Gesammelte Werke. Aristoteles
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141.Der vernunftbegabte und der unvernünftige, aber doch an der Vernunft teilhabende Seelenteil wurden im letzten Kap. des 1. Buches vorletzter Absatz berührt. Die Vermutung Murets in seinem lat. Kommentar, Ingolstadt 1602, hier sei im Text in den Angaben über das früher Gesagte etwas ausgefallen, scheint grundlos. Der unvernünftige Seelenteil, höheres und niederes Strebevermögen, ist Träger der sittlichen Tugenden, der vernünftige Träger der Verstandestugenden.
142.Aristoteles sagt: nach den Objekten sind auch die erkennenden Seelenteile verschieden. Das Erkennende ist dem Erkannten ähnlich, oder Gleiches wird durch Gleiches erkannt, insofern der eigentliche und primäre Gegenstand der Erkenntnis mit der Natur des Erkennenden übereinstimmen muß. So ist der Mensch ein geistig sinnliches Wesen, und demnach ist der eigentliche Gegenstand seiner Erkenntnis das Intelligible im Sinnlichen. In unserem Texte handelt es sich um den Gegensatz der spekulativen und der praktischen Vernunft, der keine zwei Potenzen der Intelligenz je nach den Objekten erfordert, sondern nur den Unterschied des Denkens und der sinnlichen Wahrnehmung voraussetzt. Die spekulative Vernunft geht nämlich nicht auf das Handeln, sondern auf dessen höchste Ziele und Gesetze. Dagegen hat es die praktische Vernunft mit dem Handeln zu tun, und das Handeln mit dem Einzelnen und Konkreten, und dieses wird von dem Sinne erkannt, der also der praktischen Vernunft das Material für ihr Diktamen liefert. Aristoteles nennt die spekulative Vernunft die epistemonische, die praktische die logistische. Episteme ist nämlich die Wissenschaft des Allgemeinen und Notwendigen, während das Folgern, λογίζεσΦαι, zwar nicht den graden Gegensatz zu ihr bildet, wohl aber das Eigentümliche hat, zu suchen, indem es folgernd von Erkenntnis zu Erkenntnis gelangt. Hierin liegt nun grade seine Ähnlichkeit mit der praktischen Vernunft, die nach dem sucht, was in den einzelnen Fällen zu tun ist.
143.Agathon, tragischer Dichter, jüngerer Zeitgenosse des Sokrates und Euripides. In der Poetik, K. 9 wird eine Tragödie von ihm »die Blume« erwähnt. Die Zustimmung des Aristoteles zu dem citierten Vers zeigt, daß er Gott die Allmacht zugeschrieben hat. Und so, wenn es uns gestattet ist, dies im Vorübergehen zu bemerken, mußte er ihm prinzipiell auch die Freiheit zusprechen. Denn ein Gott, der z. B. nicht imstande ist, ein Gebet zu erhören, weil er nur nach notwendigen und unüberschreitbaren Gesetzen wirkt, ist nichts weniger als allmächtig.
144.Dies die Definition der dianoëtischen Tugend.
145.Man sagt auch wohl, man wisse etwas, wenn man durch den Augenschein gewiß ist; das soll aber nicht als eigentliche Bedeutung von Wissen gelten.
146.Das Sinnenfällige weiß man nur so lange, als es unter die Sinne fällt. Wenn ich den Sokrates sehe, weiß ich z. B., daß er sitzt. Sehe ich ihn nicht mehr, so kann er sich erhoben haben, und dann ist es nicht mehr wahr, daß er sitzt. Trotzdem kann auch Erfahrungsmäßiges Gegenstand des Wissens sein, z. B. der Inhalt der Physik, doch nicht nach dem, was an den einzelnen Körpern geschieht, sondern nach den allgemeinen und notwendigen Gesetzen, denen die Naturvorgänge unterstehen.
