Gesammelte Werke. Isolde Kurz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Isolde Kurz страница 133
Abgezehrt, in schwarzem, nonnenhaftem Gewand, das Haar schneeweiß geworden, so tritt die Schwergeprüfte an der Seite ihres Retters in die Freiheit. Viele Jahre scheinen hinter ihr zu liegen, seit sie zuletzt das Sonnenlicht sah, jeder Tag der aufging, konnte ihr letzter sein, denn noch immer war sie dem Herzog im Wege. Da hat sie krank und fiebernd, im engen sonnenlosen Raum, Gericht über sich selber gehalten und hat ihre Vergehen für schwerer erkannt als ihre Strafe. Aber was ihr nach oben gerichteter Blick ausdrücken will, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Sucht sie, schon nahe dem Grab, über goldenen Wolken die Gnade, die die Büßerin sich erhofft? Oder ahnt sie noch einmal irdischen Glanz – die Krone von Toskana auf dem Haupt eines Enkels, durch den einmal Blut von ihrem Blute in allen Herrscherhäusern Europas fließen wird?
Es ist nicht gefahrlos, Geister zu rufen, auch nicht für den Eingeweihten. Damit sie erscheinen, muss er ihnen von seinem Blute zu trinken geben, das missbrauchen sie und lassen ihn erschöpft und blutleer zurück. Dass er die zwei feuerspeienden Drachen mit seinem Blute genährt hat, nimmt dem Rufer für den Rest der Nacht die Ruhe. Ihr wildbrausendes Leben hat sich ja nicht wie eine mattgewordene Welle am Ufer niedergelegt; solche Wellen unbändigen Lebenswillens umlaufen die Erde, weiß Gott, wie viele Male, ehe sie auf den Lebenden treffen, an dem sie sich brechen und ihren Inhalt ausgießen können. Dann treiben sie’s noch einmal aus dem Vollen wie im stürmischen Ablauf ihrer eigenen Tage; ihre Bilder sind nicht mehr bloße Bilder, zweidimensionale Schemen, sie werden ihnen zum neuen Lebensraum für ihre ungestillten Triebe. Dem Wanderer klopft das Herz zum Zerspringen, das Zimmer ist für ihn noch ganz voll von dem geschauten Spuk. Am liebsten stiege er durchs Fenster hinunter und über die Parkmauer, um in die balsamische Nacht hinauszuwandern. Aber für einen Sprung ist es hier oben zu hoch, und zum Hinunterklettern fehlen im Mondschein die sicheren Tritte. So bleibt nichts übrig, als sich wieder zu Bette zu legen, wo ein aufgeregter Halbschlaf ihn in unzuverlässigen Armen herumwälzt. So oft es in ihm stille werden will, bewegt sich die Drachin von der Wand, um sich männergierig auf ihn zu stürzen; es hat ihr wohl zu lange an Liebesabenteuern gefehlt, ganze vier Jahrhunderte und mehr. Einmal da ihn ein stärkerer Luftzug vom Fenster her traf, spürte er schon ihren stählernen Panzer auf seiner nackten Brust. Dann wieder sah er in einer Ecke des Saales die rührende Ione stehen, mit pulvergeschwärztem Gesicht und todestraurigen Augen, seine Ione, die er liebt wie der Künstler sein Werk, denn er, nicht der Marullo, hat sie gezeugt. Und das Leid um sie würgt ihn im Halse. Er hätte um sie weinen können – warum? Weil er sie hat sterben lassen müssen? Oder weil sie nie gelebt hat? Er weiß es nicht, aber ein stilles Heimweih nach ihr, in der seine zärtlichsten Träume Gestalt geworden waren, wird ihn in den wachsten Tag hinüberbegleiten.
1 Wie ein toter Körper fällt <<<
Das brennende Herz
Et quid volo nisi ut ardeat 1
Sie haben dir zugesetzt, ich hab es wohl gesehen, sprach eine Stimme von seltenem Wohllaut in den Morgenschlaf des Wanderers. – Aber ich war dir nahe und stärkte dich durch mein Gebet, sonst wärst du ihrer nicht Herr geworden. Und deine Ione lag mit auf den Knien für dich.
