Gesammelte Werke. Aristoteles
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173.Die Verständigkeit, σύνεσις, auch wohl Scharfblick, urteilt über das, was die ευβουλία gesucht und gefunden hat; die Klugheit dagegen gibt den praktischen Befehl, das auszuführen, was die σύνεσις für gut befunden hat. Demnach wäre die aufsteigende Rangfolge dieser drei Tugenden diese: ευβουλία, σύνεσις, φρόνησις.
174.Ar. will nicht, daß die σύνεσις ein Erwerben der Klugheit sei. Man braucht das Zeitwort συνιέναι, wohl für Lernen, also Erwerben der Wissenschaft. Darum ist aber σύνεσις kein Erwerben der Klugheit, sondern Bildung einer δόξα, eines iudicium practicum, gegenüber einer vorgetragenen Meinung oder einem gemachten Vorschlag. Wie also beim Lernen ein rechter Gebrauch vorhandenen Wissens stattfindet, denn jeder neue Wissenserwerb knüpft an altes Wissen an; so findet bei der σύνεσις gegenüber fremder Rede ein rechter oder guter Gebrauch des eigenen Urteils statt. Daher in beiden Fällen dieselbe sprachliche Bezeichnung σύνεσις oder συνιέναι.
175.Die Gnome ist es also, die uns sagt, wo und wann die Epikie gegenüber dem gesetzlichen Rechte zur Geltung kommt; vgl. V, 14.
176.Oben, 6. K., hörten wir, daß der Verstand, der νου̃ς, auf die Prinzipien gehe, die doch allgemein sind, hier hören wir, daß er das Einzelne umfaßt. Der scheinbare Widerspruch wird sich gleich lösen. Es gibt einen zweifachen νου̃ς, einen theoretischen und einen praktischen.
177.Das Billige, der Gegenstand der Diskretion, der γνώμη, hat es ebenso mit dem Guten zu tun wie die Klugheit, nur mit dem Guten, das ein fremdes Interesse berührt.
178.Die Wahrnehmung oder diese Wahrnehmung ist Verstand. Dieser Satz klingt wie ein Rätsel, hat aber seinen guten Sinn. Diese Wahrnehmung ist praktischer Verstand. Man sieht z. B., daß dieses singuläre Kraut in diesem singulären Fall geheilt hat. Das ist Wahrnehmung. Daraus folgert man, daß diese Art Kraut heilt, und gewinnt so ein praktisches Prinzip, das einen unter Umständen zum Gebrauche dieses Krautes bestimmt. Das Prinzip fällt aber unter den Verstand, den νου̃ς, und so ist die Wahrnehmung insofern Verstand, als sie einem jenes praktische Prinzip an die Hand gibt.
179.Praktischen Verstand und weise und rücksichtsvolle Unterscheidung schreibt man besonders dem Greisenalter zu.
180.Die Klugheit ist nämlich die Tugend der praktischen Vernunft oder des logistischen Seelenteils, die Weisheit die Tugend der spekulativen Vernunft oder des epistemonischen Seelenteils; vgl. Kap. 2, Absatz 2 und die Anm. 143 im 2. Kapitel. – Daraus daß hier nur von zwei Verstandestugenden die Rede ist, sieht man, daß Ar. ihrer auch nur zwei kennt und die anderen drei Dinge: Wissenschaft, Verstand, Kunst, nicht zu den Tugenden rechnet. Man sieht es auch daraus, daß im folgenden Kapitel nur nach dem Nutzen dieser beiden Tugenden gefragt wird, nicht nach dem der andern Eigenschaften. Die ευβουλία, σύνεσις und γνώμη sind natürlich nicht ausgeschlossen.
181.Ar. wird uns gleich unten, im 6. Absatz, sagen, daß die Betrachtung selbst, als Funktion der Weisheit, glücklich macht. Sie ist das Ziel des Menschen.
182.Das Wissen hilft uns, das Rechte zu tun, aber es handelt sich uns um ein Tun aus einem Habitus heraus, und den Habitus gibt uns das Wissen allein nicht.
