Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Isolde Kurz страница 145

Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

Скачать книгу

dunklen Ah­nun­gen ein. Sie sel­ber pfleg­te auf jede au­gen­blick­li­che Be­dräng­nis mit ei­nem vul­ka­ni­schen Ge­fühls­er­guss zu ant­wor­ten, wo­nach sie wie­der völ­lig im Gleich­ge­wicht war. So stell­te sie sich gar nicht vor, in wel­che Tie­fen bei dem Kind ihre Wor­te hin­un­ter­san­ken. In ih­ren mitt­le­ren Jah­ren wur­de sie oft von schwe­ren krampf­ar­ti­gen Zu­fäl­len be­trof­fen, die im­mer dann ein­tra­ten, wenn ihre zwei äl­tes­ten Söh­ne in wil­der Kna­ben­wut sich bei den Haa­ren hat­ten und ich, um Un­glück zu ver­hü­ten, da­zwi­schen­sprang. Sie wur­de von Zu­ckun­gen ge­schüt­telt, ver­lor die Be­sin­nung, der Atem pfiff und ging vor Er­re­gung aus: es war je­des Mal wie ein Vor­sta­di­um des Ster­bens. Wäh­rend ihre zwei Streithäh­ne das Wei­te such­ten und der jün­ge­re Er­win gleich­falls schon die Klin­ke in der Hand hat­te, ris­sen Jo­se­phi­ne und ich ihr die Klei­der auf, rie­ben sie, be­spreng­ten sie mit Was­ser, schlepp­ten sie auf ihr Bett und brach­ten sie all­mäh­lich wie­der zu sich mit der Aus­sicht, am an­dern Tag den schreck­li­chen Auf­tritt sich er­neu­ern zu se­hen. Zum Glück hat­te sie meist nach ei­ner Stun­de schon al­les ab­ge­schüt­telt, und es war dann gar nicht, als hät­te sich ein Ge­wit­ter ent­la­den, son­dern als wäre ein Schaum ver­weht. Der Arzt trös­te­te mich, dass die An­fäl­le un­ge­fähr­lich sei­en und sich nach we­ni­gen Jah­ren ver­lie­ren wür­den. Dem war auch so, be­son­ders weil der täg­li­che An­lass, die Kampf­wut der bei­den Kna­ben, mit der Zeit sich leg­te und in treue Ka­me­rad­schaft über­ging. Mir aber blieb im tiefs­ten Grund eine Schicht un­er­lös­ter Ban­gig­keit zu­rück, auf die sich im­mer­zu neue sol­che Schich­ten leg­ten und die mich lan­ge Zeit je­den Mor­gen wün­schen ließ, dass die Son­ne nicht mehr auf­ge­hen möch­te.

