Gesammelte Werke. Isolde Kurz

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Gesammelte Werke - Isolde Kurz Gesammelte Werke bei Null Papier

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ge­fun­den, ein le­ben­di­ges Hei­lig­tum, des­sen Ge­gen­wart in dem waf­fen­star­ren­den Kas­tell mit mys­ti­scher Macht auch auf die rau­en Kriegs­ge­sel­len wirkt. Wie wenn sie aus dem Ei­sen­sch­lund ih­rer Ge­schüt­ze eine schlan­ke wei­ße Blu­me von über­ir­di­scher Schön­heit auf­blü­hen sä­hen, die al­les mit Duft er­füllt, so ist es den Ver­tei­di­gern der Roc­ca zu­mu­te, wenn Ione vor­über­geht. Sind es auch nur käuf­li­che Söld­ner, die um der Löh­nung wil­len ihre gro­be Haut zu Mark­te tra­gen –, dass sie die­ses himm­li­sche Wun­der, das gar nichts von sich sel­ber weiß, mit­ver­tei­di­gen, das stärkt den Bes­se­ren un­ter ih­nen Mut und Treue. Doch die Ti­ge­rin ist selbstisch und grau­sam, auch wo sie liebt. Statt, wie sie es ver­spro­chen, das Pa­ten­kind mit ei­nem schö­nen und ed­len Jüng­ling zu ver­bin­den, den sie mit die­ser Hoff­nung auf ei­nem un­er­wünsch­ten Schrei­ber­pos­ten fest­hält, und dann die Ver­mähl­ten zu ent­fer­nen, wie sie ihre ei­ge­nen Kin­der ent­fern­te, be­vor sich der Ei­sen­gür­tel um die Roc­ca zwäng­te, hat sie Ione für sich be­hal­ten und lässt den Be­wer­ber nicht in ihre Nähe. Eine selt­sa­me Ei­fer­sucht hat sie dazu ge­zwun­gen. Sie kann sich Ione nicht in den Ar­men ei­nes Man­nes den­ken, auch nicht in de­nen des edels­ten Gat­ten. So wie sie ist, duf­tend von Ju­gend und Un­schuld, möch­te sie sie im­mer um sich ha­ben. Sie hält sie in stren­ger Auf­sicht, dass kei­ne Zu­dring­lich­keit den Weg zu ihr fin­de und kein fre­ches, schlüpf­ri­ges Wort ihre knos­pen­haf­te See­le ent­wei­he. Und sie ge­nießt es auch, sich in Io­nes Au­gen so schön zu se­hen, wenn sie gleich weiß, dass das Bild mit der Wirk­lich­keit nicht über­ein­stimmt. Es steht ja bei ihr, für Ione in Wahr­heit das zu sein, was das zar­te Kind in ihr ver­ehrt! So hat sie aus Selbst­sucht die Frist der Ent­sen­dung ver­passt. Und schlim­mer, sie hat mit falscher Be­rech­nung das hol­de Ge­schöpf dem Va­len­ti­no in den Weg ge­stellt, sie hat dem Fein­de des Men­schen­ge­schlechts die Wit­te­rung ei­ner sol­chen Beu­te ge­ge­ben.

      Seit­dem Ione den Bor­gia ge­se­hen hat, ist sie wie ver­wan­delt. Von sei­nem blo­ßen An­blick ist ihr Blut er­starrt. Sie bebt, sie zit­tert, sie sucht in den Kleider­fal­ten ih­rer Her­rin Schutz.

      Das ist die Furcht vor dem Ba­si­lis­ken, die alle lähmt, be­schwich­tigt die­se. Mich lähmt sie nicht. Ich habe ihn in Rom ge­kannt, als die Bor­gi­as sich noch tief vor den Ria­ri­os neig­ten. Auch sei­ne ge­rühm­te Schlan­gen­klug­heit fürch­te ich nicht. Hast du ge­se­hen, wie er in die Fal­le ging? Hät­te der Töl­pel von Ca­sa­le nicht zu frü­he die Brücke auf­ge­zo­gen, so läge er jetzt im un­ters­ten Ver­lies, und der Hei­li­ge Va­ter möch­te zu­se­hen, wie er sei­nen Ab­gott frei­bringt.

      Aber sie hat gut re­den. In der Frü­he beim ers­ten Mess­gang hat Ione einen Pfeil mit auf­ge­spieß­tem Zet­tel zu ih­ren Fü­ßen ge­fun­den, wor­auf die Wor­te: »Ione hat einen Be­schüt­zer im La­ger, einen mäch­ti­gen. Sie soll sich beim Sturm­an­griff ganz oben im Turm ver­ber­gen; so­bald sie un­ter den Ein­drin­gen­den den wei­ßen Fe­der­busch er­kennt, über­ge­be sie sich un­be­denk­lich sei­nen Leu­ten. Sie wird ge­ret­tet sein.«

      Halb irr­sin­nig vor Angst hat Ione die­se Zei­len ge­le­sen. Sich ihm über­ge­ben? Was will er von ihr, der Ent­setz­li­che? Sei­ne Ge­dan­ken, auf sie ge­rich­tet, sen­gen aus der Fer­ne, als schmöl­ze das Fleisch von ih­ren Kno­chen. O Her­rin, schüt­ze mich vor ihm! Wenn es so weit kommt, lass mich in dei­ner Nähe blei­ben. Wo du bist, kann mir kein Leids ge­sche­hen.

