Warum Gott?. Timothy Keller
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Die dritte Barriere schließlich war gewissermaßen eine soziale. Ich musste dringend eine „dritte Fraktion“ finden, eine Gruppe von Christen, denen die Gerechtigkeit in der Welt wichtig war, aber die dieses Anliegen aus dem Wesen Gottes ableiteten und nicht aus irgendwelchen subjektiven Gefühlen. Als ich diese „anderen“ Brüder und Schwestern fand, wurde mein Leben anders.
Diese drei Barrieren fielen nicht schnell, und auch nicht in einer bestimmten Reihenfolge. Sie waren ineinander verwoben, die eine hing von der anderen ab, und ich ging sie nicht systematisch an. Erst im Rückblick sehe ich, wie diese drei Faktoren zusammenwirkten. Da ich also ständig jene „dritte Fraktion“ suchte, erwachte mein Interesse an der Gründung und Gestaltung neuer christlicher Gruppen und Gemeinden. Aber das hieß natürlich, dass ich Pastor werden musste. Und so wurde ich Pastor, nur wenige Jahre nach meinem Studium.
Gott in Manhattan
Ende der 1980er-Jahre zogen meine Frau Kathy und ich mit unseren drei kleinen Jungen nach Manhattan, um dort eine neue Gemeinde zu gründen, die vor allem Menschen ansprechen sollte, die nichts mehr mit Glauben und Kirche am Hut hatten. Während der Vorbereitungsphase erklärte mir fast jeder, dass mein Projekt zum Scheitern verurteilt war. Kirche – das war etwas für die Gemäßigten oder Konservativen, aber diese Stadt war quirlig und liberal. Kirche, das hieß Familie, aber New York City war voll von jungen Singles und „nichttraditionellen“ Haushalten. Und vor allem bedeutete Kirche Glauben, und Manhattan war das Reich der Skeptiker, Kritiker und Zyniker. Die Mittelklasse, das herkömmliche Publikum einer Gemeinde, floh in Scharen vor der Kriminalitätsrate und den hohen Lebenshaltungskosten der Stadt. Es blieben die Elitären und die Coolen, die ganz Reichen und die richtig Armen – lauter Leute, denen man mit Kirche nicht zu kommen brauchte. Das jedenfalls sagte man mir. Die Kirchengemeinden in der Stadt schrumpften, die meisten hatten Mühe, auch nur ihre Gebäude zu halten.
Viele der Leute, mit denen ich anfangs Kontakt hatte, sagten mir, dass die paar Gemeinden, denen es noch leidlich ging, dies dadurch erreicht hatten, dass sie die traditionelle christliche Lehre an das mehr pluralistische Ethos der Stadt angepasst hatten. „Sagen Sie den Leuten bloß nicht, dass sie an Jesus glauben müssen – damit sind Sie hier ein Hinterwäldler.“ Sie waren sprachlos, als ich ihnen erklärte, dass das Glaubensbekenntnis der neuen Gemeinde das althergebrachte sein würde: die Autorität der Bibel, die Göttlichkeit Christi, die Notwendigkeit von Bekehrung und Wiedergeburt – lauter Dinge, die für die große Mehrheit der New Yorker aus dem Mittelalter stammten. Niemand sagte es mir laut, aber der Kommentar „Vergessen Sie’s!“ hing ständig in der Luft.
Vor allem bedeutete Kirche Glauben, und Manhattan war das Reich der Skeptiker, Kritiker und Zyniker.
Nun, wir gründeten unsere „Redeemer Presbyterian Church“, und bis Ende 2007 war die Gemeinde auf über 5000 Glieder gewachsen und hatte über ein Dutzend Tochtergemeinden im Stadtgebiet hervorgebracht. Die Gemeinde ist multiethnisch und jung (das Durchschnittsalter liegt bei 30) und besteht zu über zwei Dritteln aus Singles. In Manhattan sind derweil Dutzende und in den anderen vier Stadtbezirken von New York Hunderte ähnliche, am traditionellen christlichen Glauben festhaltende Gemeinden entstanden. Nach einer Untersuchung sind in den letzten paar Jahren allein von Christen aus Afrika über hundert neue Gemeinden in New York City gegründet worden. Es ist atemberaubend.
Und New York ist nicht allein. Im Herbst 2006 erschien im Economist ein Bericht mit dem Untertitel: „Das Christentum stirbt überall aus, außer in London.“ Der Artikel stellte fest, dass entgegen dem in ganz Großbritannien und Europa zu beobachtenden Trend zu immer leereren Kirchen in London viele junge Akademiker, aber auch Einwanderer in christliche Gemeinden strömen.8 Genau dasselbe beobachte ich hier in New York.
