Warum Gott?. Timothy Keller
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In dieser Diskussion hat Frau B versucht, John Rawls zu folgen und allgemein zugängliche, „neutrale und objektive“ Argumente zu finden, die jeden vernünftigen Menschen davon überzeugen, dass man die Armen nicht verhungern lassen darf. Es ist ihr nicht gelungen – weil es solche Argumente nicht gibt! Am Schluss der Diskussion kann Frau B nur noch behaupten, dass es eben moralisch und „richtig“ sei, den Armen zu helfen. Zu ihrem Weltbild gehört der Glaube, dass Menschen wertvoller sind als Steine oder Bäume – ein Glaube, der sich wissenschaftlich nicht beweisen lässt. Ihre sozialpolitischen Forderungen basieren letztlich auf religiösen Überzeugungen.35
Der Rechtstheoretiker Michael J. Perry hält den Versuch, in öffentlichen politischen Diskussionen „eine wasserdichte Wand zwischen religiös fundiertem moralischem Diskurs … und [säkularem] Diskurs“ bauen zu wollen, für „weltfremd“.36 Rorty und andere halten religiöse Argumente für zu kontrovers. Dem hält Perry in seinem Buch Under God? Religious Faith and Liberal Democracy entgegen, dass die säkulare Begründung moralischer Positionen nicht weniger kontrovers ist als die religiöse und dass sehr vieles darauf hindeutet, dass alle ethischen Positionen zumindest implizit religiös sind. Die Forderung, religiöse Argumentationen aus der öffentlichen Diskussion zu verbannen, hält Perry für eine Position, die selber kontrovers und „sektiererisch“ ist.37
Es ist unmöglich, unsere Überzeugungen von dem, was wirklich zählt, wie einen Mantel an die Garderobe zu hängen, wenn wir uns in die Öffentlichkeit begeben. Nehmen wir als Beispiel das Ehe- und Scheidungsrecht. Ist es möglich, hier unabhängig von unseren Weltanschauungen zu von allen als „vernünftig“ anerkannten Gesetzen zu kommen? Ich glaube, nein. Unsere Ansichten darüber, was hier „recht“ ist, hängen unweigerlich von dem ab, was wir als den Sinn der Ehe betrachten. Wenn ich glaube, dass die Ehe in erster Linie dazu da ist, Kinder aufzuziehen und so die Stabilität der Gesellschaft zu gewährleisten, werde ich die Scheidung so schwer wie möglich machen. Glaube ich dagegen, dass die Ehe vor allem dazu da ist, die beiden Partner „glücklich“ zu machen, werde ich die Hürde für eine Scheidung wesentlich niedriger legen. Die erste Definition von Ehe gründet in einem Weltbild, in dem das Ganze der Familie wichtiger ist als der Einzelne, wie in der Ethik des Konfuzianismus, Judentums und Christentums. Die zweite Definition gründet in einer individualistischeren, dem Denken der Aufklärung verpflichteten Sicht vom Wesen des Menschen. Welches Scheidungsrecht ich für „praktikabel“ halte, hängt davon ab, welche Vorstellungen ich von einem erfüllten, sinnvollen Leben habe.38 Es gibt hier keinen objektiven, allgemein anerkannten Konsens. Auch wenn heute nach wie vor viele Stimmen den Ausschluss der Religion aus dem öffentlichen Diskurs fordern, geben doch immer mehr (religiöse wie säkulare) Denker zu, dass diese Forderung selber etwas Religiöses ist.39
Warum der christliche Glaube
die Welt retten kann
Ich habe zu zeigen versucht, warum alle die großen Strategien, das Sicherheitsrisiko Religion unter Kontrolle zu bekommen, zum Scheitern verurteilt sind. Doch ich sehe sehr wohl deren berechtigtes Anliegen. Die Religion kann zu einer echten Bedrohung für den Weltfrieden werden. Am Anfang dieses Kapitels habe ich von dem „gefährlichen Weg“ gesprochen, auf den die Religion das menschliche Herz führt. Es ist ein Weg, der nur zu leicht zu Gewalt und Unterdrückung führt. Doch das Christentum – ein echter, christlicher Glaube – hat das Zeug dazu, seine Anhänger zu Werkzeugen des Friedens zu machen. Das Christentum trägt in sich eine bemerkenswerte Kraft, entzweiende Tendenzen im menschlichen Herzen zu erklären und zu heilen.
