Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan Doyle

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Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch - Arthur Conan Doyle

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wollen uns jetzt Tobys erprobter Führung überlassen, und sehen, was dabei herauskommt. – Ah, da bist du, mein Hundchen! Guter, alter Toby! Hier, riech’ einmal, Toby, riech’ einmal.« Er hielt dem Hunde das mit Kreosot getränkte Tuch unter die Nase, während das Tier breitbeinig dastand, den Kopf höchst komisch auf die Seite gedreht, wie ein Kenner, der die ›Blume‹ einer berühmten Weinsorte prüft. Holmes warf dann das Taschentuch einige Schritte weit fort, befestigte einen starken Strick an des Köters Halsring und führte ihn an das Wasserfaß. Augenblicklich brach das Tier in ein anhaltendes, schrilles Gekläff aus; die Nase auf der Erde, den Schwanz in der Luft, trabte es der Spur nach, und zwar in so schnellem Lauf, daß wir tüchtig in Atem gehalten wurden und Mühe hatten, die straffgezogene Leine nicht fahren zu lassen.

      Im Osten begann es jetzt zu dämmern, und wir konnten bei dem kalten, grauen Morgenlicht eine Strecke weit sehen. Hinter uns lag das große, kastenartige Haus mit seinen dunkeln Fenstern und kahlen Mauern trübselig und verlassen da. Unser Kurs führte quer durch das Grundstück, vorbei an kümmerlichem Buschwerk, verstreuten Kehrichthaufen und aufgewühlten Gruben und Löchern. Das verkommene, unheilverkündende Aussehen des Ortes paßte so recht zu dem Trauerspiel, dessen Schauplatz er war. Als wir die Umfassungsmauer erreichten, lief Toby ungestüm winselnd in ihrem Schatten entlang, bis er den Winkel erreichte, in welchem ein junger Buchenbaum wuchs. Wo die beiden Mauern zusammenstießen, waren mehrere Steine losgebrochen und die Oeffnungen ausgetreten und nach unten abgerundet, als hätten sie schon öfters zur Leiter gedient. Holmes kletterte hinauf, nahm mir den Hund ab und ließ ihn auf der andern Seite wieder fallen.

      »Hier hat der Stelzfuß den Abdruck seiner Hand zurückgelassen,« sagte mein Gefährte, als auch ich mich auf die Mauer geschwungen hatte. »Sehen Sie die leichte Blutspur auf dem weißen Kalk? Ein Glück, daß es seit gestern nicht stark geregnet hat; die Fährte wird sich auf dem Wege verfolgen lassen, obwohl die Leute achtundzwanzig Stunden Vorsprung haben.«

      Ich gestehe, mir schien die Sache nicht ganz zweifellos, wenn ich an den großen Verkehr dachte, der inzwischen auf der Landstraße stattgefunden hatte. Meine Besorgnis schwand jedoch schnell, denn Toby zögerte und schwankte keinen Augenblick, sondern strebte in seiner absonderlichen Art unaufhaltsam weiter. Offenbar siegte der scharfe Geruch des Kreosots über alle andern Düfte.

      »Denken Sie nur nicht,« bemerkte Holmes, »daß der Erfolg unseres Unternehmens auf dem bloßen Zufall beruht, daß einer der Kerle mit dem Fuß in das Kreosot getreten ist. Ich weiß jetzt genug, um imstande zu sein, ihnen auf mancherlei Weise beizukommen. Da jedoch unser Verfahren das nächstliegende war, habe ich es eingeschlagen; ich würde es für unrecht gehalten haben, dies nicht zu thun. Ein so hübsches, geistreiches Problem, wie ich anfangs hoffte, bietet der Fall nun freilich nicht mehr. Es hätte sich, ohne diesen allzudeutlichen Wegweiser, vielleicht einiger Ruhm dabei ernten lassen.«

      »An Ruhm und Anerkennung wird es Ihnen diesmal gewiß nicht fehlen, Holmes. Wahrhaftig, ich begreife nicht, durch welche Mittel Sie zu Ihren Ergebnissen gelangt sind. Wie konnten Sie zum Beispiel mit solcher Sicherheit den Mann mit dem hölzernen Bein beschreiben?«

      »Bah, Verehrtester! Das ist die Einfachheit selbst – alles offenbar und verständlich. Effekthascherei ist überhaupt meine Sache nicht. Hören Sie nur: Zwei Offiziere, die den Wachtposten in einer Verbrecherkolonie befehligen, erfahren ein wichtiges Geheimnis, das sich auf einen vergrabenen Schatz bezieht. Ein Engländer, Namens Jonathan Small, zeichnet einen Grundriß für sie. Wir sahen den Namen auf der Karte, die Hauptmann Morstan in seiner Brieftasche trug. Small, wie Sie sich erinnern werden, hatte dieselbe für sich und seine Genossen unterschrieben mit dem Zeichen der Vier – wie er sich etwas dramatisch ausdrückte. An der Hand dieses Grundrisses haben nun die Offiziere – entweder beide, oder einer von ihnen – den Schatz gefunden und nach England gebracht; die Bedingung jedoch, unter welcher ihnen derselbe übergeben wurde, vermutlich unerfüllt gelassen. Nun fragt sich, warum hat Jonathan Small den Schatz nicht selbst genommen? Die Antwort ist nicht schwer. Das Datum auf der Karte beweist, daß sie aus der Zeit stammt, als Morstan auf seinem Posten in der Verbrecherkolonie war. – Jonathan Small konnte den Schatz nicht heben, weil er und seine Genossen selbst Sträflinge waren und der Freiheit beraubt.«

