Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch - Arthur Conan Doyle страница 42
»Einfach!« rief ich aus.
»Gewiß,« sagte er mit der Miene eines Professors in der Klinik, der vor seinen Studenten demonstriert. »Setzen Sie sich, bitte, dort in den Winkel, damit Ihre Fußstapfen keine Unordnung machen. Nun zur Sache. Zuerst – wie kamen – und wie gingen diese Leute? Die Thür ist seit gestern nicht geöffnet worden. Wie steht es mit dem Fenster?« Er nahm die Laterne in die Hand und begann seine Beobachtungen, deren Ergebnisse er vor sich hinmurmelte.
»Fenster innen verriegelt. Rahmen ganz solid. Keine Haspen an den Seiten. Oeffnen wir’s. Keine Wasserröhre in der Nähe. Das Dach nicht zu erreichen. Ein Mann ist aber doch durchs Fenster gestiegen. Es hat vorige Nacht etwas geregnet. Hier ist der Abdruck von einem Fuß in dem nassen Staub auf dem Fenstersims, und hier ist eine runde Spur, und hier noch eine auf dem Boden, und dort wieder am Tisch. Sehen Sie her, Watson! Das giebt wahrlich eine prächtige Beweisführung.«
Ich blickte auf die deutlich abgedrückten, schmutzigen Kreise. »Das ist keine Fußspur,« sagte ich.
»Nein, aber für uns von viel größerem Wert. Es ist der Abdruck eines Stelzfußes. Hier, auf dem Fenstersims, sehen Sie die Stiefelspur, – ein schwerer Stiefel mit breitem Metallabsatz – und daneben ist die Spur von dem Holzstumpf.«
»Der Mann mit dem hölzernen Bein!«
»Ganz recht. Aber es ist noch sonst jemand dabei gewesen – ein sehr geschickter und thätiger Verbündeter. Würden Sie hier an der Mauer heraufklettern können, Doktor?«
Ich sah aus dem offenen Fenster. Der Mond schien hell auf unsere Seite des Hauses. Wir waren gute sechzig Fuß vom Boden, und nirgends konnte ich einen Halt für den Fuß, oder auch nur einen Riß im Mauerwerk entdecken.
»Das ist ganz unmöglich,« rief ich.
»Ohne Hilfe, allerdings. Aber stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Freund hier oben, der Ihnen diesen guten, dicken Strick an der Hausecke herabließe, nachdem er ihn zuvor an dem starken Haken befestigt hätte, den Sie hier in der Mauer sehen. Wenn Sie dann ein rüstiger Mann wären, könnten Sie, denke ich wohl, heraufklettern, zusamt dem hölzernen Bein. Natürlich treten Sie den Rückweg auf dieselbe Weise an, ihr Helfershelfer aber zieht den Strick herauf, bindet ihn vom Haken los, schließt das Fenster wieder, verriegelt es von innen und geht fort, wie er ursprünglich gekommen ist. Nebenbei ist noch zu bemerken,« fuhr er fort, während er den Strick durch die Finger laufen ließ, »daß unser Freund mit dem hölzernen Bein zwar ein guter Kletterer, doch kein Seemann von Beruf war. Er hatte keine Hornhaut an den Händen. Meine Lupe zeigt mir mehr als eine Blutspur, besonders gegen das Ende des Stricks, woraus ich schließe, daß er mit großer Geschwindigkeit hinabgerutscht ist und sich dabei die Hände arg zerschunden hat.«
»Das mag alles richtig sein,« sagte ich, »aber verständlich wird das Ding darum noch nicht. Wie steht’s mit diesem geheimnisvollen Verbündeten? Auf welche Weise ist der ins Zimmer gekommen?« – »Ja, der Verbündete,« fuhr Holmes nachdenklich fort. »Seine Indizien sind höchst interessant, und heben den Fall über den Kreis des Alltäglichen hinaus. In der Verbrecherstatistik unseres Landes wird dieser Verbündete wohl ein ganz neues Feld eröffnen – man kennt ähnliche Fälle nur aus Indien und wenn ich mich recht erinnere, aus Senegambien.«
»Aber wie ist er denn hereingekommen?« wiederholte ich. »Die Thür war verschlossen, das Fenster nicht zu erreichen. Kam er etwa durch den Schornstein?«
»Der Kamin ist viel zu eng. Diese Möglichkeit hatte ich schon in Betracht gezogen.«
»Nun also, wie denn?« –
»Sie sollten doch einmal meine Vorschrift anwenden,« erwiderte er, den Kopf schüttelnd. »Wie oft habe ich Ihnen gesagt, daß man nur alle Unmöglichkeiten zu beseitigen braucht; was dann übrig bleibt, muß trotz aller Unwahrscheinlichkeit der wirkliche Sachverhalt sein. Wir wissen, daß er weder durch die Thür, noch durch das Fenster oder den Kamin kam. Wir wissen gleichfalls, daß er nicht im Zimmer verborgen sein konnte, da kein Versteck in demselben möglich ist. Woher konnte er also kommen?«
»Durch das Loch in der Decke!« rief ich.
