Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen

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Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman - Christine von Bergen Der Landdoktor Staffel

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Sie waren eine alles verschlingende Woge, die ihr Leben komplett auf den Kopf stellen würde. Bisher hatte sie geglaubt, in dieser Lebensphase gegen die Liebe gefeit zu sein, dass es nichts Wichtigeres gab, als sich und ihrer Großmutter mit dem Wiedererwecken der Pension eine solide Lebensgrundlage zu schaffen. Dann tauchte da jemand auf, der ihr Herz im Sturm eroberte. Sie spürte einen Einklang mit Leon und fragte sich, wie es möglich war, das sie sich an der Seite eines Fremden, der zufällig in ihr Leben getreten war, so vollkommen glücklich fühlte. Doch wie sollte es weitergehen zwischen ihnen, wenn er tatsächlich nach der Aussprache mit seinem Vater zu ihr zurückkommen würde?

      All diese Gedanken jagten ihr in nur Bruchteilen von Sekunden durch den Kopf, während Leon ihren Blick festhielt, auf eine Antwort von ihr wartete, auf eine Geste. Sie wollte die Hand heben, sein Gesicht berühren, ihm eine der schwarzen Locken aus der Stirn streichen. Doch sie konnte nicht. Eine unerklärliche Scheu hielt sie davon ab, zumal auch er seinerseits nichts tat, was sie dazu ermunterte. Nur sein Blick umfasste immer noch ihr Gesicht, streichelte es, ohne dass seine Hände sie berührten.

      »Julia.« Er sprach leise, sagte ihren Namen ganz behutsam, ließ ihn geradezu auf der Zunge zergehen, was sie daran erinnerte, dass sie ihm noch eine Antwort schuldig war.

      »Ja, komm wieder«, erwiderte sie ebenso leise.

      Bevor sie erraten konnte, was er vorhatte, hob er ihre Hand an den Mund und liebkoste die Stelle, unter der ihr Puls pochte.

      Sie schloss die Augen, nahm nur seine Lippen wahr, seinen warmen Atem. Und als er sie endlich in seine Arme zog, floss eine süße Welle durch sie. Sie erwiderte seine Umarmung, schmiegte ihr Gesicht an seine Brust, dorthin, wo sein Herz schlug, und erlebte zum ersten Mal das Gefühl von Erfüllung. Als sich ihre Lippen fanden und miteinander verschmolzen, war ihr zumute, als würde sie sich in Schwindelerregender Höhe befinden, und trotzdem an einem sicheren geschützten Ort, wo ihr nichts passieren konnte, solange Leons Arme sie nur hielten.

      *

      Die Zeit an diesem Tag verging für die Verliebten wie im Flug. Irgendwann legte sich die Dämmerung über ihr kleines Paradies am See. Sie packten alles zusammen und fuhren zurück. Am gläsernen Abendhimmel stand schon der Abendstern, klar und leuchtend, wie wegweisend für eine gemeinsame Zukunft. Leons Hand lag auf Julias Knie, aus dem Autoradio klangen leise süße Melodien, die ihre Herzen streichelten, und aus den geöffneten Fenstern drang die duftende Luft des Sommerabends ins Wageninnere.

      »Darf ich dich etwas fragen?«, unterbrach Leon das Schweigen zwischen ihnen.

      Julia lächelte versonnen. »Alles. Ich habe keine Geheimnisse vor dir.«

      Er schluckte sein jäh aufsteigendes schlechtes Gewissen schnell hinunter, aber noch war nicht der Zeitpunkt gekommen, ihr sein Geheimnis anzuvertrauen.

      »Was möchtest du denn wissen?«, erkundigte sie sich in sein Schweigen hinein.

      »Du hattest heute irgendwann erwähnt, dass du früher mit deinem Vater an diesem See gewesen bist«, fuhr er fort. »Was ist mit deinen Eltern? Du hast sie bis jetzt noch nicht erwähnt.«

      »Meine Eltern sind nach Australien ausgewandert. Ich wollte damals nicht mit, weil ich meine Freunde hier hatte. Da bin ich bei Oma und Opa geblieben.«

      »Und?« Überrascht und neugierig zugleich sah er sie von der Seite an. »Habt ihr noch Kontakt?«

      Sie lachte. »Natürlich haben wir noch Kontakt. Einmal im Jahr besuchen wir uns gegenseitig.« Sie seufzte. »Leider haben sie es nicht geschafft, ihre Träume zu erfüllen. Mein Vater wollte eine Schafsfarm aufziehen. Doch er hat sich verkalkuliert. Nach Opas Tod haben Oma und ich festgestellt, dass Großvater viele Jahre lang alles Geld an Mama und Papa geschickt hat. Das ist auch der Grund dafür, dass Großmutter und ich keine Rücklagen haben, um die Pension zu sanieren.«

      Leon schwieg betroffen.

