Warum Gott?. Timothy Keller

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Warum Gott? - Timothy Keller

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nun aus Gleichgültigkeit oder Zeitmangel) naiv durchs Leben gehen, ohne sich je ernsthaft zu fragen, warum sie das glauben, was sie glauben, werden hilflos sein, wenn die Schläge des Lebens oder die bohrenden Fragen des gewieften Zweiflers kommen. Der Glaube eines Menschen, der sich nicht jahrelang geduldig mit seinen Zweifeln auseinandergesetzt und sie erst nach langem Überlegen verworfen hat, kann über Nacht zusammenbrechen.

      Zweifel (nicht nur die eigenen, sondern auch die der Freunde oder der Nachbarin) sind dazu da, dass man sie anerkennt und mit ihnen ringt. Es reicht heute nicht mehr, etwas deswegen zu glauben, weil die Eltern und Großeltern es auch geglaubt haben. Nur wer sich den Einwänden gegen seinen Glauben geduldig und engagiert stellt, ist in der Lage, diesen gegenüber dem Skeptiker (einschließlich seiner selbst) auf eine Art zu begründen, die plausibel und nicht lächerlich oder überheblich daherkommt. Und was für unsere Situation nicht weniger wichtig ist: Solch ein Prozess wird auch dazu führen, dass Sie, auch und gerade wenn Ihr Glaube stark und fest gegründet ist, den Zweifler respektieren und verstehen.

      Ein Glaube ohne jeden Zweifel ist wie ein menschlicher Körper ohne Immunsystem.

      Aber so wie der Gläubige lernen muss, nach den Gründen hinter seinem Glauben zu suchen, muss der Skeptiker lernen, sich zu fragen, welche Art von Glauben denn seinen Gedankengängen zugrunde liegt. Jeder Zweifel, wie skeptisch oder gar zynisch er auch daherkommt, ist im Grunde ein alternativer Glaube.9 Man kann einen Glauben A nicht anzweifeln, ohne selber eine Glaubensposition B einzunehmen. Wer das Christentum anzweifelt, weil „es nicht bloß eine wahre Religion“ geben kann, muss sich im Klaren sein, dass er damit einen Glauben vertritt. Niemand kann diese Annahme empirisch beweisen, und sie ist keineswegs eine universale Wahrheit, die alle Menschen akzeptieren. Wenn Sie in den Nahen Osten gehen und dort sagen: „Es kann nicht bloß eine wahre Religion geben“, würde fast jeder Ihnen antworten: „Warum nicht?“ Der Grund dafür, dass Sie den Glauben A (den der Christen) anzweifeln, ist schlicht, dass Sie von einem anderen Glauben B ausgehen, der sich ebenfalls nicht beweisen lässt. Jeder Zweifel gründet auf einem „Sprung in den Glauben“10.

      Die einzig faire Art, den christlichen Glauben anzuzweifeln, besteht darin, den alternativen Glauben zu erkennen, der jedem Zweifel zugrunde liegt, und sich zu fragen, was für Gründe man für diesen Glauben hat.

      Manche Menschen sagen: „Ich glaube nicht an das Christentum, weil ich nicht die Existenz von absoluten moralischen Werten akzeptieren kann. Jeder sollte über seine Moral selbst bestimmen.“ Ist dies eine Aussage, die man jemandem, der sie nicht teilt, beweisen kann? Nein, sondern sie ist ein Sprung in den Glauben, ein tiefer Glaube, dass es Individualrechte nicht nur in der Politik, sondern auch in der Ethik gibt. Es gibt keinen empirischen Beweis für diese Position; der Zweifel daran, dass es absolute moralische Werte gibt, ist ein Glaube.

      Vielleicht antworten Sie jetzt: „Meine Zweifel gründen nicht in einem Glaubenssprung! Ich glaube überhaupt nichts über Gott, weder so noch so. Ich habe keinen Bedarf an Gott und habe kein Interesse daran, über ihn nachzudenken!“ Aber unter diesem Denken verborgen liegt der sehr moderne Glaube vieler Zeitgenossen, dass mir die Existenz Gottes egal sein kann, solange sie nicht meine emotionalen Bedürfnisse berührt. Das setzt voraus, dass es keinen Gott gibt, der jemand, der ihn nicht braucht, für das, was er glaubt und tut, zur Verantwortung ziehen wird. Dies mag stimmen oder nicht, aber in jedem Fall ist es ein Sprung in den Glauben.11

      Die einzig richtige und faire Art, den christlichen Glauben anzuzweifeln, besteht darin, den alternativen Glauben zu erkennen, der jedem Zweifel zugrunde liegt, und sich zu fragen, was für Gründe man für diesen Glauben hat. Woher weiß ich denn, dass mein Glaube wahr ist? Es wäre inkonsequent, bei der Prüfung des christlichen Glaubens die Messlatte höher zu hängen als bei seinem eigenen Glauben, aber genau das passiert sehr häufig. Wir müssen lernen, unsere eigenen Zweifel anzuzweifeln. Meine These ist, dass jemand, der erkennt, was für Glaubenspositionen seinen Zweifeln am Christentum zugrunde liegen, und der dafür genauso viele Beweise verlangt wie für die Positionen des Christentums, erkennen wird, dass seine Zweifel durchaus nicht so unerschütterlich sind, wie es ihm zunächst erschien.