»Natürlich, das steht fest. Nun halten Sie mir, bitte, die Leuchte und lassen Sie uns den obern Raum durchsuchen – den geheimen Raum, in welchem der Schatz gefunden wurde.«
Er bestieg die Leiter, griff mit jeder Hand nach einem Balken und schwang sich in den Dachboden hinaus. Dort legte er sich platt auf die Erde, streckte den Arm nach der Lampe aus und leuchtete mir damit, während ich ihm auf dieselbe Weise folgte.
Der Raum, in welchem wir uns befanden, war ungefähr zehn Fuß lang und sechs Fuß breit. Den Boden bildeten die Balken, mit dünnen Latten und Kalkbewurf dazwischen, so daß man beim Gehen von einem Balken zum andern schreiten mußte, um nicht durchzubrechen. Die Decke wölbte sich in einem Spitzbogen und bildete augenscheinlich die innere Verkleidung des Hausdaches. Der Raum war völlig leer, nur der gehäufte Staub von Jahren lag dick auf dem Boden.
»Da haben wir’s,« sagte Holmes, die Hand gegen die schräge Wand legend, »hier ist eine Fallthür, die auf das Dach führt. Wenn ich sie öffne, kommt das Dach zum Vorschein, das ganz allmählich abfällt. So also hat Numero eins seinen Eingang gehalten. Nun lassen Sie uns sehen, ob wir noch andere Spuren dieser Persönlichkeit finden können.«
Er hielt die Lampe auf den Boden; zum zweitenmal an diesem Abend las ich Schrecken und Staunen in seinen Augen. Ich folgte seinem Blick, und es lief mir kalt über den Rücken. Auf dem Boden sah man dicht bei einander Abdrücke eines nackten Fußes – deutlich ausgeprägt, vollkommen geformt, aber kaum zur Hälfte von dem Maß eines gewöhnlichen Mannes.
»Holmes,« flüsterte ich entsetzt, »ein Kind hat diese Greuelthat vollführt.«
Er hatte bereits seine Fassung wiedergewonnen.
»Ich war einen Augenblick bestürzt,« sagte er, »aber die Sache ist ganz natürlich. Bei einiger Ueberlegung hätte ich es vorher wissen können. Hier oben finden wir jetzt nichts weiter; lassen Sie uns hinunter gehen.«
»Wie erklären Sie sich denn aber diese Fußspuren?« sagte ich eifrig, sobald wir wieder auf festem Boden standen.
»Mein lieber Watson, strengen Sie doch einmal Ihren Scharfsinn an,« rief er mit einem Anflug von Ungeduld. »Sie kennen meine Methode. Versuchen Sie dieselbe anzuwenden und es wird lehrreich für uns sein, die Resultate zu vergleichen.«
»Ich vermag mir nichts auszudenken, was die Thatsachen erklären könnte.«
»Es wird Ihnen bald genug alles klar werden,« sagte er in nachlässigem Ton. »Hier giebt es, glaube ich, nichts mehr von Wichtigkeit, aber ich will sehen.« Schnell zog er die Lupe und ein Zentimetermaß aus der Tasche und untersuchte nun das ganze Zimmer auf den Knieen, messend, vergleichend, prüfend. Seine lange, spitze Nase war dabei nur ein paar Zoll von der Diele entfernt, und seine tiefliegenden Augen funkelten, wie die eines Raubvogels. Einem Jäger gleich, der die Fährte des Wildes verfolgt, bewegte er sich geräuschlos und flüchtig, bald hierhin, bald dorthin. Während ich sein Thun beobachtete, drängte sich mir unwillkürlich der Gedanke auf, was für ein furchtbarer Verbrecher er hätte werden können, wenn er diese Thatkraft und Schlauheit, statt sie in den Dienst des Gesetzes zu stellen, zur Ungesetzlichkeit verwenden wollte. Er murmelte fortwährend vor sich hin und brach endlich in einen lauten Freudenschrei aus.
»Wir haben Glück!« rief er. »Jetzt