MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 2). Robert Mccammon
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Читать онлайн книгу MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 2) - Robert Mccammon страница 2
Eins
Mancherorts war der Fuhrweg nach Philadelphia eine richtige Straße, anderswo kaum mehr als ein Wunschtraum. Auf ihrem Ritt durch Jerseys bewaldete Hügellandschaft durchquerten Matthew und Greathouse eine Welt im Umbruch: An einigen Stellen war der Beginn eines Dorfes von vielleicht zehn Häusern mit einer Kirche in der Mitte aus dem Wald gehackt worden und nur etwas weiter eroberten grüne Kletterpflanzen und Gestrüpp die Überreste eines anderen Weilers zurück. Viele Bauernhöfe gediehen und beeindruckten durch gepflegte Mais- und Bohnenfelder, aber andere waren verfallen. Ein kahler, gemauerter Schornstein stand inmitten der schwarz verbrannten Ruine eines Hauses. Am Rande einer weiteren Siedlung – mit einer ganzen Anzahl von Gebäuden, darunter auch eine Pferdevermietung, eine Schmiede und ein geweißtes Wirtshaus – begrüßte das Schild Willkommen in New Town die Reisenden. Ein kleines Heer von Kindern schwärmte aus, rannte neben den Reitern her und befeuerte sie mit Fragen nach ihrem woher und wohin, bis die Straße sich wieder in den Wald hinein wand. Die Kinder fielen zurück und gaben die Verfolgung auf.
Die Luft war schwer und feucht. Nebelschleier verfingen sich in den Kronen der höchsten Bäume. Ab und zu erstarrte ein Hirsch im Wald, beobachtete, wie die Reiter vorüberzogen, oder sprang vor ihnen über den Weg. Matthew fand es erstaunlich, dass einige der Hirschböcke sich unter ihrem ausladenden Geweih überhaupt auf den Beinen halten konnten. Wenn die Straße es zuließ, trieben Greathouse und Matthew ihre Pferde zum Galopp an, um so schnell wie möglich voranzukommen. Als sie etwa vier Stunden geritten waren und ein Schild passiert hatten, das Inians Fähre 8 Meilen ankündigte, kreuzte sich ihr Weg mit einer im Pferdewagen nach New York reisenden Familie. Greathouse sprach den Vater an und erfuhr, dass Westerwicke noch zwölf Meilen entfernt lag, am anderen Ufer des mit der Fähre zu überquerenden Raritan Rivers.
Eilig ritten sie weiter. Als sie sich dem Fluss näherten, wich der Wald Bauernhöfen und Werkstätten wie einer Sägemühle, einer Schreinerei, einem Fassbinder und einer am Rande eines riesigen Apfelgartens gelegenen Brauerei. Häuser drängten sich aneinander und das Balkenwerk für neue Gebäude wurde aufgestellt: Unter dem Einfluss des Raritan Rivers und dem ins Landesinnere führenden Verkehrs wuchs eine Stadt heran.
Am Fähranleger mussten Matthew und Greathouse zwanzig Minuten auf das Boot warten. Fasziniert beobachteten sie dann, wie vier schweigsame Indianer in mit bunten Perlen und anderen Verzierungen dekorierter Kleidung die Fähre verließen und in einem Tempo nach Nordosten verschwanden, das ein Bleichgesicht keine hundert Meter weit japsend nach Atem hätte schnappen lassen.
Das trübe Tageslicht schwand bereits dahin, als ein Schild schließlich die Stadt Westerwicke ankündigte. Der Weg wurde zu Westerwickes von Holz- und Ziegelhäusern gesäumter Hauptstraße. Hinter den Gebäuden lagen gepflegte Felder und Obstgärten. Pferde und Kühe teilten sich eingezäunte Weiden und auf einem fernen Hügel grasten Schafe. Westerwicke hatte zwei Kirchen, zwei Schänken und einen kleinen Ortsteil mit Geschäften, in dem die Einwohner bei ihren Erledigungen und Gesprächen innehielten, um die vorbeireitenden Fremden zu mustern. Vor einem der Wirtshäuser, auf dessen Schild eine offene Hand und der Schriftzug The Constant Friend prangten, stoppte Greathouse sein Pferd und rief einen jungen Mann zu sich herüber, der gerade aus der Schänke kam. Die Wegbeschreibung zum Hospital ließ darauf schließen, dass ihre Reise in einer halben Meile an einer Allee enden würde, die rechts von der Hauptstraße abzweigte.
