Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch - Arthur Conan Doyle страница 40
»Wer ist da,« rief eine mürrische Stimme von innen.
»Ich bin es, Mc. Murdo. Du solltest doch endlich mein Klopfen kennen.« Man vernahm einen brummenden Ton und das Klingen und Klirren von Schlüsseln. Die Thür schwang sich schwerfällig zurück und in der Oeffnung stand ein kurzer, breitschulteriger Mann, dessen vorgestreckter Kopf mit den blitzenden, mißtrauischen Augen von der Laterne beleuchtet wurde.
»Ihr seid’s, Herr Thaddäus? Aber wer sind die andern? Der Herr hat mir keinen Befehl erteilt sie einzulassen.«
»Nicht, Mc. Murdo? Das wundert mich! Ich sagte meinem Bruder gestern abend, daß ich ein paar Freunde mitbringen würde.«
»Er ist heute gar nicht aus seinem Zimmer gekommen, Herr Thaddäus. Ich habe keine besondere Anweisung und muß mich an die alten Regeln halten. Ihr mögt eintreten; aber Eure Freunde müssen bleiben, wo sie sind.«
Das war ein unerwartetes Hindernis. Thaddäus Scholto blickte mit betroffener Miene hilflos um sich.
»Wie unrecht von dir, Mc. Murdo; wenn ich mich für sie verbürge, so muß dir das genügen. Die junge Dame hier kann doch nicht zur Nachtzeit auf der Landstraße warten.«
»Thut mir leid, Herr Thaddäus,« sagte der unerschütterliche Thorwart. »Die Leute mögen Eure Freunde sein und doch nicht Freunde meines Herrn. Er bezahlt mich gut dafür, daß ich meine Pflicht thue und so will ich auch meines Amtes warten. Ich kenne keinen von Euern Freunden.«
»O ja, Ihr kennt mich, Mc. Murdo,« rief Holmes freundlich. »Ich meine, Ihr werdet mich nicht vergessen haben. Wer war’s, der vor vier Jahren an Euerm Benefiz-Abend in Alksons Saal drei Gänge mit Euch ausgefochten hat, he?«
»Was, Sie sind’s, Herr Sherlock Holmes!« brüllte der Preisfechter. »Bei Gott! Sie hätte ich erkennen sollen. Wenn Sie nur, statt still dazustehen, gleich mit Ihrem Kreuzhieb unter den Kinnladen auf mich losgegangen wären! Wie schade, daß Sie Ihre Gaben ungenützt lassen. Wahrhaftig, Sie hätten Ehre und Ruhm ernten können, wenn Sie unsere Kunst ergriffen hätten.«
»Sie sehen, Watson, wenn alles fehl schlägt, so bleibt mir doch noch ein wissenschaftlicher Beruf offen,« sagte Holmes lachend. »Der wackere Mc. Murdo wird uns nun gewiß nicht länger hier draußen stehen lassen.«
»Herein mit Ihnen, Herr – herein mit Ihnen und Ihren Freunden,« rief er. »Nehmen Sie’s nicht übel, Herr Thaddäus, ich habe strengen Befehl und mußte erst gewiß sein, mit wem ich’s zu thun hatte.«
Innerhalb der Mauer wand sich der Weg durch verwilderte Anlagen bis zu einem hohen, kastenartigen Gebäude, das ganz in Dunkelheit begraben dalag. Nur auf eine Ecke fiel der Mondstrahl und glitzerte am Dachkammerfenster. Der große, düstere Bau mit seiner Totenstille machte das Herz erschauern. Selbst Thaddäus Scholto schien sich unbehaglich zu fühlen und die Laterne bebte und klapperte ihm in der Hand.
»Ich kann nicht klug daraus werden,« murmelte er. »Es muß da ein Mißverständnis obwalten. Ich habe Bartholomäus deutlich gesagt, daß wir kommen würden, und doch ist kein Licht in seinem Fenster. Das weiß ich mir nicht zu erklären.«
»Läßt er das Haus immer auf solche Weise bewachen?« fragte Holmes.
