Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Wer ist das junge Mädchen unter den Damen der Gräfin, das bei der Brücke stand? fragt er den Knecht.
Euer Gnaden zu dienen, es ist ein griechisches Mädchen, Patenkind der Herrschaft, die sie aus der Taufe gehoben hat, da sie zum katholischen Glauben übertrat. Madama liebt sie aus der Maßen. Man sagt, sie könne sich keinen Tag von ihr trennen. Ione heißt sie.
Ione? – Er ist nicht ungelehrt, der Fürchterliche, er versteht die Sprache der Griechen, und es scheint seiner überfeinerten Sinnlichkeit, als verbreite sich bei diesem Namen der Duft eines ganzen Veilchenbeets. Was er sich hinter seinen gerunzelten Brauen zusammendenkt, ist nicht zu erraten, aber er kann nichts denken, was er nicht mit seinen Gedanken beschmutzt.
Sie liebt also das Mädchen ganz ausnehmend?
Ja, Herr, mehr als alle ihre Ehrenfräulein zusammen. Mehr als die eigenen Kinder, heißt es. Die Griechin ist eigentlich das einzige, was Madama liebt. Aber sie verdient es, Herr. Sie ist ein gutes Mädchen, freundlich gegen den Geringsten. Jeder Mann der Besatzung ließe sich für sie in Stücke hauen.
Komm hernach in meine Wohnung, ich habe einen Auftrag für dich.
Zu seinen Offizieren sagt er:
Morgen stürmen wir. Ihr Herren Hauptleute, versammelt Euch heute Abend bei mir, um die näheren Befehle entgegenzunehmen. Einen erteile ich schon jetzt. Es befindet sich in der Rocca eine blutjunge Griechin von ganz besonderer Schönheit, deren Ehre und Leben ich geschont wissen will. Ihr darf beim Stürmen kein Leid geschehen. Sagt es Euren Soldaten, Mann für Mann. Und tragt mir Sorge, sie auch vor unseren Gascognern und Schweizern zu behüten; Ihr haftet mir für ihre Sicherheit. Sobald Ihr ihrer habhaft seid, führt Ihr sie in meine Wohnung, ich werde ihren Retter freigebig lohnen. Denjenigen aber, der sie unehrerbietig berührt, werde ich zu treffen wissen. Ihr kennt mich. Geht.
Siehe da, auf dem nächsten Teppich hat man das Innere der Rocca vor Augen, das einen gänzlich unerwarteten Anblick bietet. Im Kreise ihrer Frauen sitzt die Dame von Forli, als gäbe es keine Belagerungsmaschinen, keine Kanonen und keinen Valentino auf der Welt. So tut sie immer, wenn ihre Kommandantenpflicht ihr eine kurze Atempause vergönnt. Die anderen sitzen nach dem Brauch der Zeit am Boden, die Gebieterin nur wenig über sie erhöht. Sie hält eine kleine Waage in der Hand, womit sie Körner oder Pülverchen zu wägen scheint, während ihre Frauen beschäftigt sind, unverkennbare Dinge in Mörsern zu zerstampfen. Was machen sie nur? Mischen sie Gifte nach der Methode des Borgia, um sie unter die Belagerer zu feuern? Nein, ihre Beschäftigung ist die allerunschuldigste, sie bereiten Wundbalsam und die berühmten Geheimmittel zur Schönheitspflege nach Caterinas eigenen Rezepten, womit die eiserne Kriegerin ihrer zarten Haut den Jugendschmelz, ihrer Haarfülle den seidigen Glanz erhält. Denn auch unter den Schrecken und Nöten des Krieges behauptet die Weiblichkeit ihr Recht. Und die Soldaten lachen, wenn sie in den Pausen des Geschützfeuers das gewohnte Mörsergeräusch vernehmen. Sie sagen sich nicht: Die schönste Frau der Zeit will auch im Sterben noch schön sein. Sie sagen: Madama versteht mehr vom Krieg als der feige weichliche Spanier. Stünde es schlecht um uns, so würde sie nicht Salben reiben. Das gleiche denken ihre Frauen und bleiben guten Mutes, statt ihr durch vorzeitiges Jammern und Heulen den Kopf zu verwirren, der für das Ganze denkt.
