Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen
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Die Heuballen! Dieser Gedanke zuckte Julia wie ein Blitz durch den Kopf. So konnte es nur sein. Einer oder mehrere der bis unters Dach aufgeschichteten Heuballen musste heruntergefallen sein. Hoffentlich nicht auf Leon Schubert.
»Wo sind Sie?!«, rief sie mit einer Stimme, aus der ihre Panik herauszuhören war.
»Hier hinten.« Wieder ein Husten.
Julia wusste, wo ›hier hinten‹ war. Sie ging weiter. Ihre Schritte wirbelten noch mehr Staub auf. Sie musste ebenfalls husten. Sie hörte ein Keuchen, ein Geräusch, das wie Brechreiz klang. Wahrscheinlich war einer der Ballen auseinandergefallen und das Heu hatte sich über ihren Gast ausgebreitet.
»Bleiben Sie, wo Sie sind«, rief sie ihm jetzt zu. »Ich bin gleich bei Ihnen.«
Sie kämpfte sich durch den Staub. Dann sah sie Leon auf dem Boden liegen, auf dem Rücken, etwa ein Meter von den heruntergefallenen Heuballen entfernt. Er war verletzt. Dessen war sie sich sicher. Und seine Lungen hatten viel zu viel Staub eingeatmet.
»Was ist?«, rief Vera vom Stalltor zu ihr herüber.
»Ruf Dr. Brunner an. Er soll sofort kommen. Ein Unfall.«
*
Leon schnappte nach Luft. Doch mit jedem Atemzug füllten sich seine Lungen nur noch mehr mit dem immer noch stobenden Heustaub und den kleinen Strohteilchen. In letzter Sekunde hatte er der Wucht der herunterfallenden Ballen noch ausweichen können. Er war rückwärts zur Seite gesprungen, dabei jedoch unglücklich mit dem Rücken auf dem Steinboden aufgekommen. Ein schneidender Schmerz im Steißbein hinderte ihn, aus der Staubwolke herauszukriechen oder gar aufzustehen. Jetzt hörte er Julias Stimme. Und obwohl er würgte und hustete und glaubte, ersticken zu müssen, war da tief in ihm die Dankbarkeit, diesen Unfall überlebt zu haben.
»Bleiben Sie liegen«, sagte die junge Frau nun dicht neben ihm.
Es raschelte, und da entdeckte er auch schon ihr Gesicht über sich. Er wollte etwas sagen, sie beruhigen, doch er brachte nur ein Japsen hervor. Julias Hand berührte seine Wange. Mit der anderen hob sie vorsichtig seinen Kopf an.
»Tut das weh?« Sorge stand in ihren Märchenaugen. Dann verschwamm ihr Gesicht wieder vor seinen Augen. Ein neuer Hustenanfall überfiel ihn. Tränen traten ihm aus den Augen.
»Können Sie sich aufrichten?«, fragte ihre sanfte Stimme.
Er versuchte, sich aus der liegenden Position hinzusetzen. Ihre Hand führte dabei behutsam seinen Rücken. Dann wieder ein stechender Schmerz. Er fiel zurück.
»Atmen Sie.« Sie klang flehend.
Er atmete und hustete wieder. Sie nahm seinen Kopf in beide Hände, neigte ihn zur Seite und hielt ihn.
»Scheuen Sie sich nicht, alles auszuspucken«, sagte sie. »Der Staub muss raus.«
Immer wieder schüttelte ihn der Husten, sein Brustkorb schien auseinanderzubrechen, seine Lungen zu platzen. Das einzig Wohltuende war, dass Julia seinen Oberkörper, den er unter Schmerzen in Schräglage hatte bringen können, umfangen hielt und dass ihre Hand immer wieder über sein Haar streichelte. Wie einem Kind sprach sie ihm zu, leise und beruhigend. Ihre Worte konnte er nicht verstehen. Und er hätte auch nicht sagen können, wie lange sie beide in dieser Position schon verharrten. Sie neben ihm auf den Knien hockend, er halb sitzend und halb liegend. Dann kam ein Auto, eine Männerstimme, tief und sympathisch klingend, wurde laut, sowie zwei Frauenstimmen. Die eine gehörte der Friseurin, die andere Oma Winter.