147.Aristoteles bezieht sich hier auf I, 1 der zweiten Analytiken, um die Natur der Wissenschaft zu erklären. Jedes Wissen geht von Anfängen aus, die ebenso sicher oder noch sicherer sind als das, was man in der logischen Konklusion aus ihnen ableitet. Es muß aber erste Anfänge geben, weil man nicht ins Endlose fortschreiten kann. Diese ersten Anfänge werden durch Induktion gewonnen. Aristoteles spricht sich darüber auch in dem bekannten Schlußkapitel der ganzen Analytik aus. Trendelenburgs Elementa logices Aristoteleae sowie auch seine Erläuterungen zu den Elementen schließen mit einer Auslegung dieses Kapitels. Dieselbe scheint aber den Autor selbst nicht ganz befriedigt zu haben. Es sei erlaubt, salvo meliori die Vermutung auszusprechen, Aristoteles verstehe hier unter Induktion dies, daß genügend viele Wahrnehmungen und Erinnerungen vorausgegangen sein müssen, um dann beim Erwachen des Geistes aus denselben jene ersten obersten und allgemeinsten Begriffe zu abstrahieren, aus denen die obersten Grundsätze gebildet werden, also Begriffe wie Sein, Werden, Ursache, Notwendigkeit, Möglichkeit, Unmöglichkeit, Kompatibilität, Inkompatibilität. So bildet man denn aus den obersten Begriffen etwa den Grundsatz des Widerspruchs oder der Ursächlichkeit. Diese Grundsätze sind selbst nicht Gegenstand des Wissens, sonst müßten sie, weil Wissen Erkenntnis aus der Ursache ist, wieder aus anderen Sätzen abgeleitet sein, sondern Gegenstand der einfachen geistigen Erfassung von seiten des νους, wie Aristoteles sagt. Daher der Ausspruch: νου̃ς αν είη τω̃ν αρχω̃ν, und: νου̃ς άν είη επιστήμης αρχή und: αρχὴ τη̃ς αρχη̃ς. Das Wissen aber in seiner Totalität umfaßt dann grade so den ganzen Wissensstoff, wie der νους, der Intellekt, die Prinzipien der Wissenschaft. Hiernach ist also auch der Sinn des Satzes in unserem Kapitel der Ethik klar: wo eine bestimmte Überzeugung ist und man die Prinzipien kennt, da ist Wissenschaft: die Wissenschaft ist eine sichere Erkenntnis des aus bestimmten Vordersätzen rechtmäßig Erschlossenen. Die darauf folgende Bemerkung heißt dies: wenn ich z. B. einen mathematischen Satz gut kenne und weiß, seine Vordersätze aber nicht weiß, so wäre mir dieses Wissen nur durch Zufall gekommen.
148.Vgl. I, Kap. 3, Anm. 17.
149.Das rechte Hervorbringen ist Sache der Kunst, das rechte Handeln Sache der Klugheit. Beide haben es als praktischer Habitus mit dem Kontingenten und Einzelnen zu tun im Gegensatz zu dem theoretischen Wissen. Die Kunst ist von der Natur verschieden, insofern ihre Werke nicht von innen heraus oder durch Selbstbewegung entstehen. Mit dem Zufall hat sie das Ähnliche, daß beide eine Beziehung zur Vernunft haben, insofern das Werk der Kunst mit Vernunft zustande kommt, das Ergebnis des Zufalls ohne Vernunft. Der Zufall, τύχη, nämlich, im engeren Sinne und im Gegensatz zum αυτόματον, liegt im Felde menschlichen Tuns. Darum tat Agathon jenen Spruch, daß Kunst und Zufall Freunde sind, was sagen will, daß der Zufall der Kunst oft mehr hilft als Überlegung. – Dies im großen der Sinn des K.
150.Als käme sophrosyne von sozein und phronesis.
151.So zeigt sich also die Abhängigkeit des Denkens und Urteilens vom Leben und der Gesinnung. Vgl. Kap. 1, Anm. 141.
152.Aristoteles sagt wörtlich: »es gibt eine Tugend der Kunst, aber keine Tugend der Klugheit«. Die Klugheit ist nämlich schon an sich Tugend,