      »Aber ich habe mir etwas überlegt«, fuhr Julia nun mit einem zuversichtlichen Lächeln fort. »Ich habe ein paar Reiseunternehmen angeschrieben und für unsere Pension geworben. In dem Tenor wie ›Die etwas andere Pension, eine Oase des Friedens‹.« Sie hob die schmalen Schultern, die ihre innere Stärke Lügen straften. »Bisher habe ich noch keine Antwort bekommen, aber Vera meint, das würde dauern. Na ja, mal sehen. Falls keines dieser Unternehmen uns ins Programm aufnehmen will, weiß ich erst einmal auch nicht mehr weiter. Dann will Oma alles verkaufen.«

      »Und was wollt ihr danach machen?«

      Sie warf ihm einen Blick zu. Einen kurzen nur, aber in ihm lag eindeutig der Ausdruck von Enttäuschung. Ihre Lippen kräuselten sich, bevor sie antwortete: »Dann kannst du uns, solltest du überhaupt zurückkommen, in einer kleinen Etagenwohnung in der Stadt besuchen.«

      Ihr harter Ton ließ ihn wie unter einem Peitschenhieb innerlich zusammenzucken. Er verriet ihm, dass seine Frage ein Fehler gewesen war.

      »Verzeih.« Er legte seine Hand auf ihren Arm. »Meine Frage klang so, als würde ich dich und deine Großmutter eurem Schicksal überlassen wollen. So ist es aber nicht. Das musst du mir glauben. Ich werde zurückkommen. Und in einer kleinen Etagenwohnung werde ich euch ganz bestimmt nicht besuchen, weil es mir dort nicht gefallen würde. Eure Pension ist wirklich eine Oase des Friedens. Eine Oase der Liebe …« Mitten im Satz hielt er inne. Ja, ein Ort der Liebe, dachte er versonnen.

      Er nahm Julias Hand vom Steuer, drückte sie und hielt sie fest. »Ich werde mir etwas einfallen lassen, wie ich euch helfen kann.«

      Ruckartig entzog sie ihm ihre Hand. »Ich will keine Hilfe oder gar Mitleid.«

      Er musste lachen. »Mitleid? Du weißt noch nicht, welch großer Egoist ich bin«, witzelte er.

      Da stimmte sie in sein Lachen ein, und der Schatten, der gerade auf ihre junge Liebe gefallen war, glitt vorüber.

      *

      »Wer ist denn das?«, fragte Julia erstaunt, als die Scheinwerfer ihres Jeeps auf dem Hof ein Auto erfassten.

      »Aus Düsseldorf?«, murmelte Leon genauso erstaunt. »Sind das neue Gäste?«

      »Wir haben schon seit Langem keine Buchung mehr gehabt.« Julia hielt neben dem Wagen an und schaltete den Motor aus.

      Da leuchtete die Außenlampe auf. Die Haustür öffnete sich, und heraus kam Oma Winter. Sie trug ihre beste Schürze.

      »Da seid ihr ja!«, rief sie den beiden entgegen. »Wie war der Ausflug?« Zuerst sah sie ihren Gast an, dann ihre Enkelin. Und als Leon den Arm um Julias Mitte legte, zeigte sich ein wissendes Lächeln auf ihrem frischen Gesicht.

      »Schön war es«, sagte Leon in einem Ton, der ausdrückte, wie sehr sein Herz dabei mitsprach.

      »Das freut mich. Sie scheinen uns Glück zu bringen, Leon. Wir haben einen neuen Gast. Er kam heute Nachmittag und will ein paar Tage bleiben.« Sie trat näher an die beiden heran, die immer noch Arm in Arm nebeneinanderstanden. »Ein ziemlich schrulliger Typ«, verriet sie ihnen mit unterdrückter Stimme. »Will hier fotografieren und wandern. Ziemlich verschlossen, aber die Hauptsache ist, dass wir durch ihn Einnahmen haben. So, und jetzt kommt herein. Habt ihr noch Hunger?«

      *

      Ein paar Augenblicke später mussten Julia und Leon Oma Winter recht geben. Der neue Gast machte nicht gerade den sympathischsten Eindruck. Julia schätzte ihn auf Ende zwanzig. Eng zusammenstehende, stechend blickende

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