MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 2). Robert Mccammon
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Читать онлайн книгу MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 2) - Robert Mccammon страница 5
»Versuchen nicht welche von ihnen wegzulaufen, wenn sie die Gelegenheit haben?«
»Wir sind sehr wählerisch, was das Zugeständnis von Freiheiten angeht«, sagte Hulzen, der eine Rauchfahne hinter sich herzog. »Es stimmt schon, vor sieben Jahren sind zwei Patienten weggelaufen. Das war unser erstes Jahr. Aber insgesamt freuen sich die Patienten, denen wir Arbeiten zuteilen. Und wir überzeugen uns natürlich zuerst davon, dass ihr Verstand sicher genug arbeitet, um die Konsequenzen unvorsichtiger Handlungen zu begreifen.«
»Die da wären?«, hakte Greathouse nach. »Werden sie ausgepeitscht, bis der Rücken blutet?«
»Ganz und gar nicht!« Die Antwort wurde etwas hitzig gegeben und der Pfeifenrauch trieb Greathouse fast ins Gesicht. »Uns sind solche primitiven Vorgehensweisen zuwider. Die drastischste Strafe hier ist, allein in einem Zimmer eingeschlossen zu werden.«
»Vielleicht interessiert es Euch zu hören«, fügte Ramsendell hinzu, während sie immer noch an der Mauer des Hospitals entlanggingen, »dass Charles und zwei andere Patienten als Nachtwächter arbeiten. Natürlich haben wir tagsüber zwei Männer aus Westerwicke als Wachtmänner, die dafür auch bezahlt werden.«
»Dr. Ramsendell!«, rief jemand. Es war eine heisere Stimme, aber mit angenehm seidigem Klang. »Dr. Ramsendell, dürfte ich Euch kurz sprechen?«
Die Stimme eines Verkäufers, dachte Matthew.
Ramsendell wirkte sofort verspannt. Seine Schritte wurden langsamer und fast wäre Matthew mit ihm zusammengestoßen.
»Dr. Ramsendell, mögt Ihr einem kranken, leidenden Mann nicht ein wenig christliche Nächstenliebe schenken?«
Matthew sah ein Gesicht durch die Fenstergitter des Hospitals spähen. Die Augen fanden seinen Blick und hielten ihn mit fast unwiderstehlicher Kraft fest, so stark, dass Matthew merkte, wie er unwillkürlich stehen blieb.
»Oh!«, sagte der Mann. Er grinste. »Zum Gruße, junger Dandy.«
»Kommt, Mr. Corbett«, drängte Ramsendell ihn.
»Ach, Mr. Corbett also?« Das Grinsen wurde breiter und entblößte sehr große Zähne. »Dr. Ramsendell ist ein sehr feiner Mann und ein wunderbarer Arzt, Mr. Corbett. Wenn er sagt, dass Ihr hierbleiben müsst, solltet Ihr glauben, dass es nur zu Eurem Besten und dem Besten der Gesellschaft ist. Aber hütet Euch vor seinem Zorn, denn ein kleiner Ausrutscher kann zur Folge haben, dass Ihr ganz allein speisen müsst.«
Die anderen waren vor Matthew stehen geblieben und jetzt kam Hulzen zurück zu ihm und sagte leise: »Es ist besser, nichts zu sagen.«
»Und Dr. Hulzen denkt, dass ich nicht nur verrückt bin, sondern auch noch taub!« Der Mann schnalzte und schüttelte den Kopf. »Es ist eine Schande!« Er umklammerte das Gitter mit grobknochigen Händen und drückte sein Gesicht dagegen. Er hatte ein breites Gesicht mit einem kantigen Unterkiefer und blassblaue Augen, in denen solch Fröhlichkeit von solcher Reinheit glänzte, dass sie niemand für das Mondlicht der Tollheit hätte halten mögen. Seine Haare waren strohfarben, in der Mitte gescheitelt und an den Schläfen grau. Sein buschiger Schnauzbart war mehr grau als strohblond. Er wirkte wie ein großer Mann: Sein Kopf reichte fast bis an die Oberkante des Fensters und seine Brust wirkte in der grauen Hospitaluniform wie eine massive Tonne. Seine fleischigen Lippen waren nass von Spucke. »Ich wiederhole mein Angebot, Euch zu rasieren, Dr. Ramsendell. Ich poliere Euch den Bart weg. Gebe mir an Eurem Kinn und Hals auch besondere Mühe, hm?« Er fing an zu lachen, ein froschartiges Geräusch, das aus der Tiefe seines Rumpfes kam, und plötzlich glitzerte es in seinen Augen rot auf. Für einen kurzen Moment hatte Matthew das Gefühl, in das Gesicht des Teufels höchstpersönlich zu sehen. Dann erlosch das Glitzern wie ein Feuer unter einer Falltür und die Stimme des Mannes, jetzt wieder weich wie die eines Verkäufers, angelte nach ihm. »Kommt näher, Dandy. Lasst uns mal einen Blick auf Eure Kehle werfen.«
»Mr. Corbett?« Ramsendell stellte sich vor Matthew und sah in sein Gesicht, als wollte er ihn vor einem bösen Fluch beschützen. »Wir sollten jetzt wirklich weitergehen.«
»Ja«, stimmte Matthew ihm zu. Er spürte Schweiß an seinen Schläfen. »Gut.«
»Ich werde mich an Euch erinnern!«, rief der Mann, als sein Publikum entschwand. »Oh, ich werde mich an Euch alle erinnern!«
»Wer, zur Hölle, war das?«, fragte Greathouse, warf einen Blick zurück und traute sich dann nicht, noch einmal hinzuschauen, denn die großen Hände schoben sich die Eisenstangen hoch und runter, als suchten sie nach einer Schwachstelle, die sie zerbrechen konnten.