183.Die Gesundheit wirkt Gesundheit als inneres, vitales Prinzip gesunder Funktionen, nicht als äußeres Prinzip nach Art der Heilkunst. Und so wirkt die Weisheit Glückseligkeit, insofern ihr Aktus die Theorie, die Betrachtung der ewigen Wahrheiten ist. Ar. redet hier von der Weisheit allein und nicht auch von der Klugheit, weil ihre Funktion an erster Stelle das Glück des Menschen ausmacht, die Übung der von der Klugheit geleiteten sittlichen Tugenden aber erst an zweiter Stelle. Vgl. X, 7 ff.
184.Die Klugheit ist die Vollkommenheit der praktischen Vernunft, die moralische Tugend die des Strebevermögens, die Weisheit die der spekulativen Vernunft, das vegetative Vermögen aber läßt keine Tugend zu.
185.Neuerdings wird gesagt, daß die Klugheit ohne sittliche Tugend unmöglich ist. Vgl. Kap. 1 Anm. 141 u. Kap. 5 Anm. 152.
186.Vgl. III, Kap. 7, Anm. 66.
187.Sonst könnte man die fehlende Klugheit, wie ein Einwand wollte, dadurch wett machen, daß man sich kluger Leitung unterstellte.
188.Die Klugheit soll uns helfen zur Weisheit zu gelangen. Die letztere ist das menschliche Endziel und nimmt also die höchste Stelle ein. Auch die Staatskunst, die hier freilich nur zufällig erwähnt wird, aber doch ein Teil der Klugheit ist, dient diesem Ziele, teils dadurch, daß sie soziale und ökonomische Verhältnisse anstrebt, die es möglichst vielen Staatsangehörigen gestatten, der Weisheit zu leben, teils durch gebührende Ordnung und Pflege des Erziehungs- und Bildungswesens. So wenig die Staatskunst darum über der Gottheit steht, weil sie Kultusvorschriften gibt, nämlich im heidnischen Staate, so wenig steht sie darum über der Weisheit, weil sie über den Betrieb der Geisteswissenschaften Vorschriften gibt. Aristoteles muß übrigens auch aus dem Grunde konsequenter Weise die Weisheit und die Philosophie über die Politik stellen, weil diese die Eudämonie der Gesamtheit anstrebt, die Eudämonie aber aus der beschauenden Weisheit entspringt.
189.Mit dem 7. Buche beginnt ein neuer großer Abschnitt, wenn man will, der letzte Teil der Ethik. Nachdem also bisher von den moralischen und dianoëtischen Tugenden die Rede war, wird jetzt zuerst von der Enthaltsamkeit gehandelt, die eine unvollkommene Tugend ist, und von ihrem Gegenstande, der Lust und der Unlust, 7. Buch; dann von der Freundschaft, einer Wirkung und Frucht der Tugend, 8. und 9. Buch; und zuletzt von der Glückseligkeit, dem Ziele der Tugend, 10. Buch. Man kann freilich auch das 10. Buch als Wiederaufnahme und Abschluß der Erörterung im 1. Buch bis an das 13. Kap. betrachten. Dann ist das 10. Buch der letzte Teil der Ethik, Buch l, Kap. 13 und das folgende der 2. Teil, und das vorausgehende der 1. Teil. Dieser 1. Teil handelt von der Glückseligkeit mit dem vorläufigen Ergebnis, daß sie eine Betätigung der Tugend ist, der 2. von der Tugend und den Tugenden, und der 3. zeigt, welche und was für eine Tugend es ist, deren Betätigung die Glückseligkeit ausmacht. Auf jeden Fall stellt sich die ganze Ethik als einen Traktat von der Tugend und Glückseligkeit dar.
190.Diese drei Stufen sittlicher Verkehrtheit stehen zu einander in folgendem Verhältnis. Zum sittlichen Handeln gehört nach VI, 2 die rechte Vernunft und das rechte Begehren. Werden diese verkehrt, so tritt, wenn es nur das Begehren ist, während die Vernunft die rechte bleibt, die Unenthaltsamkeit als Folge ein, die nämlich darin besteht, daß man zwar das Bessere sieht, aber zu schwach ist, es zu tun. Wird aber auch die Vernunft verdorben, so daß diese sich das Schlechte, als wäre