Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Seitdem Ione den Borgia gesehen hat, ist sie wie verwandelt. Von seinem bloßen Anblick ist ihr Blut erstarrt. Sie bebt, sie zittert, sie sucht in den Kleiderfalten ihrer Herrin Schutz.
Das ist die Furcht vor dem Basilisken, die alle lähmt, beschwichtigt diese. Mich lähmt sie nicht. Ich habe ihn in Rom gekannt, als die Borgias sich noch tief vor den Riarios neigten. Auch seine gerühmte Schlangenklugheit fürchte ich nicht. Hast du gesehen, wie er in die Falle ging? Hätte der Tölpel von Casale nicht zu frühe die Brücke aufgezogen, so läge er jetzt im untersten Verlies, und der Heilige Vater möchte zusehen, wie er seinen Abgott freibringt.
Aber sie hat gut reden. In der Frühe beim ersten Messgang hat Ione einen Pfeil mit aufgespießtem Zettel zu ihren Füßen gefunden, worauf die Worte: »Ione hat einen Beschützer im Lager, einen mächtigen. Sie soll sich beim Sturmangriff ganz oben im Turm verbergen; sobald sie unter den Eindringenden den weißen Federbusch erkennt, übergebe sie sich unbedenklich seinen Leuten. Sie wird gerettet sein.«
Halb irrsinnig vor Angst hat Ione diese Zeilen gelesen. Sich ihm übergeben? Was will er von ihr, der Entsetzliche? Seine Gedanken, auf sie gerichtet, sengen aus der Ferne, als schmölze das Fleisch von ihren Knochen. O Herrin, schütze mich vor ihm! Wenn es so weit kommt, lass mich in deiner Nähe bleiben. Wo du bist, kann mir kein Leids geschehen.
Was in Caterina vorgeht, verbirgt sich hinter einer ehernen Stirn. Hartnäckig hat sie bis jetzt geglaubt, sich halten zu können, weil sie noch niemals unterlegen ist. Seit dem verfehlten Anschlag sieht sie ihr Kriegsglück wanken. Für sich selber fürchtet sie nicht, sie kann noch immer einen Ausfall ins Werk setzen, sie kann hoffen, sich durchzuschlagen, denn sie führt die Waffen wie ein Mann. Aber wohin soll sie das Kind retten? Wie soll sie Ione schützen? Sie ist wahrlich nicht feinfühlig im Punkte des Geschlechts, diese Frau, die einmal von eben dieser Rocca herab, als die Aufrührer sie berannten, jene unvergesslich zynische Antwort gab, vor der die Mauern errötet sind. – Aber Ione in den Händen des Borgia! Das ist mehr als sie ertragen kann, das brennt wie höllisches Feuer. Es darf nicht sein! Und es wird nicht sein.
Sei ruhig, ruhig, meine Taube, ich lasse dich nicht in den Händen des Aasgeiers, ich schwöre dir’s. Und wenn ihm der Böse stürmen hilft, – ich weiß eine Zuflucht. Indessen geh du in die Turmkapelle und bete zu der heiligen Barbara, dass sie die Rocca schirmt, ihr ist es ein Leichtes.
Sie stockt, ihr Gesicht wird wächsern – – ein Schrei, ein grässlicher, herzzerreißender, ein Kinderschrei, vielstimmig – ein lang hingezogenes, nicht endendes Schreien. Woher kommt es? Es kommt von nirgendsher, es schwillt nicht an und ab wie ein irdischer Laut, es ist da wie seit Uranfang, und nichts ist außer ihm auf der Welt, solange es dauert. Es durchschrillt auch mit jähem Riss die eben frisch einsetzende Kanonade und ist doch außer dem Bereich der Wirklichkeit. Denn nur eine vernimmt es. So erklang es an einem Tag, an den sie von allen Tagen ihres Lebens am wenigsten zurückdenken mag. So hat es in den letzten Tagen schon zweimal wieder geklungen. Nun weiß sie, dass das Gericht über ihr ist. Sie möchte davonstürzen, sich die Ohren zuhalten, sich unter den Erdboden verkriechen, aber sie bezwingt sich und streift nur mit einem Seitenblick ihre Damen, die auf das Geschützfeuer horchen, während Ione erschrocken über die verwandelte Miene der Gebieterin zur Kapelle eilt, für sie und sich den Schutz der Himmlischen anzurufen.
Da tritt Bernardino von Cremona, der Unterbefehlshaber der Rocca, herein und begehrt die Herrin allein zu sprechen.
Madama, haltet Euch oben im Turm. Der Valentino hat soeben der Besatzung durch einen Trompeter angesagt, dass er einen Preis auf Euren Kopf setzt, den jeder gewinnen kann, der Euch ausliefert. Gebt Eure Befehle vom Fenster aus, der Mannschaft ist nicht mehr zu trauen.
Die Gräfin zuckt die Achseln. Das übernatürliche Grauen ist verflogen, und menschliche Drohung hat Caterina Sforza noch niemals eingeschüchtert.
Wie hoch schätzt er mich ein?
Zehntausend Dukaten lebend, tot die Hälfte.
Ich lass ihm sagen, dass er ein Knicker sei. Ich setze auf den seinen das Doppelte.
Aber zum Tausch von Herausforderungen ist keine Zeit mehr. Die Feinde haben alle Geschütze zumal auf eine einzige Stelle gerichtet, die Außenmauer wankt, und – Herrgott, erbarme dich – da prasselt die halbe Curtine herunter! Die Trümmer füllen den äußeren Wassergraben auf und bilden schwankende Brücken für die Angreifer. In breiten Wellen überfluten Schweizer und Franzosen die Bresche, von der sich die Verteidiger, der Casale voran, hinter die inneren Gräben zurückziehen.
Haltet! Steht, ihr Feiglinge! schmettert die Stimme der Gräfin durch