Die Herrscher und Gestalten des Mittelalters. Reinhard Pohanka
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In England konnte er nicht viel Erziehung erwarten, sein Vater Ethelwulf von Wessex stand in einem Abwehrkampf gegen dänische Invasoren, die das Land verwüsteten. Die Invasion hatte 835 mit sommerlichen Raubzügen begonnen, 850 und 854 aber kamen große dänische Armeen ins Land, die hier auch überwinterten. Die dänische Taktik war einfach: Man suchte sich einen leicht zu befestigenden Punkt, errichtete eine Festung aus Palisaden und Erdwerken und plünderte von hier aus die Umgebung, bis sie entweder erschöpft war oder man Lösegeld erpressen konnte, um weiterzuziehen.
865 kamen die Dänen mit aller Macht nach England, und es war klar, dass sie diesmal für lange Zeit bleiben würden. In fünf Jahren eroberten sie mit Nordhumbrien, Mercien und Ost-Anglien drei der sieben Königreiche der Angeln, 870 waren sie zum Angriff auf Wessex bereit.
Alfred war der Vizebefehlshaber des Heeres von Wessex unter dem Kommando Aethelraeds, der seinen zwei älteren Brüdern und seinem Vater nachgefolgt war. In Raeding erreichte Alfred einen ersten Sieg gegen die Dänen, obwohl sein Bruder, weil er mit dem Morgengebet nicht fertig war, erst spät am Schlachtfeld erschien.
871 starb Aethelraed, und Alfred wurde König. Seine Regentschaft begann unglücklich mit einer schweren Niederlage gegen die Dänen in Wilton. Alfred musste seine Unterlegenheit anerkennen, für vier Jahre hielt er sich militärisch zurück und versuchte Wessex zu halten, während in dieser Zeit die Dänen Mercien eroberten, ihr Reich aufteilten und in Yorkshire und in Cambridge siedelten. 875 kam es erneut zum Krieg, als Guthrum, der dänische König von Cambridge, in Wessex einfiel. Diesmal traf er aber auf einen gut vorbereiteten Alfred, der ihn nach Norden vertrieb. Guthrum änderte seine Taktik, fiel im Winter in Wessex ein, besiegte Alfred und trieb ihn und die wenigen ihm verbliebenen Männer in das Marschland von Athelney.
Alfred war am Tiefpunkt seiner Karriere angelangt, aber nun zeigte sich seine wahre Größe. In wenigen Wochen konnte er aus den Resten seiner Herrschaft eine neue Armee aufstellen, sei es durch Überzeugung, Willenskraft oder militärische Führung. Im Frühjahr fiel er überraschend über Guthrum her und schlug ihn bei Eddington vernichtend, so dass sich Guthrum taufen lassen musste und sich nach Ost-Anglien zurückzog.
In den nächsten sechs Jahren herrschte eine Art kriegerischer Friede zwischen den Dänen und Alfred, der die Zeit nutzte. Er ließ eine Flotte bauen, nicht die erste der englischen Geschichte, aber die erste, die den Namen Flotte auch verdiente. Er organisierte das Heerwesen derart, dass er ein stehendes Heer einrichten konnte. Eine Hälfte der Bauern diente als Krieger, während sie von der zweiten Hälfte versorgt wurde, alle halben Jahre wurde gewechselt. Er baute Festungen im Land nach dem Vorbild der Dänen, in die sich die Bevölkerung in Notzeiten zurückziehen konnte und die als Basis für sein Heer dienten.
884 konnte er ein dänisches Heer besiegen und nahm London und den südlichen Teil von Mercien in Besitz. Die Bewährungsprobe kam 892, als ein großes dänisches Heer mit einer neuen Taktik landete. Statt sich in Festungen zurückzuziehen, marschierte die dänische Armee schnell und über große Distanzen und tauchte immer dort auf, wo Alfreds Armee schwach war. Alfred konnte die Dänen immer wieder besiegen, aber niemals vernichten, erst 896 konnte er die dänische Armee auflösen.
Alfred starb 899, begraben wurde er in der Kathedrale von Winchester. Er hatte das Reich seines Vaters bewahrt und vergrößert, dennoch wurde bei seinem Tode noch die Hälfte Englands von den Dänen beherrscht, und das Reich Alfreds war in der Defensive und ohne Möglichkeiten, offensiv gegen die Dänen vorzugehen.