      Da­ne­ben war die un­be­greif­li­che Frau, die mit ih­rem Be­ken­ner­mut im­mer be­reit war, ihr Jahr­hun­dert in die Schran­ken zu for­dern, in al­len äu­ße­ren Din­gen hilf­los, so hilf­los wie nur je eine Frau des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts, der Zeit, wo die deut­sche Frau kei­nen an­de­ren Le­bens­raum hat­te als das Haus. Kei­nem der sie kann­te wäre es ein­ge­fal­len, dass sie je­mals mehr eine Rei­se un­be­glei­tet ma­chen (als jun­ges Mäd­chen tat sie es), al­lein im Gast­hof nur eine Nacht schla­fen oder ein Geld­ge­schäft sel­ber be­sor­gen könn­te. Sie hat auch kaum je einen Tag ver­bracht, ohne we­nigs­tens ei­nes ih­rer Kin­der um sich zu ha­ben. »Ich weiß mir nicht zu hel­fen ohne mein jun­ges Müt­ter­lein«, schrieb sie mir nach Mün­chen, als ich mich nach des Va­ters Tod vor­über­ge­hend von ihr ge­löst hat­te, um mir aus­wärts ein Fort­kom­men zu su­chen. So herrsch­te sie gleich­zei­tig durch un­beug­sa­me Wil­lens­kraft wie durch äu­ßers­te Hilf­lo­sig­keit. Bei ih­rer Un­be­dingt­heit, die im­mer das ethisch Rich­ti­ge, aber nicht das sach­lich und psy­cho­lo­gisch Mög­li­che woll­te, be­durf­te sie auch ei­ner lei­sen Hand, sie an den ih­rer war­ten­den Klip­pen vor­bei­zu­steu­ern, so­weit sie sich das ge­fal­len ließ. Die Söh­ne konn­ten ihr die­sen Dienst nicht leis­ten, denn mit ih­nen, den eben­so Un­be­ding­ten, muss­ten Rei­bun­gen am sorg­fäl­tigs­ten ver­mie­den wer­den. Es war eine ängst­li­che Auf­ga­be, sie da schwei­gen zu ma­chen, wo man ihr grund­sätz­lich recht gab, wo aber durch Re­den das Übel nur ver­dop­pelt wer­den konn­te. Ge­wohnt, mit den Fa­mi­li­en­glie­dern vor­sich­tig wie mit Spreng­kör­pern um­zu­ge­hen, glück­te es mir doch im­mer, dass sich die Sturm­wel­len un­schäd­lich ver­lie­fen und dass die auf­ge­reg­ten Vor­gän­ge dem Va­ter, des­sen er­schöpf­te Ner­ven­kraft der Ar­beits­ru­he be­durf­te, bei­na­he völ­lig un­be­kannt blie­ben. Ich sel­ber aber wur­de wie die Ma­gnet­na­del, die zwar ste­tig ih­ren Pol hält, aber im­mer­zu lei­se zit­tert. Die­ses Zit­tern, das nie­mand sah, wur­de mit der Zeit zur heim­li­chen Mar­ter mei­nes Le­bens. Es kam da­hin, dass ich sie nicht schla­fen se­hen konn­te, ein Schau­der trieb mich weg, als müss­te die­ser Schlaf nun gleich in den letz­ten über­ge­hen, von dem sie mir so oft ge­spro­chen hat­te. Je­den Mor­gen horch­te ich mit Ban­gen, ob sie wirk­lich noch un­ter uns atme. Leg­te ich den Kopf an ihre Brust und hör­te das Schla­gen ih­res Her­zens, so mein­te ich, die­ses tap­fe­re Herz, das schon so viel durch­ge­kämpft hat­te, müss­te nun gleich müde wer­den und die Ar­beit ein­stel­len. Ich wur­de aber­gläu­bisch und ach­te­te auf Träu­me, und al­lent­hal­ben sah ich böse Zei­chen: wenn eine Grup­pe Men­schen vor un­se­rer Hau­stü­re stand, so dach­te ich gleich, ob nicht ein Un­glück ge­sche­hen sei, und noch füh­le ich die Herz­be­klem­mung nach, mit der ich spä­ter ein­mal in Flo­renz von ei­ner län­ge­ren Rei­se zu­rück­keh­rend in der Drosch­ke ei­ner an­de­ren Drosch­ke nach­fuhr, worin eine schwarz­ge­klei­de­te Dame mit ei­nem großen Blu­men­strauß im Arme saß. Rich­tig hielt sie vor un­se­rer Tür; es war eine dank­ba­re Pa­ti­en­tin Ed­gars, die ih­rem Arzt Blu­men brach­te, wäh­rend ich dar­auf ge­fasst war, einen To­ten im Hau­se zu fin­den. – – So er­fuhr ich dau­ernd den selt­sams­ten al­ler Zu­stän­de, im­mer mit­ten im Le­ben zu ste­hen, ei­nem reich­be­weg­ten, hoch­ge­hen­den, und zu­gleich ab­seits vom Le­ben, in Angst und Tod.

