schwer, in dauerndem Frieden mit ihm zu leben; nicht nur der Schwester, auch den Jugendfreunden ging es so. Zwar mein Tun bekrittelte er niemals, er verstand es zu gut von seinem eigenen innersten Wesen aus, aber mein Denken und Meinen suchte er sich immerdar zu unterwerfen und mir die geistige Freiheit zu beschränken, ohne die ich nicht leben konnte. Dabei waren wir in allen tieferen Fragen so selbstverständlich einig, dass es nur immer ein Stürmen, aber ein schmerzliches, auf der Oberfläche gab. Jahre hindurch übten wir uns in einem poetischen Wettstreit, dessen Proben in die Hände der Mutter gelegt wurden. Bei diesen unterschieden sich frühe sein Hang, sich im Subjektiven, Gegenwärtigen einzuschließen, und der meinige, aus dem Persönlichen ins Allgemeine hinauszudrängen. Es mochte für den Ehrgeizigen, der sonst mit seinen großen Fähigkeiten allenthalben mühelos voranstand, nicht ganz leicht sein, allmählich auf diesem Punkt vor der jüngeren Schwester zurückzutreten. Als Erwachsener verstummte er, und während ich vor die Öffentlichkeit trat, pflegte er nur heimlich sein Talent weiter. Um so höher ehrt es ihn, dass er niemals auch nur einen Hauch von Missmut fühlen ließ, sondern mir willig das Meine ließ. Er, der persönlich so stolz war, wusste nichts vom Geschlechtshochmut der Dummen. Nach