»Julia?«, rief der Mann.
»Dr. Brunner!« Julia klang erleichtert. »Hier sind wir.«
Da sah er durch den Staubnebel, der immer noch im Stall hing, einen großen Mann auf sich zukommen. Das musste der Arzt sein.
*
Dr. Matthias Brunner untersuchte seinen Patienten am Unfallort. Auch ihm drang der Staub in die Atemwege, was ihn immer wieder husten ließ. Doch zunächst wollte er die Lage des jungen Mannes nicht verändern. Bei einer möglichen Rückgratverletzung hätte dies schlimmstenfalls zur Durchtrennung von Nerven führen können und damit zu Lähmungserscheinungen. Ganz vorsichtig ging er ans Werk, tastete den Rücken ab, prüfte die Reaktionsfähigkeit der Gliedmaßen.
»Ich kann Ihnen Entwarnung geben«, sagte er dann. »Ich tippe auf eine Verletzung des Steißbeins. Ihr Rücken scheint aber unverletzt zu sein, was ich jedoch noch durch eine Computertomografie absichern möchte. Ich ziehe Sie jetzt erst einmal aus dieser schrecklichen Luft heraus.«
Mit beiden Händen griff er unter die Achseln seines Patienten und schleifte ihn über den Boden ins Freie. Dort half er ihm, sich aufzurichten, was dem jungen Mann nur mit schmerzverzerrter Miene und mit seiner Hilfe gelang.
»Verdammt, das Sitzen … Es geht nicht«, sagte sein Patient gepresst.
Das ließ eindeutig auf eine Verletzung des Steißbeins schließen.
»Atmen Sie erst einmal gut durch«, riet er dem attraktiven Dunkelhaarigen, den er auf Mitte zwanzig schätzte. »Und husten Sie ab. Das Zeug muss raus.«
Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie Julia jetzt rasch auf ihre Freundin zuging und sie verabschiedete. Nachdem die Friseurin gefahren war, zog sie sich mit ihrer Großmutter ins Haus zurück. Er dankte den beiden Frauen insgeheim für deren Diskretion, für die sie im Ruhweiler Tal auch bekannt waren.
»Legen Sie sich bitte auf die Seite. Ich muss Ihr Steißbein untersuchen«, bat er den jungen Mann.
Da er an der Stelle, unter der das Steißbein saß, kein Hämatom entdeckte, schloss er einen Bruch aus.
»Wenn Sie Glück haben, handelt es sich nur um eine Prellung, die jedoch gleichermaßen schmerzhaft sein kann. Ich gebe Ihnen jetzt eine schmerzstillende Spritze, dann beißen Sie die Zähne zusammen und versuchen, sich mit meiner Hilfe aufzurichten. Ich muss Sie röntgen, und das geht nur in meiner Praxis.«
»O Mann, das war heftig«, murmelte sein Patient sichtlich erschöpft, als er schließlich auf den Beinen stand. »Übrigens, Leon Schubert …« Erneut musste der junge Mann husten.
»Brunner«, erwiderte Matthias, klopfte ihm leicht auf die Schulter und sagte: «Nachdem wir die Sache mit dem Steiß abgeklärt haben, zeige ich Ihnen Atemübungen, die Ihnen die Situation erleichtern werden und die Sie in den nächsten Tagen unbedingt machen sollten.«
Die schwarzen Augen seines Gegenübers, die vom Husten und Würgen ziemlich mitgenommen ausschauten, sahen ihn gequält an. Dennoch zeigte der junge Mann einen Sinn für Humor, als er heiser und stockend sagte: »Gestern Regen, heute Strohballen, was kann denn hier noch alles vom Himmel kommen?«
Da sah Matthias Brunner Julia vor dem Stubenfenster stehen. Sie machte sich natürlich Sorgen. Ganz spontan erwiderte er bei ihrem Anblick: »Blonde Engel, wenn man Glück hat.«
*
Ein blonder Engel, dachte Leon, als die Praxistür aufging und Julia Winter herein kam.
»Hallo, Julia«, begrüßte die große kräftige Sprechstundenhilfe die junge Frau herzlich. »Du kannst Herrn Winter wieder mitnehmen. Er hält sich sehr wacker für das, was er erlebt hat.«
Julia