Gesammelte Werke. Aristoteles
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102.Gr. επιδεξιότης, lat. dexteritas.
103.υπόνοια, Doppelsinnigkeit, eine Rede oder ein Wort, wo sich unter dem nächsten oder Litteralsinn ein anderer Sinn versteckt, der eigentlich in betracht kommt.
104.Dieser und die zwei vorausgehenden Absätze erledigen drei Einwürfe gegen den Satz, daß es den tugendhaften Mann nicht trifft, sich zu schämen: erster Einwurf: er kann trotz seiner Tugend tun was nach menschlicher Anschauung schimpflich ist, und dann müßte er sich schämen. Antwort: er tut auch das nicht; zweiter Einw.: er würde sich schämen, falls er böses täte. Antw.: a) er tut nichts böses, b) es könnte ihm auch wegen eines eventuellen Schamgefühls dieses Gefühl nicht wirklich beigelegt werden. Der dritte Einwurf ist so klar wie seine Widerlegung. – Aristoteles hatte oben II, 7, vorletzter Abs. auch von der Entrüstung, νέμεσις, gesagt, sie sei keine Tugend, sondern ein lobenswerter Affekt. Hier spricht er nicht von ihr, weil von ihr das gleiche gilt wie von dem Gefühl der Scham und Scheu. Von beiden handelt er in dem 2. Buche der Rhetorik.
105.Die Enthaltsamkeit, εγκράτεια, ist keine eigentliche und vollkommene Tugend, weil sie mit Begierde und Lust zusammengeht, aber lobenswert. Aristoteles berührt sie hier passend, weil auch Scheu und Scham keine eigentliche Tugend ist, aber Lob verdient und in dem Alter an der Stelle ist, wo Begierde und Lust mächtig sind.
106.Bisher sind die Tugenden behandelt worden, die sich auf die Affekte, die fliehenden wie die strebenden, beziehen. Jetzt kommt diejenige an die Reihe, die es mit den Handlungen zu tun hat, die Gerechtigkeit, nicht als ob nicht auch jene mit dem Handeln befaßt wären, aber es kommt bei ihnen doch erst an zweiter Stelle in betracht, insofern es aus den Affekten entspringt, während bei der Gerechtigkeit die äußere Handlung an erster Stelle in betracht kommt und der Affekt und die Gesinnung nur insofern, als sie dieselbe erleichtern oder erschweren. – Da hier eine dritte Haupttugend behandelt wird, und später, im 6. Buche, auch noch die einzig übrige, die Klugheit, so dürfte eine Bemerkung über die verschiedene Stellung angebracht sein, die diesen Tugenden bei Aristoteles und bei anderen Autoren, z. B. Cicero und Seneka, angewiesen wird. Bei den genannten beiden sind sie die Hauptgenera der Tugenden, denen die anderen Tugenden je und je untergeordnet sind. Die Klugheit ist die Verstandestugend, die die Vernunft über das rechte Handeln belehrt, die anderen drei sind die Hauptgenera der Charaktertugenden. Die Gerechtigkeit ist die Tugend, die die Vernunft bestimmt, in allem Handeln die Gleichheit zu beobachten; die Mäßigkeit und der Starkmut bestimmen die Vernunft zum rechten Verhalten gegenüber der Lust und gegenüber der Unlust. Aber dieser Auffassung der Haupttugenden als höchster Gattungen stehen zwei Bedenken im Wege. Einmal, daß sie zu jeder Tugend gehören und so keinen Einteilungsgrund der Tugenden abgeben können, sodann, daß die einzelnen Tugenden und Laster aus den Objekten und nicht aus dem verschiedenen Verhalten der Vernunft abzuleiten sind. So erscheint denn die Systematik des Aristoteles als besser, der die Tugenden wirklich nach den Objekten unterscheidet und einteilt und den vier Haupttugenden insofern eine bevorzugte Stellung gibt, als er ihnen innerhalb ihrer Gattung und Art bevorzugte Objekte zuweist, so daß das Charakteristische der verschiedenartigen Tugenden bei ihnen besonders hervortritt. Die Klugheit ist ihm nicht die Lehrerin jeder praktischen Erkenntnis ohne Unterschied, sondern sie gibt für jeden praktischen Fall die rechte Vorschrift; die Gerechtigkeit beobachtet nicht jede Gleichheit, sondern jene wichtigere, die anderen gegenüber beobachtet wird; die Mäßigkeit hat es nicht mit jeder Lust, sondern mit der des Gefühls zu tun und der Starkmut nicht mit Unlust überhaupt, sondern mit jener Unlust und Angst insbesondere, die Todesschrecken uns einflößen können. So verhalten sich denn zu diesen vier Haupttugenden die andern Tugenden nicht wie die Arten zur Gattung, sondern wie das Sekundäre zum Primären. Nach Thomas von Aquin, Kommentar zur Ethik, II. Buch, 8. Lektion.