Der christliche Glaube bietet eine solide Grundlage für die Achtung vor Menschen aus anderen Religionen. Jesus geht davon aus, dass die Nichtgläubigen in der Umgebung der Christen viel von deren Verhalten als „gut“ erkennen werden (Matthäus 5,16; vgl. 1. Petrus 2,12). Dies setzt gewisse Gemeinsamkeiten zwischen den christlichen Werten und denen der verschiedenen Kulturen40 und anderen Religionen41 voraus. Wie kommt es zu diesen Gemeinsamkeiten? Die Christen glauben, dass alle Menschen nach dem Bilde Gottes erschaffen sind, also als zu Güte und Weisheit fähige Wesen. Es ist die biblische Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, die den Christen davon ausgehen lässt, dass die Nichtgläubigen in ihrem Verhalten besser sein können, als es ihren irrigen Glaubensvorstellungen entspricht. Und die biblische Lehre von der Sündhaftigkeit des Menschen lässt die Christen damit rechnen, dass selbst der rechtgläubigste unter ihnen in seiner Lebenspraxis hinter seinem richtigen Glauben weit zurückbleibt. Es gibt hier jede Menge Raum für gegenseitige Achtung und Kooperation.
Ein echter christlicher Glaube lässt seine Anhänger nicht nur glauben, dass es auch bei Andersgläubigen Güte und Weisheit geben kann, er lässt sie auch damit rechnen, dass so mancher „Heide“ ein Leben führt, das moralisch dem vieler Christen überlegen ist. Die meisten Menschen in unserer Kultur glauben ja, dass dann, wenn es einen Gott gibt, wir dadurch zu ihm und in den Himmel kommen, dass wir ein anständiges Leben führen: „Bessere dich, und Gott nimmt dich an …“ Das Christentum lehrt das genaue Gegenteil. Jesus sagt uns nicht, wie wir so leben können, dass wir uns unsere Erlösung verdienen, sondern er kommt zu uns, um uns durch sein stellvertretendes Leben, Sterben und Auferstehen zu retten und unsere Sünden zu vergeben. Gottes Gnade kommt nicht zu denen, die die meisten moralischen Punkte sammeln, sondern zu denen, die ihr Versagen zugeben und einsehen, dass sie es nicht selber schaffen, sondern einen Erlöser brauchen.
Es sollte also Christen nicht wundern, wenn es Nichtchristen gibt, die netter, freundlicher, weiser und besser sind als sie selbst. Warum das? Weil ich als Christ nicht aufgrund meiner moralischen Leistung, Weisheit oder Tugend von Gott angenommen werde, sondern allein aufgrund dessen, was Christus für mich getan hat. Die meisten Religionen und Weltanschauungen gehen davon aus, dass der religiöse Status eines Menschen an seinen religiösen Leistungen hängt, was natürlich leicht dazu führt, dass sich die Gläubigen für etwas Besseres als die Nichtgläubigen halten. Das christliche Evangelium sollte diese Wirkung nicht haben.
Es heißt heute oft, dass „Fundamentalismus“ zu Gewalt führt, aber wie wir gesehen haben, haben wir alle unser fundamentalen, nicht beweisbaren Glaubensüberzeugungen, und wir sind überzeugt, dass sie dem Glauben anderer Menschen überlegen sind. Die eigentliche Frage lautet somit: Was für fundamentale Überzeugungen bringen ihre Anhänger dazu, gegenüber Andersdenkenden besonders offen und liebevoll zu sein? Wo ist der (notwendigerweise Ausschließlichkeit beanspruchende) Glaube, der uns dazu führt, demütige, friedliebende Menschen zu sein?
Was für fundamentale Überzeugungen bringen die Anhänger einer Religion dazu, gegenüber Andersdenkenden besonders offen und liebevoll zu sein?
Eines der großen Paradoxe der Geschichte ist die so völlig unterschiedliche Beziehung zwischen Glauben und Lebenspraxis in der alten Kirche und in der sie umgebenden heidnischen griechisch-römischen Kultur.
Die Religion der alten Griechen und Römer war äußerlich sehr tolerant; jeder hatte seinen eigenen Gott. Aber die Praktiken dieser Kultur waren äußerst brutal, der Abstand zwischen Arm und Reich war riesig. Die Christen behaupteten, höchst intolerant, dass es nur einen wahren Gott gab, den Erlöser Jesus Christus, der am Kreuz gestorben war. Das Leben und die Praktiken der Christen waren jedoch gegenüber denen, die am Rande der Gesellschaft lebten, bemerkenswert offen. In der frühen Kirche vermischten sich Rassen und Klassen auf eine Weise, die dem Normalbürger als skandalös erschien. Die Griechen und Römer verachteten die Armen; die Christen