Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Daneben war die unbegreifliche Frau, die mit ihrem Bekennermut immer bereit war, ihr Jahrhundert in die Schranken zu fordern, in allen äußeren Dingen hilflos, so hilflos wie nur je eine Frau des neunzehnten Jahrhunderts, der Zeit, wo die deutsche Frau keinen anderen Lebensraum hatte als das Haus. Keinem der sie kannte wäre es eingefallen, dass sie jemals mehr eine Reise unbegleitet machen (als junges Mädchen tat sie es), allein im Gasthof nur eine Nacht schlafen oder ein Geldgeschäft selber besorgen könnte. Sie hat auch kaum je einen Tag verbracht, ohne wenigstens eines ihrer Kinder um sich zu haben. »Ich weiß mir nicht zu helfen ohne mein junges Mütterlein«, schrieb sie mir nach München, als ich mich nach des Vaters Tod vorübergehend von ihr gelöst hatte, um mir auswärts ein Fortkommen zu suchen. So herrschte sie gleichzeitig durch unbeugsame Willenskraft wie durch äußerste Hilflosigkeit. Bei ihrer Unbedingtheit, die immer das ethisch Richtige, aber nicht das sachlich und psychologisch Mögliche wollte, bedurfte sie auch einer leisen Hand, sie an den ihrer wartenden Klippen vorbeizusteuern, soweit sie sich das gefallen ließ. Die Söhne konnten ihr diesen Dienst nicht leisten, denn mit ihnen, den ebenso Unbedingten, mussten Reibungen am sorgfältigsten vermieden werden. Es war eine ängstliche Aufgabe, sie da schweigen zu machen, wo man ihr grundsätzlich recht gab, wo aber durch Reden das Übel nur verdoppelt werden konnte. Gewohnt, mit den Familiengliedern vorsichtig wie mit Sprengkörpern umzugehen, glückte es mir doch immer, dass sich die Sturmwellen unschädlich verliefen und dass die aufgeregten Vorgänge dem Vater, dessen erschöpfte Nervenkraft der Arbeitsruhe bedurfte, beinahe völlig unbekannt blieben. Ich selber aber wurde wie die Magnetnadel, die zwar stetig ihren Pol hält, aber immerzu leise zittert. Dieses Zittern, das niemand sah, wurde mit der Zeit zur heimlichen Marter meines Lebens. Es kam dahin, dass ich sie nicht schlafen sehen konnte, ein Schauder trieb mich weg, als müsste dieser Schlaf nun gleich in den letzten übergehen, von dem sie mir so oft gesprochen hatte. Jeden Morgen horchte ich mit Bangen, ob sie wirklich noch unter uns atme. Legte ich den Kopf an ihre Brust und hörte das Schlagen ihres Herzens, so meinte ich, dieses tapfere Herz, das schon so viel durchgekämpft hatte, müsste nun gleich müde werden und die Arbeit einstellen. Ich wurde abergläubisch und achtete auf Träume, und allenthalben sah ich böse Zeichen: wenn eine Gruppe Menschen vor unserer Haustüre stand, so dachte ich gleich, ob nicht ein Unglück geschehen sei, und noch fühle ich die Herzbeklemmung nach, mit der ich später einmal in Florenz von einer längeren Reise zurückkehrend in der Droschke einer anderen Droschke nachfuhr, worin eine schwarzgekleidete Dame mit einem großen Blumenstrauß im Arme saß. Richtig hielt sie vor unserer Tür; es war eine dankbare Patientin Edgars, die ihrem Arzt Blumen brachte, während ich darauf gefasst war, einen Toten im Hause zu finden. – – So erfuhr ich dauernd den seltsamsten aller Zustände, immer mitten im Leben zu stehen, einem reichbewegten, hochgehenden, und zugleich abseits vom Leben, in Angst und Tod.
Darf ich das Schicksal anklagen, dass es meine Jugend mit so viel Bedrängnissen umgab? Was wäre geschehen, wenn gar keine Tochter dagewesen wäre, zu schlichten und zu befrieden? Hätten die hemmungslosen Brüder sich früher bemeistern gelernt, wenn niemand zwischen sie und die Folgen ihres Zorns getreten wäre? Hätte mein rasches Mütterlein sich durch die gehäufte Erfahrung endlich leiten lassen? Nutzlose Frage. Mich hatte die Natur auf diesen Posten gestellt, es blieb mir keine Wahl als ihn mit meiner Person decken. Und wenn ich es später dem armen, selbst soviel gequälten Mutterherzen vorwerfen wollte, mich in meinen zarten Jahren so wenig geschont zu haben, so musste ich mir doch gleich selber entgegnen, dass ja auch sie es war, die mir als ihr Blutserbe die Spannkraft mitgegeben hatte, die schwersten Dinge aufzuheben und in einen leichteren Luftraum mit hinaufzunehmen: aus der väterlichen Erbmasse allein wäre mir diese Fähigkeit nicht gekommen. So blieb ich doch immer meinem Vater dankbar, dass er, statt mir eine gewöhnliche schwäbische Hausfrau zur Mutter zu geben, sich das seltsame Geistwesen aus einem anderen Reiche, Marie von Brunnow genannt, zur Lebensgefährtin gewählt hat. Geschah es in vorgeburtlicher Voraussicht meiner Aufgabe, dass mich die beiden, wie mir meine Mutter oft erzählt hat, ganz bewusst mit allen inneren und äußeren Merkmalen, so und nicht anders, ins Leben riefen? Und dass ich, noch im ungeformten Seelenstoff webend, hörte und dem Ruf entsprach, hat das nicht am Ende wirklich so sein müssen?
Denn auch zwischen ihr und ihm stand ich als die natürliche Verbindungsbrücke. Ihre vergötternde Liebe, die immer angstvoll an seinen Augen hing, konnte ihm nur das Eine nicht geben, das sie selber nicht besaß, Ruhe und Harmonie, deren der Dichtergenius bedarf. Ich hatte genug vom Wesen beider in mir, um ihn wie sie zu verstehen. Dafür hatte mir die Natur schon ein äußerliches Zeugnis aufgeprägt, indem sie mir in der linken Handfläche eine genaue Wiederholung der zahlreichen, zarten, vielverästelten und vieldurchschnittenen Linien seiner beiden Hände mitgab, worin sein höchst verfeinertes Gemütsleben und seine von Gegengewalten durchkreuzte Laufbahn ihr schwermütiges Siegel wiesen. Die von der Mutter stammenden Linien der Rechten, die wenigen,