Das bringt mich zu einem merkwürdigen Fazit. Wir befinden uns in einer Phase unserer kulturellen Entwicklung, in der Gläubige wie Skeptiker sich in ihrer Existenz bedroht fühlen, weil beide – Säkularismus und religiöser Glaube – massiv auf dem Vormarsch sind. Wir haben heute weder das christliche Abendland der Vergangenheit noch die religionslose Gesellschaft, die angeblich die Zukunft prägen sollte. Wir haben etwas völlig anderes.
Eine gespaltene Kultur
Noch vor drei Generationen wählte man sich seine Religion nicht, sondern wurde in sie hineingeboren. Die große Mehrheit der Menschen im Westen war entweder evangelisch oder katholisch. Doch heute befinden sich besonders die klassischen protestantischen Kirchen in einem rapiden Alterungsprozess und ihre Mitgliederzahlen gehen deutlich nach unten. Die Menschen entscheiden sich für ein Leben ohne Religion, für eine kirchlich nicht gebundene, persönlich zusammengebastelte Spiritualität oder aber für „rechtgläubige“ religiöse Gruppierungen mit hoher Verbindlichkeit, die von ihren Mitgliedern aktive Lebenshingabe und ein Bekehrungserlebnis erwarten. Womit die Bevölkerung, wie gesagt, gleichzeitig beides wird: religiöser und weniger religiös.
Weil dies so ist, ist die politische und öffentliche Diskussion über Glaubens- und Moralfragen zu einem Kampf der Kulturen und zu einer Sackgasse geworden. Die Emotionen gehen hoch, der Ton ist kämpferisch, ja manchmal hysterisch. Für die einen sind die, die an Gott und das Christentum glauben, die bösen „Fundamentalisten“, die „den Menschen ihren Glauben aufzwingen“ und „das Rad der Geschichte zurückdrehen“ wollen. Für die anderen sind die Nichtgläubigen „Feinde der Wahrheit“, die darauf aus sind, mit ihrem „moralischen Relativismus“ die Gesellschaft zu zerstören. Wir reden nicht mehr vernünftig miteinander, sondern bekämpfen einander.
Diese verfahrene Situation lässt sich nicht einfach dadurch lösen, dass man zu mehr Dialog aufruft. Um sich vernünftig streiten zu können, braucht man einen gemeinsamen Bezugsrahmen, auf den man sich verständigt hat. Doch dies wird schwierig, wenn die Kontrahenten die Realität mit völlig unterschiedlichen Augen sehen. Der Titel eines Buches von Alasdair MacIntyre, Whose Justice? Which Rationality? („Wessen Gerechtigkeit? Was für eine Rationalität?“) sagt hier mehr als viele Worte. Die Probleme, die wir haben, werden nicht so bald verschwinden.
Wie finden wir einen Ausweg aus dieser Sackgasse?
Als Erstes sollten beide Seiten anerkennen, dass beide, der religiöse Glaube und der Skeptizismus, auf Wachstumskurs sind. Sowohl der atheistische Autor Sam Harris als auch der Sprecher der amerikanischen religiösen Rechten, Pat Robertson, sollten sich darüber klar werden, dass ihr eigenes Lager stark ist und zunehmend an Einfluss gewinnt. Dies würde Schluss machen mit der in beiden Lagern grassierenden Angst, vielleicht schon morgen vom Gegner überrannt und ausgelöscht zu werden. Dergleichen ist kurz- bis mittelfristig gar nicht möglich. Wenn wir uns nicht mehr solchen Katastrophenszenarien hingeben würden, könnten wir dem Gegner viel gelassener und großzügiger begegnen.
Diese Einsicht würde nicht nur unsere Nerven beruhigen, sondern uns auch demütiger machen. Immer noch tönen viele Anhänger des Säkularismus, dass die Anhänger der Religion vergeblich versuchen würden, „das Rad der Geschichte anzuhalten“, obwohl rein nichts dafür spricht, dass die Religion aussterben wird. Und die Gläubigen ihrerseits sollten die Argumente der Skeptiker nicht so schnell abtun. Wenn unsere ehemals christlichen Gesellschaften in einem solchen Umfang dem Glauben den Rücken gekehrt haben, sollte uns das ein Anlass zur Selbstprüfung sein. Mit einem überheblichen „Die spinnen, die anderen“ kommen wir heute nicht weiter. Wir brauchen mehr. Aber was?
Ein zweiter Blick auf den Zweifel
Ich möchte einen Vorschlag machen, der in den letzten Jahren im Leben vieler junger New Yorker reiche Früchte getragen hat. Ich möchte beiden Seiten in dem Konflikt empfehlen, das Phänomen des Zweifels mit radikal anderen Augen zu sehen.
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