      Ich möchte meinen Lesern zwei Denkübungen empfehlen. Die Skeptiker möchte ich bitten, sich dem „blinden Glauben“, auf dem ihr Zweifel aufbaut, zu stellen und zu erkennen, wie schwierig es ist, diesen Glauben jemandem, der ihn nicht teilt, plausibel zu machen. Und den Gläubigen möchte ich Mut machen, sich ernsthaft mit den persönlichen und kulturellen Einwänden gegen den Glauben auseinanderzusetzen, die es in ihrer Umgebung gibt. Am Ende dieser beiden Prozesse werden Sie vielleicht immer noch der alte Skeptiker oder Gläubige sein, aber Sie werden Ihre Position mit mehr Deutlichkeit und mehr Demut vertreten und so zu einem Verständnis, Einfühlungsvermögen und Respekt gegenüber der anderen Seite kommen, wie Sie sie bisher nicht hatten. So werden aus Feinden, die sich nur wüst beschimpft haben, Gesprächspartner, die begründet verschiedener Meinung sein können. Das geht dann, wenn jede der Parteien gelernt hat, die Position der anderen in ihrer stärksten und positivsten Form darzustellen. Erst dann verfügt sie über die nötige Gelassenheit und Fairness, sie zu kritisieren. So entsteht eine Atmosphäre der Höflichkeit in einer pluralistischen Gesellschaft, was kein kleiner Erfolg ist.

      Ein dritter Weg?

      Der Rest dieses Buches ist der Extrakt aus den zahlreichen Gesprächen, die ich im Laufe der Jahre mit Zweiflern geführt habe. In meinen Predigten wie im persönlichen Umgang habe ich versucht, Skeptikern behutsam zu helfen, sich ihre eigenen Glaubenspositionen anzuschauen, und gleichzeitig meinen Glauben ihrer harten Kritik ausgesetzt. Im ersten Teil dieses Buches werden wir uns die sieben größten Einwände gegen das Christentum anschauen, die ich im Laufe der Jahre von den Menschen gehört habe. Und wir werden uns die Glaubenspositionen anschauen, die diesen Einwänden zugrunde liegen. Im zweiten Teil wollen wir uns dann den Gründen zuwenden, die hinter den Glaubensaussagen des Christentums stehen.

      Der respektvolle Dialog zwischen traditionellen Konservativen und säkularen Liberalen ist ein hohes Gut, und ich hoffe, dieses Buch wird ihn fördern. Aber meine Erfahrungen als Pastor in New York lassen mich dieses Buch noch aus einem anderen Grund schreiben: Als ich in New York ankam, merkte ich bald, dass die Situation bezogen auf Glaube und Zweifel in der Stadt nicht dem entsprach, was die Experten annahmen. Die älteren weißen Bürger, die die Kulturszene der Stadt bestimmten, waren eindeutig säkular geprägt. Aber unter den zunehmend multiethnischen jüngeren Akademikern und den Immigranten aus der Arbeiterschicht gab es eine reiche, in keine Schubladen passende Vielfalt starken religiösen Glaubens, und das Christentum wuchs hier sehr schnell.

      Ich glaube, dass diese jungen Christen die Vorhut einer neuen religiösen, sozialen und politischen Struktur in Amerika sind, die die alte Version der Kulturkämpfe bald zum Auslaufmodell machen könnte. Nachdem sie mit Zweifeln und Einwänden gegen das Christentum gekämpft haben, kommen viele von ihnen auf der anderen Seite mit einem fest gegründeten, „orthodoxen“ Glauben heraus, der aber quer zu den gegenwärtigen politischen Kategorien (hier die „liberalen“ Demokraten, dort die „konservativen“ Republikaner) liegt. Viele erkennen, dass in dem „Kampf der Kulturen“ ja beide Seiten die individuelle Freiheit und das persönliche Glück höher stellen als Gott oder das Gemeinwohl. Der Individualismus der Liberalen verrät sich in ihren Positionen zu Abtreibung, Sex und der Ehe, der der Konservativen in ihrem tiefen Misstrauen gegenüber der öffentlichen Hand und ihrer Sicht von Armut als selbst verschuldet. Das neue, rasant wachsende multiethnisch-„orthodoxe“ Christentum in den amerikanischen Großstädten engagiert sich viel mehr für die Armen und die soziale Gerechtigkeit, als die Republikaner es je getan haben, und viel mehr für die klassische christliche Moral und Sexualethik, als die Demokraten es je getan haben. Während die erste Hälfte dieses Buches den Weg beschreibt, den viele dieser Christen durch den Dschungel des Zweifels gegangen sind, ist die zweite Hälfte eine mehr positive Darstellung des Glaubens, den sie in ihrem Alltag ausleben. Als Einstieg möchte ich Ihnen drei Glieder unserer Gemeinde vorstellen:

      June

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