Für Matthews Steißbein war es eine große Wohltat, als sie endlich auch diese letzte halbe Meile hinter sich gebracht hatten. Die Seitenstraße führte sie durch ein kleines Wäldchen zu drei Gebäuden. Das erste, aus Holz gebaut und mit geweißten Wänden, stand neben einem Brunnen und war so groß wie ein normales Haus. Ein Pferdetrog und Anbindebalken standen davor und an einem Nagel neben der Haustür hing eine brennende Laterne. Das zweite Haus war wesentlich größer als das erste, mit dem es durch einen gut ausgetretenen Pfad verbunden war. Es war aus grob behauenen Steinen gebaut worden. Aus dem spitzen Dach ragten zwei Schornsteine und mehrere der Fensterläden waren geschlossen. Matthew nahm an, dass dort die Patienten untergebracht waren – obwohl das Gebäude aussah, als wäre es ursprünglich als Getreidelager oder Versammlungshaus gebaut worden. Er fragte sich, ob es hier vor Westerwickes Entstehung ein Dorf gegeben hatte, dessen Einwohner einem Fieber oder anderem Unglück erlegen waren, und ob es sich hier um die Überreste davon handelte – vielleicht gab es ja noch ein paar Ruinen im Wald.
Das dritte Haus lag fünfzehn oder zwanzig Meter hinter dem Steingebäude, war etwas größer als das erste und ebenfalls weiß gestrichen. Matthew fiel auf, dass auch dort zwei der Fensterläden geschlossen waren. Ein Blumengarten mit Statuen und zwischen Büschen aufgestellten Bänken war unweit angelegt worden. Ein Weg führte nach hinten zu einem Stall und mehreren kleineren Gebäuden. Es war ganz anders als der traurige und chaotische Ort, den Matthew sich vorgestellt hatte. In den Bäumen sangen die Vögel ihr Nachmittagslied, das Tageslicht verdunkelte sich zu blau und die Atmosphäre des Hospitals und des gesamten Grundstücks war ungleich friedlicher als die Szenen schrecklicher Verrücktheit in den Londoner Tollhäusern, über die Matthew in der Gazette gelesen hatte. Trotzdem entdeckte er Gitter an einigen der offenen Fenster des Steingebäudes, durch die jetzt ein paar weiße Gesichter spähten. Hände erschienen, um die Gitter zu umklammern, aber die Musterung der Besucher fand schweigend statt.
Greathouse stieg ab und band sein Pferd am Balken an. Noch während Matthew es ihm gleichtat, öffnete sich die Haustür des Steingebäudes, und ein grau gekleideter Mann trat heraus. Er blieb kurz stehen und machte sich an der Tür zu schaffen – Matthew nahm an, dass er sie abschloss – und erschreckte sich, als er die Besucher bemerkte. Grüßend hob er die Hand und schritt schnell auf sie zu.
»Zum Gruße!«, rief Greathouse. »Seid Ihr Dr. Ramsendell?«
Der Mann kam weiter auf sie zu. Mit schiefem Grinsen hielt er eine Armlänge vor Matthew abrupt an und begann stockend zu reden. »Jacob ist mein Name. Seid Ihr gekommen, um mich heimzubringen?«
Matthew schätzte den Mann auf nur fünf oder sechs Jahre älter als sich selbst, auch wenn das wegen seines von einem entbehrungsreichen Leben sehr faltigem Gesicht schwer zu sagen war. Auf der rechten Wange des Mannes prangte eine alte gezackte Narbe, die sich bis über eine eingedellte Stelle an seinem Kopf hinzog, auf der keine Haare mehr wuchsen. Seine Augen strahlten glasig und sein unbewegliches Grinsen hatte etwas Abstoßendes und doch Bemitleidenswertes an sich.
»Mein Name ist Jacob«, sagte er wieder auf genau die gleiche Art wie zuvor. »Seid Ihr gekommen, um mich heimzubringen?«
»Nein.« Greathouses Stimme klang fest, aber vorsichtig. »Wir sind gekommen, um mit Dr. Ramsendell zu sprechen.«
An Jacobs Grinsen veränderte sich nichts. Er streckte die Hand aus. Bevor Matthew zurückweichen konnte, berührte er die Narbe an dessen Stirn. »Seid Ihr verrückt wie ich?«, fragte er.
»Jacob! Lass den Gentlemen doch bitte etwas mehr Platz.« Die Tür des ersten Gebäudes hatte sich geöffnet und zwei Männer kamen heraus, die beide in dunkle Kniehosen und weiße Hemden gekleidet waren. Jacob wich sofort zwei Schritte zurück, starrte aber weiterhin Matthew an. Der Mann, der gesprochen hatte, war groß und schlank mit rotbraunem Haar und einem sauber gestutzten Bart. Er trug eine beigefarbene Weste. »Ich habe meinen Namen gehört. Was kann ich für die Gentlemen tun?«, fragte er.
»Ich