Zu ihren Füßen am Boden sitzt das schöne Wesen, das dem Borgia auf der Zugbrücke erschien, und schmiegt sich enge an die Gewandfalten der Herrin. Die Geschichte weiß nichts von ihr, keine Chronik dieser wundersamen Begebenheiten gedenkt ihrer. Darum ist sie nicht minder wahr. Sie musste sein, deshalb ward sie an dieser Stelle. Und Ione heißt sie.
Sie hat dunkle Haare, aber ihre Augen unter den schattenden Wimpern sind tiefblau, wie die griechischen Veilchen, von denen sie den Namen trägt. Ihr Vater ist der Dichter Marullo aus Byzanz, der unter den Soldaten Caterinas ficht, nicht der Löhnung wegen, wie seine Armut vorgibt, sondern aus Liebe, aus heißer, unbändiger Liebe zu der Kriegsherrin, einer Liebe, die nicht ohne geheime Hoffnung ist, weiß man doch, dass sie schon mehr als einen Niedriggeborenen, wenn er schön und tapfer war, zu ihrem Buhlen erhöht hat. Der Marullo ist nicht schön, aber tapfer ist er, und statt eigener Schönheit dient ihm die Schönheit seiner Verse. Nur leider weiß die Amazone mit den Versen nichts anzufangen, denn Caterina Sforza, die von Jugend auf nichts Höheres kannte, als im Sattel zu sitzen und einen Soldatentrupp zu führen, unterscheidet sich von allen Fürstinnen ihrer Zeit durch ihre nahezu barbarische Gleichgültigkeit gegen alles was Dichtung heißt. Wenn er des Abends von der Kanone abgelöst wird, legt er ihr ein feingeschmiedetes Sonett, woran er Nacht und Tag im stillen gewerkelt hat, edler als der edelste Schmuck, zu Füßen. Die Frau, die von den Mühen solcher Schmiedekunst nicht die leiseste Ahnung hat, liest sie ohne Dank, wie irgendeinen anderen Zettel, und steckt sie achtlos ins Kaminfeuer. Er weiß es, aber gleichwohl wird er treuer bei ihr aushalten als Herr Johann von Casale, der Kastellan, der ihre Frauengunst genießt und doch im Augenblick der Entscheidung nur an sich selber denken wird.
In Ione ist die Liebe des Marullo Fleisch und Bein geworden, sie betet die schöne Herrin an, von deren grausen Taten und bescholtenem Leben sie nichts weiß; – und möchte sie nie davon erfahren! Sie ist in dem zarten und schwärmerischen Alter, wo das der Mannesliebe noch unkundige Mädchenherz gerne einem hohen Frauenbild Altäre baut, um ihr durch feurige Hingabe zu dienen und an ihr zu wachsen. Solange sie in Caterinas Nähe sein darf, kennt sie keine Gefahr. Unter dem schon gewohnten Donner der Geschütze träumt sie mit leisen Griffen in ihr Saitenspiel und summt ein griechisches Liedlein dazu. Aber ihres Vaters Dichtergeist tritt auf ihre Lippen, wenn sie zu derjenigen spricht, die ihr alles in einem ist: Mutter, Gebieterin, Göttin. Dann sind ihre Worte ein einziger Liebesgesang, der mit ungesuchtem Rhythmus aus dem Herzen des Kindes bricht. Du bist schön, meine Herrin, sagt sie ihr, was sollen dir Salben und Schönheitswasser? Aus dir selber kommt ja alle Schönheit, sie hat Anfang und Ende in dir. Wenn du des Morgens ins Frauengemach trittst, sei der Tag noch so trübe, so ist es, als bräche die Sonne durch. Dein kleines Veilchen harrt dir entgegen und wünscht sich nichts anderes, als nur immer in deinem Lichte zu leben. Schön bist du, Herrin, wen du anblickst, der ist für den ganzen Tag gesegnet.
Solcher