      Was in Ca­te­ri­na vor­geht, ver­birgt sich hin­ter ei­ner eher­nen Stirn. Hart­nä­ckig hat sie bis jetzt ge­glaubt, sich hal­ten zu kön­nen, weil sie noch nie­mals un­ter­le­gen ist. Seit dem ver­fehl­ten An­schlag sieht sie ihr Kriegs­glück wan­ken. Für sich sel­ber fürch­tet sie nicht, sie kann noch im­mer einen Aus­fall ins Werk set­zen, sie kann hof­fen, sich durch­zu­schla­gen, denn sie führt die Waf­fen wie ein Mann. Aber wo­hin soll sie das Kind ret­ten? Wie soll sie Ione schüt­zen? Sie ist wahr­lich nicht fein­füh­lig im Punk­te des Ge­schlechts, die­se Frau, die ein­mal von eben die­ser Roc­ca her­ab, als die Auf­rüh­rer sie be­rann­ten, jene un­ver­ge­ss­lich zy­ni­sche Ant­wort gab, vor der die Mau­ern er­rö­tet sind. – Aber Ione in den Hän­den des Bor­gia! Das ist mehr als sie er­tra­gen kann, das brennt wie höl­li­sches Feu­er. Es dar­f nicht sein! Und es wird nicht sein.

      Sei ru­hig, ru­hig, mei­ne Tau­be, ich las­se dich nicht in den Hän­den des Aas­gei­ers, ich schwö­re dir’s. Und wenn ihm der Böse stür­men hilft, – ich weiß eine Zuf­lucht. In­des­sen geh du in die Turm­ka­pel­le und bete zu der hei­li­gen Bar­ba­ra, dass sie die Roc­ca schirmt, ihr ist es ein Leich­tes.

      Sie stockt, ihr Ge­sicht wird wäch­sern – – ein Schrei, ein gräss­li­cher, herz­zer­rei­ßen­der, ein Kin­der­schrei, viel­stim­mig – ein lang hin­ge­zo­ge­nes, nicht en­den­des Schrei­en. Wo­her kommt es? Es kommt von nir­gends­her, es schwillt nicht an und ab wie ein ir­di­scher Laut, es ist da wie seit Ur­an­fang, und nichts ist au­ßer ihm auf der Welt, so­lan­ge es dau­ert. Es durch­schrillt auch mit jä­hem Riss die eben frisch ein­set­zen­de Ka­no­na­de und ist doch au­ßer dem Be­reich der Wirk­lich­keit. Denn nur eine ver­nimmt es. So er­klang es an ei­nem Tag, an den sie von al­len Ta­gen ih­res Le­bens am we­nigs­ten zu­rück­den­ken mag. So hat es in den letz­ten Ta­gen schon zwei­mal wie­der ge­klun­gen. Nun weiß sie, dass das Ge­richt über ihr ist. Sie möch­te da­v­on­stür­zen, sich die Ohren zu­hal­ten, sich un­ter den Erd­bo­den ver­krie­chen, aber sie be­zwingt sich und streift nur mit ei­nem Sei­ten­blick ihre Da­men, die auf das Ge­schütz­feu­er hor­chen, wäh­rend Ione er­schro­cken über die ver­wan­del­te Mie­ne der Ge­bie­te­rin zur Ka­pel­le eilt, für sie und sich den Schutz der Himm­li­schen an­zu­ru­fen.

      Da tritt Ber­nar­di­no von Cre­mo­na, der Un­ter­be­fehls­ha­ber der Roc­ca, her­ein und be­gehrt die Her­rin al­lein zu spre­chen.

      Ma­da­ma, hal­tet Euch oben im Turm. Der Va­len­ti­no hat so­eben der Be­sat­zung durch einen Trom­pe­ter an­ge­sagt, dass er einen Preis auf Eu­ren Kopf setzt, den je­der ge­win­nen kann, der Euch aus­lie­fert. Gebt Eure Be­feh­le vom Fens­ter aus, der Mann­schaft ist nicht mehr zu trau­en.

      Die Grä­fin zuckt die Ach­seln. Das über­na­tür­li­che Grau­en ist ver­flo­gen, und mensch­li­che Dro­hung hat Ca­te­ri­na Sfor­za noch nie­mals ein­ge­schüch­tert.

      Wie hoch schätzt er mich ein?

      Zehn­tau­send Du­ka­ten le­bend, tot die Hälf­te.

      Ich lass ihm sa­gen, dass er ein Kni­cker sei. Ich set­ze auf den sei­nen das Dop­pel­te.

      Aber zum Tausch von Her­aus­for­de­run­gen ist kei­ne Zeit mehr. Die Fein­de ha­ben alle Ge­schüt­ze zu­mal auf eine ein­zi­ge Stel­le ge­rich­tet, die Au­ßen­mau­er wankt, und – Herr­gott, er­bar­me dich – da pras­selt die hal­be Cur­ti­ne her­un­ter! Die Trüm­mer fül­len den äu­ße­ren Was­ser­gra­ben auf und bil­den schwan­ken­de Brücken für die An­grei­fer. In brei­ten Wel­len über­flu­ten Schwei­zer und Fran­zo­sen die Bre­sche, von der sich die Ver­tei­di­ger, der Ca­sa­le vor­an, hin­ter die in­ne­ren Grä­ben zu­rück­zie­hen.

      Hal­tet! Steht, ihr Feig­lin­ge! schmet­tert die Stim­me der Grä­fin durch

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