107.Hier treten drei Momente hervor, die die Gerechtigkeit von den bisher behandelten Tugenden unterscheiden: 1) sie hat es mit πράξεις, Handlungen, nicht mit πάθη, Affekten, zu tun; 2) sie ist eine Mitte der Sachen und Werte, wie im Verfolg erklärt wird, nicht der Gemütsverfassung; 3) sie ist keine Mitte zwischen zwei Lastern, wie ebenfalls weiter unten deutlich werden soll.
108.Dasselbe Verfahren, einmal indem das Wahre nur allgemein und ohne den Anspruch auf absolute Gültigkeit dargelegt wird, dann, weil von dem ότι, nicht von dem διότι ausgegangen wird. Vgl. I, Kap. 2, Anm. 16.
109.Das Gesicht sieht das Schwarze wie das Weiße, und die Medizin ist Wissenschaft wie von der Gesundheit, so auch von der Krankheit.
110.Das Recht, το δίκαιον, eigentlich das Gerechte. Ein eigenes Wort für unser deutsches Recht, wie das lateinische ius, hat Aristoteles nicht.
111.Homonymie, Gleichheit des Wortes bei Verschiedenheit der Bedeutung, im Gegensatz zu Synonymie, Übereinstimmung verschiedener Worte in der Bedeutung. Ein Beispiel fürs erste ist κλείς, Hausschlüssel und Schlüsselbein, fürs zweite σπουδαι̃ος und επιεικής, die beide tugendhaft bedeuten.
112.Es gibt dreierlei Ungerechte und zweierlei Gerechte; Ungerechte: der παράνομος, der πλεονέκτης, der für sich zu viel (Gutes) haben will, und der άνισος, der für sich zu wenig vom Unliebsamen haben will; Gerechte: der νόμιμος und der ίσος, der in einem dem πλεονέκτης und dem [αν]ισος gegenübersteht. Der Satz mit »mithin« ist eine Anwendung der Bemerkung im vorigen Kapitel, Absatz 2, daß der Habitus es je mit einem Objekt zu tun hat. Also wird dieses aus ihm abgenommen.
113.Freund der Ungleichheit, άνισος, wörtlich der Ungleiche, kann beides bedeuten, einen der zu viel, und einen der zu wenig haben will. Da nun für das erste ein eigenes Wort vorhanden ist, πλεονέκτης, so empfiehlt es sich, das άνισος dem, der zu wenig haben will, vorzubehalten.
114.Das καί heißt nicht auch, sondern sowohl, und ihm entspricht das καί vor έργα του σώφρονος. Dieser Absatz erklärt nämlich, was das Gesetz vorschreibt, wie der vorige, wozu es das tut. Dem μὲν im letzten Satze des vorigen Absatzes: ένα μὲν τρόπον, entspricht nicht das δὲ im ersten des gegenwärtigen Absatzes, sondern nachdem es im folgenden, 1129b 25 und 1130a 8: αύτη μὲν ου̃ν η δικαιοσύνη, zweimal wiederholt worden, das δὲ am Anfang des 4. Kap.
115.»Der