      »Aber das sind ja alles nur leere Vermutungen.«

      »Bewahre, es sind folgerichtige Annahmen, welche sich mit den Thatsachen decken; das zeigt der weitere Verlauf: Major Scholto bleibt ein paar Jahre in der Ruhe, glücklich in dem Besitz des Schatzes. Dann erhält er einen Brief aus Indien, welcher ihm einen großen Schrecken einjagt. Was stand darin?«

      »Wahrscheinlich die Mitteilung, daß die Leute, denen er nicht Wort gehalten hatte, jetzt frei wären.«

      »Oder, daß sie davongelaufen seien. Letzteres ist viel wahrscheinlicher; denn den Termin ihrer Freilassung kannte er ohne Zweifel – er würde ihm nicht überraschend gekommen sein. Was thut er nun? Er suchte sich vor einem Mann zu schützen, der einen Stelzfuß trägt – vor einem weißen Mann, merken Sie wohl; denn er hält einen englischen Hausierer für einen Feind und schießt sogar eine Pistole auf ihn ab. Auf der Karte steht nur der Name eines einzigen weißen Mannes; die anderen sind Hindus oder Muhamedaner. Deshalb können wir mit Gewißheit annehmen, daß der Stelzfuß und Jonathan Small ein und dieselbe Person sind. Finden Sie einen Fehler in dieser Auseinandersetzung?«

      »Nein, wahrlich nicht. Sie ist klar und bündig.«

      »Gut denn. Setzen wir uns an die Stelle von Jonathan Small und betrachten wir die Sache von seinem Standpunkt aus. Er kommt nach England, in der doppelten Absicht, wiederzugewinnen, was er als sein Eigentum ansieht, und Rache zu nehmen an dem Manne, der ihn hintergangen hat. Nachdem er herausgefunden, wo Scholto sich aufhält, hat er höchst wahrscheinlicherweise eine Verbindung mit einem Insassen des Hauses anzuknüpfen gesucht. Frau Bernstone erwähnte einen Hausmeister, Namens Lal Rao, von dem sie nichts Gutes zu berichten weiß. Das Versteck des Schatzes zu entdecken, war für Small ein Ding der Unmöglichkeit. Außer dem Major und einem treuen Diener, der nicht mehr am Leben ist, wußte kein Mensch darum. Plötzlich erfährt Small, daß der Major im Sterben liegt. Rasend vor Angst, das Geheimnis des Schatzes könne mit ihm begraben werden, trotzt er der Gefahr, von den Wächtern entdeckt zu werden, und gelangt bis an Scholtos Fenster. Nur die Gegenwart der beiden Söhne verhindert ihn, weiter vorzudringen. Voll Haß und Wut gegen den Toten steigt er jedoch bei Nacht in das Zimmer ein, durchsucht alle Papiere, in der Hoffnung, einen Fingerzeig über den Schatz zu finden, und läßt als Denkzeichen seines Besuchs die bedeutsamen Worte auf der Karte zurück: ›Das Zeichen der Vier.‹ Hätte er den Major erschlagen, so wäre das in seinen Augen kein gewöhnlicher Mord, sondern nur die gerechte Strafe gewesen, die er als Vertreter der vier Genossen vollzog. Wunderliche Selbsttäuschungen dieser Art kommen oft genug bei Verbrechern vor und führen nicht selten zu ihrer Entdeckung. – Haben Sie mir bis hierher folgen können, Doktor?«

      »Ohne Schwierigkeit.«

      »Was blieb nun Jonathan Small übrig? Er konnte nichts thun, als im geheimen die Versuche überwachen, die gemacht wurden, um den Schatz aufzufinden. Vielleicht hat er inzwischen England verlassen und ist nur von Zeit zu Zeit dahin zurückgekehrt. Von der Entdeckung des vermauerten Dachbodens wurde er sogleich in Kenntnis gesetzt, vermutlich durch den Helfershelfer im Hause. Jonathan wäre mit seinem hölzernen Bein ganz außer stande gewesen, das hochgelegene Zimmer zu erreichen, welches Bartholomäus Scholto bewohnte. Er wird aber von einem merkwürdigen Gefährten begleitet, der diese Schwierigkeit überwindet, jedoch mit seinem nackten Fuß ins Kreosot tritt. Das bringt nun Toby auf den Schauplatz und nötigt einen Militärarzt auf Halbsold, im Morgengrauen meilenweit herumzulaufen.«

      »Aber es war der andere, und nicht Jonathan, der das Verbrechen beging.«

      »Ganz richtig. Jonathan war sogar entschieden dagegen, nach der Art zu urteilen, wie er umher gestampft ist, sobald er in das Zimmer kam. Er hatte nicht den Wunsch,

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