»Das«, antwortete Ramsendell, und zum ersten Mal hörten Matthew und Greathouse Abscheu – und vielleicht ein Zittern von Angst – in seiner Stimme, »war ein Problem, das wir uns bald vom Hals schaffen werden. Er ist uns vor fast einem Jahr aus dem Quäker-Hospital in Philadelphia geschickt worden. Ich kann Euch sagen, dass er mehr verschlagen als verrückt ist. Er hat mich dazu verleitet, ihm Arbeitsprivilegien zu geben, und bei der ersten Gelegenheit hat er versucht, die arme Mariah hinten bei der roten Scheune zu ermorden.« Er deutete auf die Straße, die zu den andern Gebäuden führte. »Tja, die Quäker haben herausgefunden, dass er anscheinend in London als Barbier gearbeitet hat und womöglich in Dutzende Mordfälle verwickelt war. Wir erwarten, im Herbst einen Brief mit der Anweisung zu erhalten, ihn ins Gefängnis von New York zu überführen, damit er nach England verschifft werden kann. Natürlich wird ein Wachtmann mitreisen, damit er auch in Fußeisen ankommt.«
»Wenn ich das zu entscheiden hätte, würde ich ihm das Hirn wegschießen«, sagte Greathouse. »Eine Pistole könnte eine Menge weggeworfenes Geld sparen.«
»Leider haben wir den Quäkern einen Vertrag unterschrieben, dass er bei guter Gesundheit nach New York gebracht wird. Und es bei unserer christlichen Ehre geschworen.« Ramsendell ging zwei Schritte und sagte dann überlegend: »Wisst Ihr, falls die Sache mit der Königin gut verläuft, könntet Ihr Gentlemen Euch überlegen, ob Ihr Euch von uns engagieren lassen wollt, Mr. Slaughter nach New York zu eskortieren.«
»Mr. Slaughter?«, fragte Matthew.
»Ja. Tyranthus Slaughter. Ein verhängnisvoller Name, aber eventuell wohlverdient. Überlegt Euch doch, ob das eine machbare Aufgabe wäre, Sirs. Nur etwas über dreißig Meilen. Was könnte da schon schiefgehen? So, hier sind wir nun.«
Sie hatten das Haus am Garten erreicht. Matthew konnte Geißblatt und Minze riechen. In den Zweigen der Ulmen hinter dem Garten glimmten ein paar Glühwürmchen. Ramsendell holte eine Lederschnur voller Schlüssel aus der Westentasche, steckte einen Schlüssel ins Schloss der Haustür und machte auf. »Passt auf, wo Ihr hintretet, Gentlemen«, sagte er, was sich als unnötige Warnung herausstellte – denn der mit einem langen dunkelblauen Teppich ausgelegte Flur hinter der Tür war von Lampen beleuchtet. Eine Laterne stand auf einem Tisch und auf ungefähr der halben Strecke des Flurs leuchtete ein aus vier Lampen bestehender Lüster, den, so vermutete Matthew, wohl Charles oder ein anderer der mit Privilegien ausgestatteten Patienten angesteckt hatte. Als Matthew hinter den Ärzten das Haus betrat – Greathouse blieb ein paar Schritte zurück, als traute er diesem unvertrauten und so normal wirkenden Haus nicht –, fielen ihm zu beiden Seiten des Korridors zwei geschlossene Türen auf.
»Hier entlang, bitte.« Ramsendell ging zu der letzten Tür auf der rechten Seite.