Warum Gott?. Timothy Keller

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Warum Gott? - Timothy Keller

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haben, worauf sie sich prompt den Anhängern anderer Religionen überlegen fühlen. Sie sagt ihnen weiter, dass sie errettet werden und zu Gott kommen, wenn sie sich dieser Wahrheit ganz hingeben, was sie natürlich leicht dazu bringt, sich von den Menschen, die weniger rein und ernst leben, abzugrenzen. Es ist nur zu leicht, die anderen Religionen schlechtzumachen und zu karikieren. Und wenn es erst einmal so weit ist, ist der Weg zur gesellschaftlichen Ausgrenzung, ja zu Unterdrückung und Gewalt nicht mehr weit.

      Religion ist also ein Sicherheitsrisiko für den Frieden. Wie kann man dieses Risiko minimieren? Unter den heutigen politischen und gesellschaftlichen Wortführern in der Welt kursieren drei Strategien: Entweder sie sind dafür, die Religion zu verbieten, sie schlechtzumachen oder sie radikal zur Privatsache zu erklären.14 Viele Menschen setzen große Hoffnungen auf diese Strategien, doch ich glaube nicht, dass sie von Erfolg gekrönt sein werden; eher werden sie die Situation noch verschärfen.

      1. Religion verbieten?

      Eine klassische Methode, den Ausschließlichkeitsansprüchen der Religionen zu begegnen, besteht darin, sie mit eiserner Hand zu kontrollieren oder sie, wo möglich, zu verbieten. Das 20. Jahrhundert hat gleich mehrere groß angelegte Versuche dazu gesehen. Die Kommunisten in der Sowjetunion, China, Kambodscha und anderswo, aber auf ihre Art auch die Nazis in Deutschland waren entschlossen, die Religionsausübung einzudämmen, um zu verhindern, dass sie die Gesellschaft spaltete oder die Macht des Staates gefährdete. Das Ergebnis war regelmäßig nicht mehr Friede und Harmonie, sondern mehr Unterdrückung. Die tragische Ironie dieser Situation hat Alister McGrath in seiner Geschichte des Atheismus so beschrieben:

       Im 20. Jahrhundert finden wir eines der größten und traurigsten Paradoxe in der Geschichte der Menschheit: dass die größte Intoleranz und Gewalt dieses Jahrhunderts von denen praktiziert wurden, die glaubten, dass die Religion zu Intoleranz und Gewalt führt. 15

      Hand in Hand mit diesen Bemühungen ging die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert weitverbreitete Annahme, dass im Zuge des weiteren technischen Fortschritts der Menschheit die Religion immer schwächer werden und schließlich aussterben würde. Die Religion hatte ihren Platz in der Entwicklung des Menschen: Früher haben wir die Religion gebraucht, um mit der Angst einflößenden und unerklärbaren Welt zurechtzukommen, aber je weiter die Wissenschaft fortschreiten würde, und je besser wir in der Lage sein würden, unsere Umgebung zu verstehen und zu beherrschen, umso geringer würde unser Bedürfnis nach Religion werden – dachten die Gelehrten.16

      Doch genau dies ist nicht geschehen, und heute glaubt kaum noch jemand an diese „Säkularisierungstheorie“.17 Praktisch bei allen großen Religionen wächst die Mitgliederzahl. Vor allem in den Entwicklungsländern ist das Wachstum des Christentums geradezu explosionsartig. Allein in Nigeria gibt es mittlerweile sechsmal mehr Anglikaner als in den ganzen USA. In Ghana gibt es mehr Presbyterianer als in den USA und Schottland zusammen. In Korea ist der Anteil der Christen in 100 Jahren von ein auf 40 Prozent gestiegen, und Experten glauben, dass Ähnliches in China passieren wird. Wenn es in fünfzig Jahren eine halbe Milliarde chinesischer Christen geben sollte, wird dies den Gang der Geschichte verändern.18 Und was da so rasch wächst, ist in den allermeisten Fällen nicht das einst von Soziologen prognostizierte säkulare „Christentum light“, sondern ein robuster Glaube an Übernatürliches, der Wunder, die Autorität der Bibel und persönliche Bekehrung betont.

      Die Vitalität der Religion in der Welt ist so groß, dass die Versuche, sie zu unterdrücken oder zu kontrollieren, sie oft nur noch stärker machen. Als die chinesischen Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg alle westlichen Missionare auswiesen, glaubten sie, damit dem Christentum in China den Todesstoß zu versetzen. Tatsächlich wurden die Lücken in der Leitung der Kirchen von einheimischen Christen gefüllt, was die Kirchen chinesischer und damit stärker machte.