      Darf ich das Schick­sal an­kla­gen, dass es mei­ne Ju­gend mit so viel Be­dräng­nis­sen um­gab? Was wäre ge­sche­hen, wenn gar kei­ne Toch­ter da­ge­we­sen wäre, zu schlich­ten und zu be­frie­den? Hät­ten die hem­mungs­lo­sen Brü­der sich frü­her be­meis­tern ge­lernt, wenn nie­mand zwi­schen sie und die Fol­gen ih­res Zorns ge­tre­ten wäre? Hät­te mein ra­sches Müt­ter­lein sich durch die ge­häuf­te Er­fah­rung end­lich lei­ten las­sen? Nutz­lo­se Fra­ge. Mich hat­te die Na­tur auf die­sen Pos­ten ge­stellt, es blieb mir kei­ne Wahl als ihn mit mei­ner Per­son de­cken. Und wenn ich es spä­ter dem ar­men, selbst so­viel ge­quäl­ten Mut­ter­her­zen vor­wer­fen woll­te, mich in mei­nen zar­ten Jah­ren so we­nig ge­schont zu ha­ben, so muss­te ich mir doch gleich sel­ber ent­geg­nen, dass ja auch sie es war, die mir als ihr Blut­s­er­be die Spann­kraft mit­ge­ge­ben hat­te, die schwers­ten Din­ge auf­zu­he­ben und in einen leich­teren Luf­traum mit hin­auf­zu­neh­men: aus der vä­ter­li­chen Erb­mas­se al­lein wäre mir die­se Fä­hig­keit nicht ge­kom­men. So blieb ich doch im­mer mei­nem Va­ter dank­bar, dass er, statt mir eine ge­wöhn­li­che schwä­bi­sche Haus­frau zur Mut­ter zu ge­ben, sich das selt­sa­me Geist­we­sen aus ei­nem an­de­ren Rei­che, Ma­rie von Brun­now ge­nannt, zur Le­bens­ge­fähr­tin ge­wählt hat. Ge­sch­ah es in vor­ge­burt­li­cher Voraus­sicht mei­ner Auf­ga­be, dass mich die bei­den, wie mir mei­ne Mut­ter oft er­zählt hat, ganz be­wusst mit al­len in­ne­ren und äu­ße­ren Merk­ma­len, so und nicht an­ders, ins Le­ben rie­fen? Und dass ich, noch im un­ge­form­ten See­len­stoff we­bend, hör­te und dem Ruf ent­sprach, hat das nicht am Ende wirk­lich so sein müs­sen?

      Denn auch zwi­schen ihr und ihm stand ich als die na­tür­li­che Ver­bin­dungs­brücke. Ihre ver­göt­tern­de Lie­be, die im­mer angst­voll an sei­nen Au­gen hing, konn­te ihm nur das Eine nicht ge­ben, das sie sel­ber nicht be­saß, Ruhe und Har­mo­nie, de­ren der Dich­ter­ge­ni­us be­darf. Ich hat­te ge­nug vom We­sen bei­der in mir, um ihn wie sie zu ver­ste­hen. Da­für hat­te mir die Na­tur schon ein äu­ßer­li­ches Zeug­nis auf­ge­prägt, in­dem sie mir in der lin­ken Hand­flä­che eine ge­naue Wie­der­ho­lung der zahl­rei­chen, zar­ten, viel­ver­äs­tel­ten und viel­durch­schnit­te­nen Li­ni­en sei­ner bei­den Hän­de mit­gab, worin sein höchst ver­fei­ner­tes Ge­müts­le­ben und sei­ne von Ge­gen­ge­wal­ten durch­kreuz­te Lauf­bahn ihr schwer­mü­ti­ges Sie­gel wie­sen. Die von der Mut­ter stam­men­den Li­ni­en der Rech­ten, die we­ni­gen,

Скачать книгу