Selbst wenn Alfred unter die großen Heerführer jener Zeit einzureihen ist, den Beinamen »der Große« hat er sich auf kulturellem Gebiet verdient. Bis zu seinem 12. Lebensjahr noch Analphabet, lehrte ihn seine Mutter lesen und schreiben, indem sie ihm einen Gedichtband mit schönen Initialen versprach. Erst mit 36 Jahren lernte Alfred Latein und gewann damit den Zugang zum Wissen seiner Zeit. Er wusste auch, dass er die kulturelle Wiedergeburt seines Landes nicht alleine bewerkstelligen konnte und holte Gelehrte aus Sachsen, Gallien und Wales, darunter den Benediktiner Asser, der später seine Biografie verfassen sollte.
Zur Erziehung seiner Untertanen ließ er lateinische Werke übersetzen, schrieb einige selbst oder zumindest das Vorwort dazu. Das erste Buch, das er in Auftrag gab, war das »Liber Regulae Pastoris« des Papstes Gregor des Großen, welches die Pflichten der Bischöfe regelte, jeder Bischofssitz erhielt davon eine Kopie. Das nächste war die Weltgeschichte des Paulus Orosius, eine Geschichte in Annalenform, wobei Alfred zahlreiche Anmerkungen selbst hinzufügte, darunter die Geschichte von Ohthere und Wulfistan über ihre Expedition in arktische Gewässer.
Dann gab Alfred sein Lieblingsbuch in Auftrag, Boethius’ »Consolatio Philosophiae«, geschrieben von einem römischen Staatsmann der Spätantike. Ein Werk in der Tradition der Stoiker mit christlicher Seele: Wie kann man den Widrigkeiten des Lebens entgehen und dabei seine Seele retten? Ein Buch, das das Leben Alfreds widerspiegelt.
Sein letztes Buch, genannt »Blostmann«, ist das persönlichste und von ihm am stärksten beeinflusste Werk. An die »Soliloquies« von → Augustinus von Hippo angelehnt, verfasste er eine Sammlung von Verhaltensmaßregeln für seine Untertanen, aus denen sich jeder das für ihn Nützliche heraussuchen konnte.
Alfred ließ die Gesetze Englands sammeln und zusammenstellen, wobei er sich nicht scheute, auch die besten Gesetze der benachbarten Königreiche in diese Sammlung aufzunehmen.
Alfred war ein großer Bauherr. Neben seinen militärischen Bauten ließ er eine Anzahl von Palästen und Klöstern errichten und förderte durch die dazu notwendige Ansiedlung von Handwerkern und Künstlern die englische Kunst. Daneben wird ihm noch die Erfindung einer Kerzenuhr, wobei die Länge der abgebrannten Kerzen die Stunden anzeigte, und einer geschlossenen Laterne mit Hornfenstern zugeschrieben.
Bei aller menschlichen Größe war er aber auch ein seltsamer Hypochonder. Sein Leben lang klagte er über Schmerzen, die seinen Körper durchzogen. Er hatte stets Angst, blind zu werden, Lepra zu bekommen oder zu verblöden. Als er das Ende seines Lebens erreichte und ihm klar wurde, dass er sterben müsse, verschwanden die Schmerzen plötzlich, Alfred hatte seine letzte Angst überwunden.
Auch wenn Alfred sein ganzes Leben für sein Land in der Defensive gekämpft hatte, konnte er zwei große Ziele erreichen. Die Bewahrung eines Teiles der angelsächsischen Herrschaft über England als Sprungbrett für seine Nachfolger zum weiteren Kampf und die Bewahrung des Christentums gegen die heidnischen Dänen. Neben seinen militärischen Erfolgen und dem Aufbau von Heer und Flotte erneuerte er mit seinen Büchern die angelsächsische Kultur. Seine Fähigkeiten waren im Einzelnen kaum überragend, aber die Summe seines Interesses, die Breite seiner Wissbegierde, was Erfindungen und Neuheiten anging, und seine starke religiöse Überzeugung ließen ihn zu einer der großen Persönlichkeiten werden, die über England hinaus anerkannt wurden. Sein Kampf gegen die Dänen entlastete den europäischen Kontinent und führte langfristig zur Abwehr dieser Gefahr und letztlich zur Annahme des Christentums durch die Dänen.
In seinem letzten Werk hat er sein persönliches Credo in einem einzigen Satz festgelegt: »Töricht erscheint mir jener Mensch und wirklich sonderbar, der nicht versucht, sein ganzes Leben lang mehr zu verstehen und zu wissen, und der niemals das ewige Leben sucht, das alle Fragen beantwortet«.
AUGUSTINUS VON HIPPO
(354–430)