»Ja, er hat die Gewohnheiten meines Vaters angenommen; er war sein Lieblingssohn. Vielleicht hat ihm der Vater auch mehr anvertraut als mir – wer kann das wissen? Dort oben ist Bartholomäus’ Fenster. Es sieht hell aus, weil es der Mond bescheint; aber ich denke, drinnen brennt kein Licht.«
»Nein, da ist keins,« sagte Holmes, »aber ich sehe den Schein eines Lichtes in dem kleinen Fenster neben der Thür.«
»Dort ist die Stube der Haushälterin, der alten Frau Bernstone. Sie kann uns über alles Auskunft geben. Bitte, warten Sie einen Augenblick hier; ich will sie auf unser Kommen vorbereiten, sie möchte sonst erschrecken. Aber still! – Was war das!« –
Er hielt die Laterne in die Höhe und die Hand zitterte ihm so, daß die Lichtkreise rund um uns tanzten und flimmerten. Wir horchten gespannt und mit klopfendem Herzen. Von dem großen, dunkeln Hause her tönte ein jammervoller Klagelaut – das Schluchzen und Wimmern eines geängstigten Frauenzimmers.
»Das ist Frau Bernstone,« sagte Scholto. »Sie ist die einzige Frau im Hause. Warten Sie, ich bin gleich zurück.«
Er eilte nach der Thür und klopfte auf eine besondere Art. Wir sahen, wie eine große Frau ihm öffnete und bei seinem Anblick überrascht zurücktaumelte.
»O, Herr Thaddäus, mein guter Herr, wie froh bin ich, daß Sie da sind!«
Wir hörten ihre wiederholten Freudenbezeigungen, bis die Thür geschlossen wurde und ihre Stimme in unverständlichen Lauten hinstarb.
Unser Führer hatte die Laterne bei uns zurückgelassen. Holmes schwang sie jetzt langsam im Kreise; er leuchtete damit nach dem Hause hin und nach den großen Haufen von Schutt und aufgeworfenem Erdreich, die überall umherlagen. Währenddem standen Fräulein Morstan und ich beisammen, und ich hielt ihre Hand in der meinigen. – Es ist ein wundersames, rätselhaftes Ding um die Liebe. Wir zwei Menschen hatten einander an diesem Tage zum erstenmal gesehen; nie zuvor war zwischen uns ein Wort oder ein Blick der Zuneigung gewechselt worden, und dennoch suchten sich unsere Hände unwillkürlich in dieser Stunde der Unruhe. Später habe ich mich oft darüber gewundert; aber damals schien es mir ganz selbstverständlich, daß ich mich ihr zuwenden mußte, und auch sie hat mir oft gesagt, daß ein unbewußtes Gefühl sie trieb, bei mir Trost und Schutz zu suchen. So standen wir denn wie zwei Kinder, Hand in Hand; in unseren Herzen war es hell, trotz aller Dunkelheit, die uns umgab.
»Was für ein sonderbarer Ort!« rief sie, umherblickend.
»Es sieht aus, als wären die Maulwürfe von ganz England hier geschäftig gewesen,« sagte ich. »Mir fällt dabei ein Hügel in der Nähe von Ballarat ein, wo die Goldgräber gearbeitet hatten.«
»Das ist sehr natürlich,« meinte Holmes; »denn auch dies sind die Spuren von Schatzgräbern. Sie erinnern sich, daß die Brüder seit sechs Jahren nach dem Kasten suchten. Kein Wunder, daß der Erdboden umgewühlt ist.«
In diesem Augenblick flog die Thür des Hauses auf, und Thaddäus kam mit vorgestreckten Armen herausgestürzt, bleiche Furcht im Antlitz.
»Bartholomäus ist etwas zugestoßen,« rief er. »ich habe einen Schreck bekommen! Meine Nerven können das nicht ertragen.« – Die Zähne klapperten ihm auch wirklich vor Angst, und sein Gesicht guckte mit dem flehenden, hilflosen Ausdruck eines Kindes aus dem großen Pelzkragen hervor.
»Lassen Sie uns ins Haus gehen,« rief Holmes in seiner kurzen, entschlossenen Art.
»Ach ja, kommen Sie!,« bat Scholto. »Ich bin wirklich außer stände, die nötigen Anordnungen zu treffen.«
Wir folgten ihm alle in die Stube der Haushälterin, wo wir die alte Frau fanden, die mit verwirrtem Blick händeringend auf und ab ging. Bei Fräulein Morstans Anblick beruhigte sie sich einigermaßen.
»Gott segne Sie, daß Sie hier sind,« rief sie unter krampfhaftem Schluchzen. »Es thut mir wohl, Ihr liebes Gesicht zu sehen. Ach, wie fürchterlich habe ich heute auszustehen gehabt!«
Das