Karin Bucha Staffel 5 – Liebesroman. Karin Bucha
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Sie steht ohne Hilfe auf, wankt ein wenig und wirft noch einen flehenden Blick auf Reincke. Sie bittet um ein einziges, armseliges Wort. Aber dieses Wort fällt nicht. Sie schleicht sich zur Tür, sagt von dorther: »Ich will für das, was ich getan habe, büßen. Vielleicht – daß du mich dann wenigstens achtest?«
Reincke steht lauschend, lauscht hinter dem leichten Schritt, hört, wie die schwere Tür des Hauses geöffnet und geschlossen wird und tritt ans Fenster. Dort geht sie, die Frau, die er hätte lieben können, wenn sie nicht so herzlos und kalt gewesen wäre.
*
In der Bar »Zum Blauen Engel« geht der Betrieb weiter. Nur die rotblonde Bardame fehlt. Marion hat sich in ihrer Wohnung eingeschlossen und ist auch für Frank Bendler nicht zu sprechen.
Als William Reincke die Bar betritt, geht Bendler, von Sorge getrieben, auf den späten Gast zu.
»Kann ich Sie einmal ungestört sprechen?« fragt Bendler, und Reincke nickt. Sie setzen sich abseits in eine der Nischen, und Reincke wartet geduldig, bis Bendler zu sprechen beginnt.
»Was ist mit Marion los? Haben Sie etwas mit ihr gehabt?«
»Eine kleine Meinungsverschiedenheit«, weicht er aus. Bendler schüttelt den Kopf.
»Das glaube ich nicht. Marion ist wie ausgewechselt. Sie läßt sich nicht mehr sprechen. Ich sorge mich um sie.«
Lange sieht Reincke den Mann an.
»Lassen Sie Marion laufen, Herr Bendler. Es ist besser für Sie«, sagt er beinahe väterlich.
Bendler prallt förmlich zurück.
»Mein Gott, ich dachte – ich dachte, Sie hätten mehr für sie übrig – als –«
Reincke winkt ab. »Darüber möchte ich nicht sprechen. Lassen Sie sie ziehen und halten Sie sie nicht. Das ist der einzige Rat, den ich Ihnen geben kann.«
Bendler ist völlig verwirrt und kopfscheu. »Aber ich kann sie doch gar nicht laufen lassen, wie Sie sagen, ich liebe sie, und dann gehört ihr doch dieser Laden.«
Überrascht beugt Reincke sich vor. »Die Bar gehört ihr?«
Bendler nickt und beißt sich auf die Lippen. Jetzt hat er ein ihm anvertrautes Geheimnis preisgegeben. Er fühlt sich nicht wohl dabei.
Also dahin ist Karstens Geld geflossen? – sinnt Reincke, und er ist entschlossen, darüber nicht mit Bendler zu sprechen. Das dürfte höchstens Rechtsanwalt Rauh interessieren.
»Könnten Sie Marion auch lieben, wenn sie schlecht und verworfen wäre?«
Bendler stutzt und sinnt vor sich hin. »Ich weiß nicht! Ich glaube – ja!«
»Da ist nichts zu machen.« Einen raschen Entschluß fassend erhebt er sich. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, daß er sehr gut Bescheid über die Örtlichkeiten weiß, bittet er: »Zeigen Sie mir den Weg zu Marion Wendland. Vielleicht läßt sie sich von mir sprechen.«
Sehr ungläubig blickt Bendler drein, steht aber willig auf und geht Reincke voran.
»Bitte, lassen Sie mich allein zu ihr gehen«, sagt Reincke, und zögernd entfernt Bendler sich.
*
Blaß, mit eingefallenen Zügen und reglosen Gliedern liegt Marion Wendland nun schon stundenlang auf der Couch. Die schreckliche Erkenntnis, William Reincke hat mit ihr gespielt, ist wie ein Blitzschlag auf sie herniedergefahren.
Auf einmal hört sie Schritte. Ihr Blut schießt zum Herzen, und dann spürt sie den Schlag ihres Herzens bis in die Ohren.
Kommt man schon, um sie zu holen?
Es klopft. Sie ist unfähig, zu antworten. Und dann hört sie eine wohlbekannte Stimme.
»Marion, ich muß dich sprechen!«
William ist da. William will sie sprechen. Sie reißt sich aus ihrer unnatürlichen Starre, wirft einen Morgenmantel über und eilt zur
William Reincke tritt rasch ein und schließt die Tür hinter sich. Nichts von Härte ist mehr in seinen Zügen, nur Mitleid, grenzenloses Mitleid.
»Verzeih, Marion«, beginnt er und mißt das todblasse, verängstigte Frauengesicht mit einem langen Blick. »Ich glaube, wir haben noch einiges zu klären.«
Sie macht eine einladende Handbewegung und schleppt sich bis zur Mitte des Zimmers. Dort verharrt sie reglos.
»Bist du bereit, Karsten sein Geld zurückzugeben?«
Zittern überläuft sie. Nicht ihretwegen ist er gekommen? Nur des Freundes wegen? Ihr ist, als würde sie die letzte Kraft verlassen.
»Alles was hier steht, gehört Karsten. Die Einrichtung des Zimmers, die Bar – alles habe ich von seinem Geld gekauft.« Ihre Stimme ist ohne jeden Klang.
»Wirst du mir das schriftlich geben?« hört sie ihn weitersprechen.
Sie kann nur nicken. Dann ist sie wirklich am Ende.
»Geh, bitte geh«, fleht sie, und sie macht eine Bewegung ins Leere. »Laß mich zur Ruhe kommen. Ich – ich kann nicht mehr.«
Mit ein paar raschen Schritten ist er bei ihr, faßt nach ihr, und sie sinkt haltlos gegen ihn. Ihr Kopf mit den geschlossenen Augen lehnt schwer an seiner Schulter.
»Nur eines möchte ich dir noch sagen, Marion. Du hast dich schwer versündigt gegen einen Mann, der dich aufrichtig, bis zur Selbstaufgabe geliebt hat. Denke an Frank Bendler. Er liebt dich auch wahrhaftig. Es könnte dir einen Halt geben, zu wissen, irgendwo ist ein Mensch, zu dem du dich flüchten kannst, später, wenn du gebüßt hast für das, was du anderen zufügtest. Willst du daran denken?«
Sie sieht ihn verständnislos, aus beinahe irren Augen an
Frank Bendler! Wie weit liegt das zurück. Was gilt ihr das alles noch?
Verstummt ist sie, als sei ihr Mund versiegelt. Nicht für sich, für andere bittet er.
»Leb’ wohl, Marion.« Wie aus weiter, weiter Ferne hört sie seine Stimme. Jetzt, da er sich von ihr gelöst hat, wankt sie vorwärts, sinkt in den nächsten Sessel.
Ich habe mein Leben, ich habe die Liebe eines William Reincke verspielt – kann sie nur denken.
*
Als William Reincke zu Eva-Maria Harris ins Geschäft tritt, ist sie ganz allein. Sie vermißt sein unbekümmertes, jungenhaftes Lächeln und erschrickt tief. Seltsam verändert ist er.
Schnell geht sie auf ihn zu. »Ist etwas mit – mit Karsten?« fragt sie ängstlich.
»Kann ich Sie ungestört sprechen?« Er sieht sich um, nickt befriedigt und zieht sie zu einer Eckbank. »Fräulein Harris, Sie müssen mich zu Rechtsanwalt Rauh begleiten. Karstens Fall muß schleunigst aufgerollt werden. Ich habe die Wahrheit erkundet. Können Sie sich sofort freimachen?«