Ione? dachte er. So hat sie also doch gelebt?
Ob sie gelebt hat oder erst künftig leben wird, das ist vor dem Thron der Ewigkeit nicht das Wesentliche. Du kannst keine Gestalt erdenken, die nicht Gott zuvor gedacht hat, erwiderte die Stimme.
Wer bist du, holder Morgentraum, der zu mir spricht?
Zerreiße den Schleier vollends ganz und öffne die Augen, so wirst du mich erblicken.
Er richtete sich auf und schüttelte den Rest des Schlafes von sich. Es war nicht das erstemal, dass Stimmen beim Erwachen zu ihm sprachen, die aus seinem eigenen Inneren tönten.
Ich bin hier, du hast mich zuvor schon gesehen, aber nicht in dein Bewusstsein aufgenommen, schien es noch zu sagen.
Er sah sich um, im Zimmer war es helle, die ersten Strahlen der noch nicht sichtbaren Sonne stachen wie goldene Spieße hinter den Höhen hervor. Die Teppiche an den Wänden empfingen durch sie kein Leben mehr. Sie waren in der Tat recht schäbig und verstaubt und rechtfertigten die Klage des alten Gärtners über ihre Verkommenheit. Die ungleichen Größenmaße verrieten, dass die Sammlung einmal von den früheren Besitzern zu irgendeiner festlichen Gelegenheit vorübergehend hier aufgehängt worden war; dann hatte man versäumt, sie wieder zusammenzurollen und mitzunehmen, und hatte damit einen wertvollen Besitz zugrunde gehen lassen.
Die an der Nordwand, die besonders verblasst waren, hatten in ihrer Unbehilflichkeit etwas Rührendes, wenn sie auch die nächtliche Fantasmagorie nicht mehr heraufzubeschwören vermochten, mit Ausnahme des Francescazyklus, der eine meisterliche Hand verriet. Dagegen ließen ihn die besser erhaltenen an der Südwand völlig kalt, er begriff die Erregung nicht mehr, in die sie ihn versetzt hatten. Ihre Figuren erschienen ihm jetzt aufdringlich und verzeichnet, die Farben hart, ihre ganze Dämonie hatte im Sonnenaufgang die Kraft verloren. Seine Ione, wo war sie? Nicht mehr herauszufinden. In dem verlorenen Profil eines jungen Ehrenfräuleins meinte er eine schwache Spur von ihr zu erkennen. Aber wie ferne von der erlebten Gestalt. Nein, Ione war aus ihm selbst geboren, sie hatte nur in seinem Herzen gelebt.
Ganz an die Ecke der Fensterwand herangerückt und teilweise durch einen darunter aufgestellten niederen Zierschrank verdeckt, kam jetzt noch ein Teppichbild zum Vorschein: ein junges Weib mit nackten Schultern und Armen von der sinnlichen Schönheit venezianischer Renaissancefrauen, einen Kranz von Lorbeer im dunklen Haar. Sie neigt sich über einen bekränzten Altar, worauf in einer Schale ein menschliches Herz, das ihre, brennt, und gießt aus einem Fläschchen Öl zu. Auf dem Altar standen die lateinischen Worte: Et quid volo nisi ut ardeat. Links davon an einem blitzgespaltenen Lorbeerbaum lehnte eine Laute mit goldfarbenem Band. Im Hintergrund wurden die goldschimmernden Kuppeln von San Marco sichtbar mit einem Streifen Wassers dahinter und in noch fernerer Ferne zur Rechten auf einer sanft geschwungenen Anhöhe thronten die Zinnen eines Feudal-Schlosses.
Peregrinus staunte., er fuhr sich über die Augen: Bist du es, Gaspara Stampa, holde Nachtigall, die sich zu Tode sang? Unglücklichste