      Nein, die Religion ist nicht ein Notbehelf aus primitiveren Stufen der Evolution der Menschheit, sie ist ein permanenter, zentraler Aspekt des Menschseins. Für den nicht religiösen Menschen ist dies eine bittere Pille. Unsere Welt ist eine tief religiöse Welt, und nichts spricht dafür, dass sich dies je ändern wird.

      2. Religion schlechtmachen?

      Die Religion wird nicht verschwinden, und keine Regierung kann ihre Kraft brechen. Aber kann man nicht den Religionen, die sich im Besitz „der Wahrheit“ wähnen und andere zu bekehren versuchen, durch Aufklärung und die richtigen Argumente den Wind aus den Segeln nehmen? Kann man nicht einfach die Bürger – egal, was für eine Religion sie haben – dazu anhalten, zuzugeben, dass jede Religion nur einer von vielen möglichen Lebensstilen und Wegen zu Gott ist?

      Damit schafft man eine Atmosphäre, in der es, und sei es nur im persönlichen Gespräch, als unaufgeklärt und fanatisch gilt, religiöse Ausschließlichkeitsansprüche zu stellen. Man schafft dies durch das ständige Wiederholen gewisser Grundthesen, die mit der Zeit den Status allgemein akzeptierter Wahrheiten erlangen: „Man weiß doch, dass Missionieren falsch ist …“ Wer aus der Reihe tanzt, gilt als naiv oder gefährlich. Anders als die Verbotsstrategie erzielt dieses Rezept gewisse Teilerfolge. Auf Dauer wird es jedoch scheitern, denn es beruht auf einem inneren Widerspruch, ja fast schon einer Doppelmoral. Ich möchte dies zeigen, indem ich einige jener Grundthesen kritisch beleuchte.

       „Alle großen Religionen sind gleich wahr und lehren im Grunde dasselbe.“

      Diese These ist so verbreitet, dass vor wenigen Jahren ein Journalist jeden, der glaubte, „dass es minderwertige Religionen gibt“, kurzerhand zu einem rechtsradikalen Extremisten erklärte.19 Aber wollen wir wirklich im Ernst behaupten, dass totalitäre Sekten, die im Massenselbstmord enden, oder Religionen, die Kinderopfer verlangen, mit anderen Religionen auf einer Stufe stehen? Die meisten Zeitgenossen werden dies wohl verneinen.

      Aber die meisten Menschen, die behaupten, dass alle Religionen gleich sind, denken dabei natürlich an die großen Weltreligionen und nicht an irgendwelche Splittergruppen. So auch der Student, der mir bei der oben erwähnten Podiumsdiskussion widersprach. Er behauptete, dass die Lehrunterschiede zwischen Judentum, Islam, Christentum, Buddhismus und Hinduismus doch letztlich nebensächlich seien und dass die Anhänger dieser Religionen alle an denselben Gott glaubten. Doch als ich ihn fragte, wer dieser Gott war, beschrieb er ihn als einen all-liebenden Geist im Universum. Und genau hier liegt der Widerspruch bei dieser Position: Man behauptet, dass die Lehre nicht so wichtig sei – und bringt im nächsten Atemzug lehrmäßige Aussagen über das Wesen Gottes, die den Lehren aller großen Religionen widersprechen. Der Buddhismus glaubt nicht, dass es überhaupt einen persönlichen Gott gibt. Juden, Christen und Muslime glauben an einen Gott, der die Menschen für ihren Glauben und ihr Leben zur Verantwortung zieht und dessen Eigenschaften sich nicht auf die der Liebe reduzieren lassen. Die Behauptung, dass Lehren nicht so wichtig seien, ist ironischerweise selber bereits eine Lehre. Und deren Vertreter setzen ein ganz bestimmtes Gottesbild voraus, das sie für besser und aufgeklärter als die Gottesbilder der klassischen Religionen halten. Sie tun also genau das, was sie den anderen verbieten wollen!

      Die Behauptung, dass Lehren nicht so wichtig seien, ist ironischerweise selber bereits eine Lehre.

       „Jede Religion erkennt einen Teil der spirituellen Wahrheit, aber die ganze Wahrheit kann keine sehen.“

      Vertreter dieser These zitieren gerne die Geschichte von den Blinden und dem Elefanten. Mehrere Blinde gehen spazieren und stoßen dabei auf einen Elefanten, der sich von ihnen betasten lässt. „Dieses Tier ist so lang und geschmeidig wie eine Schlange“, erklärte der Erste, der den Rüssel des Elefanten erwischt hat. „Nein, nein, es ist dick und rund wie ein großer Baumstamm“, sagt der Zweite, der ein Bein des Elefanten befühlt. „Nein, es ist groß und flach“, erwidert der dritte Blinde, der die Seite des Elefanten entlangfährt. Jeder der Blinden fühlt nur einen Teil des Elefanten; das ganze

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